European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0110OS00162.9400000.1213.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Das Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21. Oktober 1993, GZ 9 b E Vr 5827/92‑16, verletzt, soweit in den Entscheidungsgründen die Bindung des Einzelrichters an die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes verneint wird, das Gesetz in dem in § 293 Abs 2 StPO normierten, auch für das Verfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz analog geltenden Grundsatz der Bindung des Erstgerichtes an die aus Anlaß einer kassatorischen Entscheidung ausgesprochene Rechtsansicht des Rechtsmittelgerichtes.
Die Gesetzesverletzung wird festgestellt.
Gründe:
In der Straf‑ und Medienrechtssache des Privatanklägers und Antragstellers Dr.Hans H* gegen Dipl.-Ing. Jaroslav S* (alias Jan T*) wegen §§ 111 Abs 1 und Abs 2, 115 Abs 1 StGB und gegen die Antragsgegnerin "F* Zeitschriften GesmbH" wegen Anträgen nach dem MedienG, AZ 9 b E Vr 5827/92 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, hob das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht in Stattgebung der Nichtigkeitsberufung des Privatanklägers mit Entscheidung vom 8. März 1993, AZ 21 Bs 407/92 (ON 12), das freisprechende Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23. Juli 1992 (ON 6) unter Äußerung seiner Rechtsansicht auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
In dem im zweiten Rechtsgang ergangenen (gleichfalls freisprechenden) Urteil vom 21. Oktober 1993 (ON 16) vertrat der Einzelrichter den ‑ für die Sachentscheidung letztlich nicht maßgeblichen - Rechtsstandpunkt, "daß dem Rechtsmittelverfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz nach den §§ 489 ff StPO und den entsprechenden Verweisungsbestimmungen eine Norm wie jene des § 293 Abs 2 StPO fremd ist, wonach das Gericht, an das die Sache zu neuer Verhandlung verwiesen wird, an die Rechtsansicht gebunden ist, von der der Oberste Gerichtshof bei seiner aufhebenden Entscheidung ausgegangen ist" (S 98).
Mit Recht rügt der Generalprokurator in der dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes diese Rechtsauffassung als mit dem Gesetz nicht im Einklang stehend.
§ 293 Abs 2 StPO normiert die Bindungswirkung an eine vom Obersten Gerichtshof in einer bestimmten Sache ausgesprochene Rechtsansicht für das ‑ nach Kassation des Urteils im ersten Rechtsgang ‑ zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Gericht erster Instanz. Es trifft zwar zu, daß sowohl für das bezirksgerichtliche Verfahren (vgl insbesondere §§ 463 ff StPO) als auch für das Verfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz (vgl § 489 StPO) eine ausdrückliche, der Vorschrift des § 293 Abs 2 StPO entsprechende Regelung fehlt. Die in der gegenständlichen Straf‑ und Medienrechtssache vom Einzelrichter daraus ganz allgemein gezogene und mit der unterschiedlichen Stellung der Rechtsmittelgerichte begründete Schlußfolgerung auf das Fehlen einer Bindungswirkung im Einzelrichterverfahren hält jedoch ‑ unbeschadet der mangelnden Bedeutung im konkreten Fall ‑ einer näheren Überprüfung nicht stand:
Für das bezirksgerichtliche Verfahren (§§ 447 ff StPO) ordnet nämlich § 447 StPO ausdrücklich an, daß in allen Punkten, worüber das XXVI.Hauptstück der StPO keine besonderen Vorschriften enthält, die für das Verfahren vor den Gerichtshöfen erster Instanz geltenden Bestimmungen anzuwenden sind. Somit kann es nach dieser gesetzlichen Verweisung nicht zweifelhaft sein, daß der im § 293 Abs 2 StPO normierten Bindungswirkung auch im bezirksgerichtlichen Verfahren Geltung zukommt (EvBl 1981/51). Das Verfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz als einzige Verfahrensart vom Grundsatz der Bindung des Erstgerichtes an die Rechtsansicht des Rechtsmittelgerichtes auszunehmen, wäre aber systemwidrig und nicht zu begründen. Diese Gesetzeslücke ist vielmehr durch analoge Anwendung (Mayerhofer‑Rieder StPO3 ENr 45 f zu § 1 StPO) der Bestimmung des § 293 Abs 2 StPO auch auf das Einzelrichterverfahren zu schließen. Daraus folgt, daß auch der Einzelrichter an die vom Berufungsgericht in einer kassatorischen Entscheidung vertretene Rechtsansicht gebunden ist (in diesem Sinne auch Lohsing‑Serini 598; Roeder, LB2, 313).
Da sich die in der unrichtigen Rechtsansicht des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien gelegene Gesetzesverletzung im gegenständlichen Verfahren nicht auswirkte, konnte sich der Oberste Gerichtshof mit deren Feststellung begnügen.
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