OGH 11Os150/14i

OGH11Os150/14i3.2.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Februar 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Dr. Tiefenthaler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Abdullah C***** und einen anderen Angeklagten über den Antrag des Angeklagten Rafal M***** auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung seiner Rechtsmittel, über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung dieses Angeklagten sowie die Berufung des Angeklagten C***** gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 17. September 2014, GZ 9 Hv 64/14k‑91, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0110OS00150.14I.0203.000

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht bewilligt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Rafal M***** werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten C***** werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten M***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde ‑ soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant - Rafal M***** (ebenso wie der Mitangeklagte Abdullah C*****) des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Abdullah C***** als Mittäter in N***** an der E***** versucht, Halil A***** unter Verwendung einer Waffe durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben sowie mit Gewalt gegen seine Person, nämlich durch Richten eines Gummihammers auf ihn im Zuge der Aufforderung zur Herausgabe des Geldes sowie durch Versetzen von Faustschlägen und einem Schlag mit dem Gummihammer gegen dessen Kopf, eine fremde bewegliche Sache, nämlich rund 5.500 Euro Bargeld, mit dem Vorsatz abzunötigen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Dieses Urteil wurde (nach nicht näher spezifizierter Anmeldung von Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gleich nach Ende der Hauptverhandlung ‑ ON 90 S 48) der als Wahlverteidigerin (ON 58) bevollmächtigten deutschen Rechtsanwaltskanzlei B***** & Kollegen (darunter Rechtsanwalt Hanns B*****) samt Protokoll über die Hauptverhandlung im Wege des namhaft gemachten (österreichischen) Einvernehmensrechtsanwalts Dr. Gernot H***** (ON 59) am 21. Oktober 2014 zugestellt (Rückschein bei ON 91). Mit Faxnachricht vom 27. Oktober 2014 gab die Wahlverteidigung (durch Rechtsanwalt Hanns B*****) bekannt, dass das Mandat beendet sei (ON 95), weshalb dem Angeklagten M***** über dessen Antrag nunmehr ein Verfahrenshilfeverteidiger beigegeben wurde (ON 1 S 39, ON 95 und ON 96). Letzterem wurde das Urteil sodann samt Hauptverhandlungsprotokoll (neuerlich) und einer Ablichtung der Akten am 4. November 2014 zugestellt (Verfügung samt Rückschein bei ON 96).

Rechtliche Beurteilung

Mit seiner am 28. November 2014 (ON 98) durch den bestellten Verfahrenshilfeverteidiger ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerde macht der Angeklagte Rafal M***** die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 1a, Z 5a und Z 10 StPO geltend.

Nach Zustellung der für eine Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verspätung eintretenden Stellungnahme der Generalprokuratur langte (rechtzeitig) ein Antrag des Rafal M***** auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung seiner Rechtsmittel ein.

Zum Wiedereinsetzungsantrag:

Sein Begehren auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stützt der Angeklagte M***** darauf, dass sein neuer Verteidiger weder mit dem Bestellungsbescheid der Rechtsanwaltskammer noch bei Zustellung der relevanten Schriftstücke auf die bereits zuvor erfolgte Urteilszustellung an den Einvernehmensanwalt der bevollmächtigt gewesenen deutschen Anwaltskanzlei hingewiesen worden sei. Weder seine gewählten Verteidiger noch den bestellten Verfahrenshelfer treffe ein höhergradiges Verschulden an der Fristversäumung. Der Letzterem übermittelten Aktenabschrift seien Vorgänge wie die seinerzeitige Vollmachtsanzeige, die Bestätigung des Einvernehmensanwalts (§ 5 Abs 1 EIRAG), oder die Vollmachtsauflösung nicht zu entnehmen gewesen (vgl allerdings die Protokolle über Haftverhandlungen [ON 61, ON 67] und jenes über die Hauptverhandlung [ON 90 S 2] mit Hinweisen auf das Einschreiten der Rechtsanwältin Verena H***** für die deutsche Anwaltskanzlei bzw Rechtsanwalt Hanns B*****). Aufgrund der Auflösung des Vollmachtverhältnisses habe zwischen der seinerzeitigen Wahlverteidigung und dem Angeklagten kein Vertrauensverhältnis mehr bestanden, weshalb von einer Untersagung der weiteren Tätigkeit auszugehen sei.

Nach § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einem Angeklagten ‑ neben anderen, hier nicht aktuellen Fällen ‑ gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels zu bewilligen, sofern er nachweist, dass ihm die Einhaltung der Frist durch unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.

Damit hat der Wiedereinsetzungswerber nicht nur für sein eigenes Verschulden, sondern auch für das seines Rechtsvertreters einzustehen, der einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegt (RIS‑Justiz RS0101272).

Vorliegend wäre schon die Wahlverteidigung gemäß § 63 Abs 2 zweiter Satz StPO verpflichtet gewesen, die angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde - ungeachtet der während der laufenden Rechtsmittelfrist erfolgten Vollmachtskündigung und des Antrags auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers und dessen tatsächlicher Bestellung ‑ auszuführen (vgl Achammer, WK‑StPO § 63 Rz 16 ff; 11 Os 69/13a; 13 Os 142/09w; RIS‑Justiz RS0125686), zumal ihr die Vornahme weiterer Prozesshandlungen von dem von der Vollmachtsauflösung überraschten Angeklagten gerade nicht ausdrücklich untersagt worden ist (vgl den Aktenvermerk vom 28. Oktober 2014 in ON 95). Dass die Rechtsmittelausführung in Folge unvorhergesehener oder unabwendbarer Ereignisse nicht möglich gewesen wäre, wird im Wiedereinsetzungsantrag nicht behauptet. Diese Säumnis ist dem Angeklagten zuzurechnen, sodass bereits aus diesem Grund die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht vorliegen. Neues Vorbringen in der Äußerung der Verteidigung zur Stellungnahme der Generalprokuratur zum Wiedereinsetzungsantrag vom 23. Dezember 2014 ist aufgrund der Konsumation des Rechtsbehelfs durch den Antrag vom Dezember 2014 unbeachtlich (vgl RIS‑Justiz RS0101444). Im Übrigen ist auch der angeblichen Auskunft durch das Erstgericht, der ehemalige Verteidiger müsse das Rechtsmittel ausführen, solange es keinen neuen gebe, keine Fehlinformation über den Beginn der Rechtsmittelfrist oder die Regelung des § 63 Abs 2 StPO zu entnehmen.

Die Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung beim Verfahrenshilfeverteidiger erfüllt gewesen wären, kann daher auf sich beruhen.

Das Gericht war weder dazu verhalten, die Einhaltung der dem Wahlverteidiger gemäß § 63 Abs 2 letzter Satz StPO, § 11 Abs 2 RAO obliegenden Verpflichtung durch diesen zu überprüfen noch dazu, innerhalb laufender Frist einen Amts‑ oder Verfahrenshilfeverteidiger zu bestellen oder den Angeklagten auf die Bestimmung des § 63 Abs 1 StPO hinzuweisen (wonach die Beigebung eines Verfahrenshelfers fristunterbrechend beantragt werden kann), weil diese Bestimmung nicht für Fälle bereits erfolgter Zustellung an einen Wahlverteidiger gilt (RIS‑Justiz RS0116182; Achammer, WK‑StPO § 63 Rz 4, 8; Ratz, WK‑StPO § 285 Rz 2; 11 Os 204/09y).

Eine ‑ vom EGMR nur in Betreff grober Versäumnisse des Pflichtverteidigers bejahte (vgl Pühringer, RZ 2009, 230 [233]) ‑ Verpflichtung nationaler Behörden, in derartigen Fällen zu Gunsten des Angeklagten einzugreifen, besteht nicht, weil das Verhältnis zwischen Angeklagtem und einem Wahlverteidiger nicht unter dem Schutz des Art 6 Abs 3 MRK steht (RIS‑Justiz RS0116182).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung:

Da die Beigebung eines Verteidigers gemäß § 61 Abs 2 StPO erst nach Zustellung des Urteils an die Wahlverteidigung (im Wege des Einvernehmensrechtsanwalts) erfolgt ist, blieb der Lauf der Rechtsmittelfrist davon unberührt (§ 63 Abs 2 StPO; RIS‑Justiz RS0116182 [T8, T12, T13]). Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher mangels Erfolges des Wiedereinsetzungsbegehrens bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 Z 1 (§ 285a Z 2) StPO als verspätet zurückzuweisen. Dies gilt ebenso für die gleichfalls verspätet ausgeführte Berufung, weil der Angeklagte bei deren Anmeldung (ON 90 S 48) nicht deutlich erklärte (§ 296 Abs 2 iVm § 294 Abs 4 StPO; RIS‑Justiz RS0100042, RS0100395; Ratz, WK‑StPO § 294 Rz 10 und § 296 Rz 5), ob er den Sanktions‑ oder den Adhäsionsausspruch bekämpfe (§§ 285d Abs 1 Z 1, 294 Abs 4 StPO).

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten C***** werden die Akten dem Oberlandesgericht zugeleitet (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

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