European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00143.21W.0208.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde N* K* jeweils mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach §§ 201 Abs 2, 15 StGB idF BGBl I 2001/130 (I./), der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 (II./), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 (teils iVm § 15) StGB (III./), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15, 206 (richtig:) Abs 1 StGB (IV./), der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB idF BGBl 1989/242 (V./1./, 4./ und 5./), der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 (V./2./), der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (V./3./), des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (VI./), des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 (richtig:) Abs 1 (teils iVm § 15) StGB (VII./), der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (VIII./) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 (teils iVm § 15) StGB (IX./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in B* und andernorts – verkürzt wiedergegeben –
I./ außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB andere mit Gewalt zur Duldung dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, zu 1./ und 2./ zu nötigen versucht, indem er
1./ im Zeitraum 17. September 2002 bis zur Vollendung dessen 14. Lebensjahres den am * 1989 geborenen C* K* am Kopf packte und in Richtung seines nackten Penis drückte, damit dieser den Oralverkehr an ihm durchführe;
2./ im Zeitraum 30. Oktober 2001 bis 30. April 2004 in einer Vielzahl von Angriffen, zirka alle zwei Wochen, den am * 1989 geborenen C* K* an den Händen/Handgelenken gegen die Wand, den Türstock oder das Bett drückte und diese fixierte oder ihn bäuchlings am Boden an den Handgelenken und Füßen fixierte, sodann dessen „Pobacken“ auseinander zog, seinen nackten erigierten Penis dazwischen legte und Vor- und Rückwärtsbewegungen machte, dessen Penis betastete und gleichzeitig versuchte, seinen Penis in dessen Anus einzuführen;
3./ im Zeitraum 1. Juli 2002 bis 30. April 2004 in mindestens zehn Angriffen mit dem am * 1988 geborenen Ü* K* den Analverkehr vollzog, während dieser am Boden kniete und er dessen Arme hinter dessen Rücken verschränkte und festhielt, wodurch dieser Blutungen und Schmerzen im Analbereich erlitt;
4./ im Zeitraum 30. Oktober 2001 bis zur Vollendung dessen 14. Lebensjahres den am * 1988 geborenen Ü* K* festhielt und den Oralverkehr an ihm vollzog;
II./ C* K* im Zeitraum 1. Mai 2004 bis 17. September 2005 in einer Vielzahl von Angriffen, zirka alle zwei Wochen, mit Gewalt zur Duldung dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen zu nötigen versucht, indem er ihn an den Händen/Handgelenken gegen die Wand, den Türstock oder das Bett drückte und diese fixierte oder ihn bäuchlings am Boden an den Handgelenken und Füßen fixierte, sodann dessen „Pobacken“ auseinander zog, seinen nackten erigierten Penis dazwischen legte und Vor- und Rückwärtsbewegungen machte, dessen Penis betastete und gleichzeitig versuchte, seinen nackten erigierten Penis in dessen Anus einzuführen;
III./ mit unmündigen Personen dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, zu 1./ und 2./ zu unternehmen versucht, und zwar
1./ durch die zu Punkt I./1./ beschriebene Tathandlung;
2./ durch die zu Punkt I./2./ beschriebenen Tathandlungen;
3./ durch die zu Punkt I./4./ beschriebene Tathandlung;
IV./ im Zeitraum 30. Oktober 2001 bis zur Vollendung dessen 14. Lebensjahres eine unmündige Person zur Vornahme dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen an ihm zu verleiten versucht, indem er den am * 1988 geborenen Ü* K* wiederholt aufforderte, den Oralverkehr an ihm zu vollziehen;
V./ außer den Fällen des § 201 StGB nachstehende Personen mit Gewalt zur Duldung geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er
1./ im Zeitraum 30. Oktober 2001 bis 30. April 2004 in einer Vielzahl von Angriffen, zumindest einmal wöchentlich, den am * 1989 geborenen C* K* an den Händen/Handgelenken gegen die Wand oder den Türstock drückte oder ihn bäuchlings am Boden an den Händen und Füßen fixierte und sodann seinen erigierten Penis über der Kleidung mehrere Minuten an dessen Gesäß rieb und teilweise gleichzeitig dessen Penis massierte;
2./ die zu Punkt 1./ beschriebenen Tathandlungen auch im Zeitraum 1. Mai 2004 bis 17. September 2005 zumindest einmal wöchentlich setzte;
3./ im Zeitraum 20. Dezember 2010 bis 20. Dezember 2014 zumindest zwei Mal den am * 2003 geborenen M* K* an der Hüfte festhielt, seinen Penis über die Kleidung gegen dessen Gesäß presste und Stoßbewegungen durchführte;
4./ im Zeitraum 1. Juli 1989 bis zur Vollendung dessen 14. Lebensjahres in einer Vielzahl von Angriffen, etwa alle drei bis fünf Monate, den am * 1980 geborenen * N* auf seinen Schoß nahm, ihn mit seinen Armen umklammerte und festhielt, seinen erigierten Penis über der Kleidung an dessen Gesäß presste und Stoßbewegungen durchführte;
5./ im Zeitraum 30. Oktober 2001 bis zur Vollendung dessen 14. Lebensjahres den am * 1988 geborenen Ü* K* wiederholt mit einer Hand festhielt und mit der anderen Hand dessen bekleideten sowie unbekleideten Penis betastete;
VI./ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an unmündigen Personen vorgenommen, und zwar
1./ im Zeitraum 30. Oktober 2001 bis zur Vollendung dessen 14. Lebensjahres durch die zu V./1./ beschriebenen Tathandlungen;
2./ durch die in Punkt V./3./ beschriebenen Tathandlungen;
3./ indem er im Sommer 2013 den am * 2002 geborenen * Y* am nackten Gesäß streichelte sowie dessen nackten Penis für zumindest zwei Minuten knetete;
4./ durch die zu Punkt V./5./ beschriebenen Tathandlungen;
5./ indem er im Zeitraum 30. Oktober 2001 bis zur Vollendung dessen 14. Lebensjahres die Handonanie an dem am * 1988 geborenen Ü* K* vollzog;
VII./ unmündige Personen zu einer geschlechtlichen Handlung an ihm verleitet, zu 2./ zu verleiten versucht, indem er
1./ im Zeitraum 30. Oktober 2001 bis zur Vollendung dessen 14. Lebensjahres den am * 1989 geborenen C* K* aufforderte, seinen nackten Penis anzufassen, was dieser auch tat;
2./ im Zeitraum 30. Oktober 2001 biszur Vollendung dessen 14. Lebensjahres den am * 1988 geborenen Ü* K* wiederholt aufforderte, seinen nackten Penis anzufassen;
VIII./ durch die zu Punkt V./4./ geschilderten Tathandlungen im Zeitraum (richtig [vgl US 16 f]:) 1. Juli 1989 bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres des * N* eine unmündige Person auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht;
IX./ durch die C* K* und Ü* K* betreffenden Tathandlungen teilweise mit minderjährigen Personen, die seiner Aufsicht unterstanden, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber diesen Personen geschlechtliche Handlungen vorgenommen, vorzunehmen versucht sowie versucht, von einer solchen Person an sich vornehmen zu lassen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 5a sowie „9a und 9b“ StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Die Verfahrensrüge (Z 3 „in eventu“ Z 4) behauptet eine Verletzung der Bestimmung des § 159 Abs 3 StPO mangels ausdrücklicher Belehrung der Zeugen C* K*, Ü* K* und M* K* über ihr Aussagebefreiungsrecht gemäß § 156 Abs 1 Z 1 StPO. Sie übersieht, dass der Angehörigenbegriff des § 72 StGB – aus der Sicht des von § 156 StPO angesprochenen Zeugen – zwar die Geschwister der Eltern umfasst, nicht jedoch deren Ehepartner (vgl Jerabek/Ropper in WK² StGB § 72 Rz 8; US 51).
[5] Durch die Abweisung (ON 37 S 26) des in der Hauptverhandlung am 26. Mai 2021 gestellten Beweisantrags auf Durchführung eines Lokalaugenscheins „zum Beweis dafür, dass Keller, Erdgeschoß und erstes Obergeschoß hellhörig und alt sind, zudem sehr eng und ineinander verschachtelt, sodass es denkunmöglich ist, dass in diesen Räumlichkeiten sexuelle Handlungen der geschilderten Art gemacht wurden, zumal dies andere Bewohner bzw Besucher auf alle Fälle mitbekommen hätten“ (ON 36 S 15 f), wurde der Beschwerdeführer der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider nicht in Verteidigungsrechten verletzt. Da der Antrag nicht erkennen ließ, aufgrund welcher Verfahrensergebnisse es möglich sein sollte, die genaue Position von zu den Tatzeiten in der näheren Umgebung des Tatorts allfällig anwesenden Personen nachzuvollziehen, lief dieser auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung hinaus (RIS‑Justiz RS0118444). Die im Rechtsmittel nachgetragene Antragsbegründung ist prozessual verspätet (RIS‑Justiz RS0099618).
[6] Indem sowohl Mängel- (nominell Z 5 dritter und vierter Fall) als auch Tatsachenrüge (Z 5a) eigenständige Spekulationen anstellen, wonach es bei der festgestellten Häufigkeit der sexuellen Übergriffe „denkunmöglich“ und „unvorstellbar“ sei, dass dies nicht „zumindest andere Familienmitglieder mitbekommen“ hätten und sich die Opfer „zweifelsohne“ untereinander oder einer ihr nahestehenden Person anvertraut hätten, bringen sie weder einen formellen Begründungsmangel zur Darstellung noch gelingt es ihnen solcherart, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken. Vielmehr erschöpfen sie sich in einer (bloßen) Kritik an der – sich im Übrigen nicht auf eine Nacherzählung der Zeugenaussagen beschränkenden (US 39 ff) – Beweiswürdigung des Erstgerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.
[7] Nominell geltend gemachte Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) liegt nur bei unrichtiger Wiedergabe des Inhalts von Beweismitteln vor (RIS‑Justiz RS0099431), während aus Verfahrensergebnissen gezogene Schlussfolgerungen der Tatrichter als Anfechtungsbasis ausscheiden. Dies verkennt die Mängelrüge, wenn sie aus der vorgelegten Bestätigung des Krankenhauses B* in Zusammenschau mit der Aussage des M* K* selbstständig ableitet, dass der Übergriff auf * Y* (VI./3./) aufgrund der Abwesenheit des Angeklagten von 11. bis 15. August 2013 nicht stattgefunden haben könne (vgl aber US 44).
[8] Die Rechtsrüge (Z 9 lit b, nominell auch [teilweise „vorsichtshalber“] 9 lit a) gründet das Argument der Verjährung hinsichtlich Schuldspruchpunkt V./4./ aus einer isolierten Betrachtung des diesem zugrunde liegenden Tatzeitraums, ohne an der Bestimmung des § 58 Abs 3 Z 3 StGB (idF BGBl 1998/153) Maß zu nehmen und verfehlt solcherart den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt (RIS‑Justiz RS0116569; überdies rechtsrichtig US 50 f). Dies gilt infolge gänzliches Übergehens der zu jedem Schuldspruchpunkt hiezu getroffenen Konstatierungen des Erstgerichts auch für den weiteren unter diesem Titel erhobenen Vorwurf, „die subjektiven Feststellungen zu den Tathandlungen des Angeklagten [seien] viel zu wenig begründet“ (RIS‑Justiz RS0099810).
[9] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher die Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
[10] Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bleibt anzumerken, dass beim Günstigkeitsvergleich stets zu prüfen ist, welches Gesetz in seiner Gesamtauswirkung für den Täter günstiger wäre. Im Fall der Idealkonkurrenz ist die (einzelne) Tat, also der zu beurteilende Lebenssachverhalt, in Bezug auf alle eintätig zusammentreffenden strafbaren Handlungen (ohne Kombination verschiedener Rechtsschichten) nach Maßgabe des § 61 zweiter Satz StGB entweder dem Urteilszeit- oder dem Tatzeitrecht zu unterstellen (RIS‑Justiz RS0089011 [T3]; jüngst 11 Os 125/21y).
[11] Da das Erstgericht zu I./ des Schuldspruchs auf die inkriminierten Taten wegen der nach Urteilszeitrecht strengeren Strafdrohung (Untergrenze des § 201 Abs 1 StGB) zutreffend § 201 Abs 2 StGB idF BGBl I 2001/130 anwendete, hätte es diese zu III./ § 206 Abs 1 StGB idF BGBl I 2001/130 (III./) bzw idF BGBl 1998/135 (soweit die Schuldsprüche III./2./ und 3./ auch Taten vor dem 1. Jänner 2002 umfassen) subsumieren müssen. Urteilszeitrecht (fallbezogen § 202 Abs 1 StGB) wäre richtigerweise auf sämtliche (somit auch jene zu V./1./ und 4./) Taten anzuwenden gewesen, die mit den (korrekt) § 207 Abs 1 StGB (idgF) unterstellten (VI./1./ und 5./) idealkonkurrieren (weil die Strafdrohung des § 207 Abs 1 StGB gleich blieb und jene des § 202 Abs 1 StGB weder zur Tat‑ noch zur Urteilszeit strenger war. Dass § 202 Abs 1 zur Tatzeit – isoliert betrachtet – milder strafbedroht war als zur Urteilszeit, ist ohne Bedeutung – zB 11 Os 81/21b). Der Schuldspruch zu IX./ wegen Vergehen nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB idgF erfolgte idealiter zu II./ (richtig: idF BGBl I 2004/15) gleichermaßen rechtsfehlerhaft.
[12] Diese Subsumtionsfehler tangierten den angewendeten Strafrahmen jedoch nicht und wirken sich dementsprechend in concreto nicht zum Nachteil des Angeklagten aus (Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 22 f). Das Berufungsgericht ist bei der Entscheidung über die Straffrage an den insoweit fehlerhaften Schuldspruch nicht gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).
[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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