Spruch:
Im Verfahren zum AZ 7 a E Vr 108/95 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde durch die Nichterledigung des vom Beschuldigten Erich R***** gestellten Antrages auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers und die hierauf erfolgte Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung, ferner die Zustellung der Urteilsausfertigung zur Ausführung der angemeldeten Berufung an Erich R***** und die Aktenvorlage an das Rechtsmittelgericht ohne Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers das Gesetz in der Bestimmung des § 41 Abs 2 StPO verletzt.
Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14.Februar 1995, GZ 7 a E Vr 708/95-10, das im Freispruch unberührt bleibt, im übrigen (einschließlich des Ausspruches über die Verlängerung der Probezeit gemäß § 494 a Abs 6 StPO) aufgehoben und die Sache insoweit zur Verfahrenserneuerung (nach Entscheidung über den Antrag vom 2.Februar 1995 auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers) an das Strafbezirksgericht Wien verwiesen.
Text
Gründe:
Erich R***** wurde in dem beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 7 a E Vr 108/95 anhängigen Strafverfahren mit Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wien vom 28.Dezember 1994 (ON 3) vorgeworfen, die Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (I), der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (II/1) und des versuchten Hausfriedensbruchs nach §§ 15, 109 Abs 1 StGB (II/2) begangen zu haben, und zwar jenes der Sachbeschädigung am 4.September 1994 in Wien durch heftiges Schlagen gegen eine Wohnungstür (Schaden ca 15.000 S).
Am 7.Februar 1995, somit sieben Tage vor der vom Einzelrichter für den 14.Februar 1995 anberaumten Hauptverhandlung, zu der im Sinne des Antrages der Staatsanwaltschaft Silvia F***** als Zeugin geladen worden war, langte beim Einzelrichter ein Schreiben des Beschuldigten vom 2.Februar 1995 ein, in dem er mit dem Hinweis, Bezieher einer Notstandshilfe zu sein, "trotz des schon sehr knappen Termins" um "Verfahrenshilfe" ersuchte. Der Einzelrichter entschied über diesen Antrag nicht, sondern hielt auf der Eingabe lediglich mit Amtsvermerk vom 7.Februar 1995 fest, daß eine "Bestellung im Hinblick auf die Hauptverhandlung nicht mehr möglich" sei (ON 5).
Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14.Februar 1995, GZ 7 a E Vr 708/95-10, wurde der ohne Beiziehung eines Verteidigers erschienene Beschuldigte des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB schuldig erkannt, von den weiteren Anklagevorwürfen aber gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Zugleich sah der Einzelrichter gemäß "§ 53 Abs 2 StGB in Verbindung mit § 494 a Abs 1 Z 2 StPO" (58) mit Beschluß hinsichtlich zweier früherer Verurteilungen des Beschuldigten vom Widerruf der bedingten Nachsicht der dort verhängten Freiheitsstrafen ab und verlängerte die Probezeit jeweils auf fünf Jahre.
Obgleich der Beschuldigte noch in der Hauptverhandlung Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe anmeldete (54) und seinen Antrag vom 2. Februar 1995 auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers gemäß § 41 Abs 2 StPO keineswegs nur auf die Hauptverhandlung beschränkt hatte, entschied der Einzelrichter auch nach der Hauptverhandlung nicht über den Antrag. Vielmehr ließ er das Urteil (trotz wirksamer Hinterlegung am 11.April 1995 - ON 12, 19 - noch ein zweites Mal - ON
20) an den Verurteilten und schließlich an Rechtsanwalt Dr.Rudolf M***** zustellen, der zwischenzeitig (am 17.Mai 1995) die Vollmachtserteilung bekanntgegeben und um Zustellung einer Urteilsausfertigung zu seinen Handen ersucht hatte (ON 22, 23). Die Frist zur Ausführung der Berufung war allerdings zu diesem Zeitpunkt schon abgelaufen. Eine Berufungsausführung wurde in weiterer Folge nicht erstattet. Vom Oberlandesgericht Wien wurde über die angemeldete Berufung bisher nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Die Nichterledigung des Antrages des Beschuldigten auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers verletzt - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht ausführt - das Gesetz in der Bestimmung des § 41 Abs 2 StPO.
Nach dieser Gesetzesstelle hat nämlich das Gericht dann, wenn der Beschuldigte (Angeklagte, Betroffene) außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhaltes die Kosten der Verteidigung zu tragen, auf Antrag des Beschuldigten zu beschließen, daß ihm ein Verteidiger beigegeben wird, dessen Kosten er nicht zu tragen hat, wenn und soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich ist (Verfahrenshilfeverteidiger). In diesem Sinn jedenfalls erforderlich ist die Beigebung eines Verteidigers nach dieser Gesetzesstelle nicht nur in den Fällen der notwendigen Verteidigung (§ 41 Abs 2 Z 1 StPO), sondern - unabhängig von der sachlichen Zuständigkeit, somit auch in jedem Verfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes oder des Bezirksgerichtes - unter anderem auch bei schwieriger Sach- und Rechtslage (Z 2) sowie zur Ausführung eines angemeldeten Rechtsmittels (Z 4) und für den Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über ein Rechtsmittel (Z 5).
Da im vorliegenden Fall eine prozeßordnungsgemäße Abweisung des Antrags nicht erfolgte (siehe hiezu auch § 41 Abs 7 StPO) und über den - nach der Aktenlage noch offenen - Antrag auch nach Anmeldung des Rechtsmittels der Berufung nicht entschieden wurde, erübrigt sich die Prüfung der Rechtzeitigkeit des Antrags (vgl Mayerhofer-Rieder, StPO3, § 41E 30 ).
Die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers war zum einen dadurch indiziert, daß der Angeklagte Bezieher einer Notstandshilfe ist; zum anderen war die Beigebung eines Verteidigers im vorliegenden Fall auch im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich (§ 41 Abs 2 Z 2 - bezogen auf die Sachlage zur Zeit der Antragstellung - und Z 4).
Obwohl der Angeklagte vom Vorwurf der (mit strengerer Strafe bedrohten) Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15 und 105 Abs 1 StGB und des versuchten Hausfriedensbruches nach §§ 15, 109 Abs 1 StGB rechtskräftig freigesprochen wurde und auch ein Widerruf der bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafen gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO nicht erfolgte, kann ein Nachteil für den Angeklagten nicht ausgeschlossen werden, sodaß über die Feststellung der Gesetzesverletzung hinaus (mit Teilaufhebung des Urteils) wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen war.
Da im erneuerten Verfahren nur mehr über den Anklagevorwurf in Richtung des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (laut Pkt II/1 des Strafantrages) und darüber abzusprechen sein wird, ob im Fall einer neuerlichen Verurteilung eine Verlängerung der Probezeit noch in Betracht kommt, war die Sache an das nunmehr sachlich und örtlich zuständige Strafbezirksgericht Wien zu verweisen (Mayerhofer/Rieder aaO § 288 E 48, 48 a, 49 a).
Die Berufung des Angeklagten ist damit gegenstandslos.
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