OGH 11Os171/11y

OGH11Os171/11y19.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Jänner 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Rechtspraktikanten MMag. Krasa als Schriftführer, in der Strafsache gegen Martin E***** und Inga E***** wegen des Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach §§ 15, 217 Abs 1 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über den von beiden Angeklagten gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerden und der Berufungen sowie deren Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen, weiters die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 5. Dezember 2011, GZ 22 Hv 1/08z-640a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten werden zurückgewiesen.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auch Teilfreisprüche enthaltenden Urteil vom 5. Dezember 2011 wurden die Angeklagten Martin E***** und Inga E***** jeweils des Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach §§ 15, 217 Abs 1 erster Fall StGB schuldig erkannt. Nach Verkündung des Urteils nahmen sich die Angeklagten jeweils drei Tage Bedenkzeit (ON 640a S 5). Die dreitägige Frist zur Anmeldung von Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung endete somit - infolge des gesetzlichen Feiertags am 8. Dezember 2011 - am 9. Dezember 2011 (§ 84 Abs 1 Z 5 StPO).

Mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2011 beantragten die Angeklagten unter gleichzeitiger Anmeldung von Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, dass ihr Verfahrenshilfeverteidiger, nachdem er am 7. Dezember 2011 den Auftrag zur Anmeldung von Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung erhalten hätte, in der Nacht zum 9. Dezember 2011 plötzlich erkrankt sei und wegen starken Fiebers am folgenden Tag seine Kanzlei nicht aufsuchen hätte können. Infolge Urlaubs sämtlicher Angestellten sei die Kanzlei an diesem Tag unbesetzt gewesen und daher niemandem die offene Frist aufgefallen.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist - neben anderen, hier nicht aktuellen Fällen - den Beteiligten des Verfahrens die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist zur Anmeldung eines Rechtsmittels zu bewilligen, sofern sie nachweisen, dass es ihnen durch unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, die Frist einzuhalten, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.

Da gemäß § 14 RAO der Rechtsanwalt berechtigt ist, im Verhinderungsfall einen anderen Rechtsanwalt unter gesetzlicher Haftung zu substituieren, ist die Erkrankung des Verteidigers für sich allein kein Grund für eine Wiedereinsetzung. Erst dann, wenn zufolge der Krankheit die Dispositionsfähigkeit völlig ausgeschlossen wird, wenn also nicht einmal mehr für eine Stellvertretung gesorgt werden kann, stellt die gesundheitliche Beeinträchtigung ein Ereignis im Sinn des § 364 Abs 1 Z 1 StPO dar, aufgrund dessen es unmöglich wäre, die versäumte Frist einzuhalten (RIS-Justiz RS0116013; Lewisch, WK-StPO § 364 Rz 26; Fabrizy, StPO11 § 364 Rz 3). Ein derartiger Krankheitszustand, der es dem Verfahrenshilfeverteidiger - der aufgrund der erst kurz zurückliegenden Hauptverhandlung und umso mehr wegen des erst am Tag vor der behaupteten Erkrankung erfolgten Rechtsmittelauftrags in Kenntnis der offenen Frist sein musste - unmöglich gemacht hätte, für eine Vertretung zur Bearbeitung fristgebundener Prozesshandlungen zu sorgen, wurde im Wiedereinsetzungsantrag jedoch nicht einmal behauptet. Ein gesetzlicher Grund für die Bewilligung der begehrten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegt daher nicht vor, sodass der darauf zielende Antrag in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur abzuweisen war.

Demgemäß waren auch die (verspätet angemeldeten) Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 296 Abs 2 iVm 294 Abs 4 StPO).

Auf das ergänzende Vorbringen des Antragstellers in seiner Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur (§ 24 StPO) war zufolge des auch für Wiedereinsetzungsanträge geltenden Grundsatzes der Einmaligkeit von Rechtsmitteln oder Rechtsbehelfen nicht einzugehen (RIS-Justiz RS0101444; Lewisch, WK-StPO, § 364 Rz 57).

Über die von der Staatsanwaltschaft angemeldete Berufung (ON 641) wird - nach Zustellung einer Urteilsausfertigung und Ablauf der Rechtsmittelfrist - das Oberlandesgericht Linz zu entscheiden haben.

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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