Spruch:
Im Strafverfahren gegen Thomas Richard B***** AZ 124 Hv 63/02x des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde durch die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Beiziehung eines Verteidigers das Gesetz in der Bestimmung des § 41 Abs 1 Z 2 StPO verletzt.
Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 24. Juli 2002, GZ 124 Hv 63/02x-19, aufgehoben und diesem Gericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung unter Beiziehung eines Verteidigers aufgetragen.
Text
Gründe:
Im Strafverfahren AZ 124 Hv 63/02x des Landesgerichtes für Strafsachen Wien legte die Staatsanwaltschaft Wien mit Strafantrag vom 10. Juni 2002 Thomas Richard B***** ua das Verbrechen der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB zur Last (ON 16). Der Einzelrichter beraumte die Hauptverhandlung für den 24. Juli 2002 an (ON 17), ohne den Beschuldigten gemäß § 41 Abs 3 StPO aufzufordern, entweder einen Verteidiger zu wählen oder die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach § 41 Abs 2 StPO zu beantragen. Er unterließ es auch, dem Beschuldigten gemäß § 488 Z 1 letzter Satz StPO von Amts wegen einen Verteidiger beizugeben. In dieser Hauptverhandlung (ON 18), die entgegen § 41 Abs 1 Z 2 StPO ohne Beiziehung eines Verteidigers durchgeführt wurde, wurde der Beschuldigte des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB (ua in Verbindung mit §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB) schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt (ON 19).
Der Beschuldigte meldete am 25. Juli 2002 Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an (ON 21), die er nach Zustellung einer Urteilsausfertigung nicht schriftlich ausführte. Über die Berufung wurde bisher nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Beiziehung eines Verteidigers für den Beschuldigten steht, wie der Generalprokurator in seiner deswegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Gemäß § 41 Abs 1 Z 2 StPO bedarf der Beschuldigte in der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter eines Verteidigers, wenn für die Tat, außer in den Fällen der §§ 129 Z 1 bis 3 und 164 Abs 4 StGB, eine drei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe angedroht ist. Entscheidend für die Notwendigkeit der Beiziehung eines Verteidigers ist die Strafdrohung der unter Anklage gestellten Tat, mag auch die im Urteil vorgenommene Subsumtion zu einem geringeren Strafrahmen führen (Mayerhofer StPO4 E 67; Foregger/Fabrizy StPO8 Rz 3 jeweils zu § 41). Auf Grund der gesetzlichen Strafdrohung des § 106 Abs 1 StGB (sechs Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe) war im vorliegenden Verfahren die Vertretung des Beschuldigten durch einen Verteidiger in der Hauptverhandlung zwingend vorgeschrieben. Die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Zuziehung eines Verteidigers verletzte somit das Gesetz in der Bestimmung des § 41 Abs 1 Z 2 StPO (11 Os 122/97 und die dort zitierten Entscheidungen).
Das solcherart zu Stande gekommene Urteil ist gemäß §§ 489 Abs 1, 281 Abs 1 Z 1a StPO nichtig. Da fallbezogen eine Benachteiligung des Thomas Richard B***** durch die gesetzwidrig abgeführte Hauptverhandlung nicht ausgeschlossen werden kann, war das Urteil aufzuheben und die neuerliche Verhandlung und Entscheidung unter Beiziehung eines Verteidigers anzuordnen (Mayerhofer aaO § 292 E 28a bis 30).
Obwohl in dem neu durchzuführenden Verfahren über den Beschuldigten infolge des Verschlimmerungsverbotes (§§ 293 Abs 3, 290 Abs 2 StPO) keine strengere als eine sechsmonatige, bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe verhängt werden darf, besteht für die Hauptverhandlung Verteidigerzwang, weil weiterhin von der Strafdrohung der ihm im Strafantrag angelasteten Delikte auszugehen ist (12 Os 174/96).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)