OGH 11Os14/16t

OGH11Os14/16t10.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Mai 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel‑Kwapinski und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberessl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Margreiter, LL.B., als Schriftführerin in der Strafsache gegen E***** Y***** wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 153 Abs 1, Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 13. Oktober 2015, GZ 7 Hv 114/14w‑86, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00014.16T.0510.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen, demgemäß auch im Strafausspruch sowie im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche nach § 369 Abs 1 StPO aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache dazu an das Landesgericht Wels verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen, überdies unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Freisprüche (B./; zu Unrecht von der rechtlichen Kategorie; Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 1) enthaltenden Urteil wurde E***** Y***** des Verbrechens der betrügerischen Krida nach §§ 156 Abs 1, Abs 2, 161 Abs 1 StGB (II./) sowie der Vergehen der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach §§ 159 Abs 1, Abs 5 Z 3, 161 Abs 1 StGB (I./) und des Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 153c Abs 1, Abs 2 StGB (III./) schuldig erkannt.

 

Danach hat er in W***** als Geschäftsführer der T***** GmbH

I./ grob fahrlässig die Zahlungsunfähigkeit dieser Gesellschaft dadurch herbeigeführt, dass er kridaträchtig handelte, indem er übermäßigen [mit den Vermögensverhältnissen oder der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gesellschaft in auffallendem Widerspruch stehenden] Aufwand trieb, nämlich

1./ von Februar 2008 bis Juli 2011 einen Mietaufwand in der Höhe von 32.000 Euro übernahm;

2./ sich von Februar 2006 bis Februar 2009 Provisionen in der Höhe von 55.772,80 Euro ausbezahlen ließ;

II./ im Zeitraum 2004/2005 bis Jänner 2012 einen Bestandteil des Vermögens der T***** GmbH, die Schuldnerin mehrerer Gläubiger war, „verheimlicht, beiseite geschafft, veräußert oder beschädigt, eine nicht bestehende Verbindlichkeit vorgeschützt oder anerkannt oder sonst sein Vermögen wirklich oder zum Schein verringert und dadurch die Befriedigung seiner Gläubiger oder wenigstens eines von ihnen vereitelt oder geschmälert“ und durch die Tat einen 50.000 Euro übersteigenden Schaden herbeigeführt, indem er

a./ Forderungen im Zusammenhang mit im Urteil genannten Unternehmen der Familie bzw seiner Person selbst in Höhe von ca 1,9 Millionen Euro in der Buchhaltung der Gesellschaft „als offen auswies, welche durch Überzahlungen zustande gekommen sind“ und

b./ von 2008 bis 2012 Anlagevermögen im Gesamtwert von 74.724,92 Euro beiseite schaffte und weiters 9.000 Euro an liquiden Mitteln verbrachte, indem er die Mittel aus einem Autoverkauf nicht erfasste;

III./ von Juni 2010 bis Juli 2011 als Dienstgeber Beiträge eines Dienstnehmers zur Sozialversicherung in der Höhe von 67.740,76 Euro dem berechtigten Versicherungsträger vorenthalten.

 

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Schuldsprüche richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 [lit] a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

 

Die Mängelrüge behauptet eine unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) jener Feststellungen, die auf in der „Hauptverhandlung vom 20. Oktober 2014“ (ON 32) und in der in geänderter (dann bis zuletzt gleichbleibender) Senatsbesetzung durchgeführten „Hauptverhandlung vom 6. Juli 2015“ (ON 68) vorgekommene Beweismittel gründen, weil der in der erstgenannten Verhandlung einvernehmlich erklärte „Verzicht auf Neudurchführung wegen Zeitablaufs und Richterwechsels“ in Ansehung der geänderten Senatsbesetzung im Gesetz nicht vorgesehen ist und sich hinsichtlich der Überschreitung der Zweimonatsfrist des § 276a StPO nur auf die Hauptverhandlung vom 20. Oktober 2014 bezog.

§ 276a StPO sieht für den Fall der Vertagung einer bereits begonnenen Verhandlung vor, dass der Vorsitzende in der späteren Verhandlung die wesentlichen Ergebnisse der früheren nach dem Protokoll und den sonst zu berücksichtigenden Akten mündlich vortragen und die Fortsetzung der Verhandlung daran anknüpfen kann. Die Verhandlung ist jedoch zu wiederholen, wenn sich die Zusammensetzung des Gerichts geändert hat oder seit der Vertagung mehr als zwei Monate verstrichen sind, es sei denn, dass beide Teile auf die Wiederholung wegen Überschreitung der Frist von zwei Monaten verzichten.

Der Beschwerdeführer macht geltend, dass der am 20. Oktober 2014 erklärte Verzicht auf deren Neudurchführung „wegen Richterwechsels“ nicht möglich ist (Danek, WK-StPO § 276a Rz 8), verkennt jedoch, dass die „erste“ Verhandlung ausschließlich der Vernehmung des Angeklagten diente und dieser am 6. Juli 2015 auf seine früheren Angaben verwies (ON 68 S 6). Damit sind die Depositionen vom 20. Oktober 2014 in der nach Wechsel des Vorsitzenden in geänderter Senatsbesetzung durchgeführten „zweiten“ Hauptverhandlung vorgekommen.

Zutreffend erweist sich jedoch der Einwand, dass der am 20. Oktober 2014 erklärte (ON 32 S 8), entbehrlich am 6. Juli 2015 aufrecht erhaltene (ON 68 S 2) Verzicht auf Neudurchführung „wegen Zeitablaufs“ nicht für (weitere) zukünftige Hauptverhandlungen Gültigkeit habe.

Der ausdrücklich zu erklärende, unwiderrufliche und rechtswirksam bereits zum Zeitpunkt der Vertagung mögliche (Danek, WK-StPO § 276a Rz 8) Verzicht bezieht sich ausschließlich auf die im Verzichtszeitpunkt bereits durchgeführten und die nächstfolgende, nicht aber auf allfällige künftig erst anzuberaumende weitere Verhandlungen. Andernfalls wüssten die Verzichtenden nicht, wozu sie ihre Einwilligung erteilten (Bertel/Venier, Komm zur StPO, § 276a Rz 1) und könnten solcherart weder Gegenstand noch Tragweite eines Verzichts abschätzen. Weder bei der Vertagung am 6. Juli 2015 (ON 68 S 88) noch eingangs der späteren Verhandlung erfolgte aber ein ausdrücklicher Verzicht durch den Verteidiger, der im Gegenteil am 13. Oktober 2015 erklärte, dass „für diese Verhandlung nicht auf Wiederholung verzichtet wurde“ (ON 85 S 2).

Solcherart sind die in der „ersten“ und „zweiten“ Verhandlung gewonnenen Verfahrensergebnisse mit Ausnahme der Expertise des Buchsachverständigen, der in der Hauptverhandlung am 13. Oktober 2015 (ON 85) auf alle (somit auch auf die in der „zweiten“ Verhandlung [ON 68 S 40 ff]) in diesem Verfahren „bisher erstatteten Gutachten“ verwiesen hat (ON 85 S 5), in der (letzten) Hauptverhandlung nicht vorgekommen.

Im Besonderen fand die alle Schuldspruchpunkte betreffende Verantwortung des Angeklagten aus der ersten (ON 32 S 3 ff) und „zweiten“ Verhandlung (ON 68 S 6 ff), keinen Eingang in die letzte Hauptverhandlung, in der der Angeklagte nur mehr punktuell ergänzende Fragen seines Verteidigers und vereinzelt auch seitens der vorsitzenden Richterin (ON 85 S 14, 17, 19 und 21 f) beantwortete. Aus den in der (letzten) Hauptverhandlung einverständlich „gemäß § 245 Abs 1 StPO“ verlesenen (ON 85 S 29) Angaben des Angeklagten im Ermittlungsverfahren ist nichts zu gewinnen, weil sich der Angeklagte der Aussage entschlagen hat (ON 6 S 733 ff).

Soweit die Konstatierungen zur de-facto-Geschäftsführung durch den Angeklagten (I./2./ und II./a./; US 15), vor allem aber „die Feststellungen zum gesamten (somit ersichtlich alle Schuldsprüche betreffenden) objektiven Tathergang, insbesondere zur Ursächlichkeit der Handlungen für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, zur Firmenstruktur, zum Zeitpunkt der objektiven und subjektiven Erkennbarkeit [der Zahlungsunfähigkeit] sowie den Ursachen dafür“ zum Teil (somit keineswegs bloß illustrativ [RIS-Justiz RS0098539, RS0099488, RS0113210]) auf den Angaben des Angeklagten fußen (US 18), und die Tatrichter davon ausgingen, dass der Angeklagte die „nicht gute“ Situation des Unternehmens selbst zugestanden hat (US 18), blieben diese Urteilsannahmen mangels Vorkommens der im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigten Verantwortung des Angeklagten in der letzten Hauptverhandlung unzureichend begründet.

Darüber hinaus durften die Aussagen der (ausnahmslos in der „zweiten“ Verhandlung vernommenen [ON 68]) Zeugen nicht zur Begründung der Schuldsprüche herangezogen werden. In diesem Zusammenhang rügt der Beschwerdeführer zutreffend die Verwertung insbesondere der belastenden Angaben der Zeugin Claudia M***** (ON 68 S 30 ff) im Rahmen der Begründung des Schuldspruchs III./, wie jene der Zeugin Siegrid T***** (ON 68 S 34 ff), die zum Schuldspruch I./1./ die Angaben des Sachverständigen bestätigte und jenen des Angeklagten widersprach (US 15).

Den Schuldsprüchen haftet daher Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO an.

Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, war somit ‑ wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte ‑ im Umfang der Schuldsprüche, demzufolge auch in den Aussprüchen über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche gemäß § 369 Abs 1 StPO aufzuheben und in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung anzuordnen.

Demgemäß erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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