OGH 11Os12/12t

OGH11Os12/12t15.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. März 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Perovic als Schriftführer, in der Strafsache gegen Milan J***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 28. November 2011, GZ 42 Hv 69/11g-35, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Blaschitz, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem Schuldspruch II./ (ersatzlos) sowie demgemäß im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Milan J***** wird für das durch die zu I./ und II./ geschilderten Tathandlungen begangene Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB nach dieser Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe von 30 (dreißig) Monaten verurteilt.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung verwiesen.

Die Vorhaftanrechnung wird dem Erstgericht überlassen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Milan J***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./) und der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 201 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 1/2 Jahren verurteilt.

Inhaltlich des Schuldspruchs hat Milan J***** (zusammengefasst) am 7. August 2011 in Münchendorf Milica F*****

I./ mit Gewalt zur Vornahme dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen zu nötigen versucht und zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sich zunächst (wegen der Gegenwehr aber vergeblich) bemühte, deren Kopf gegen seinen Penis zu pressen und Oralverkehr zu erzwingen, sich sodann auf sie legte, ihre Beine auseinander zwängte, sie mit seinem Körpergewicht niederhielt und mit seinem Glied in ihre Scheide eindrang,

II./ außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Vornahme einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er ihre Hand packte, auf seinen Penis legte, festhielt und Masturbationsbewegungen durchführte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus Z 5 und 9 lit a (der Sache nach auch aus Z 10) des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der teilweise Berechtigung zukommt.

Der Schöffensenat zeigte sich aufgrund der als glaubwürdig befundenen Angaben der Milica F***** von der gewaltsamen Durchführung des Beischlafs durch den Angeklagten überzeugt. Das Erstgericht konnte sich dabei zusätzlich auf ein den Angeklagten hinsichtlich der Verursachung von Teilspuren belastendes DNA-Gutachten (ON 23) stützen (US 9). Die Tatrichter setzten sich auch mit dem der Aussage des Opfers allenfalls entgegenstehenden Passagen der Expertise auseinander, wonach sich im Zervikalkanal, am Damm und an den Schamlippen des Tatopfers keine bzw zu wenig, am Scheideneingang aber unbekannte männliche DNA-Spuren befanden (Z 5 zweiter Fall; US 10 f). Die von den Tatrichter hiefür gefundene Erklärung, wonach bei der Abnahme der DNA-Spuren möglicherweise nicht ganz sauber gearbeitet wurde, allenfalls männliches Personal zugegen oder der Tupfer bereits verunreinigt war, ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall), die nur eine den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen nicht widersprechende Begründung verlangt (RIS-Justiz RS0118317), nicht zu beanstanden.

Soweit die Mängelrüge diese Erwägungen der Tatrichter als nicht oder nicht zwingend nachvollziehbar bezeichnet, zeigt sie überdies keinen Begründungsmangel auf, sondern bekämpft unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei der Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 584).

Der gegen den Schuldspruch I./ gerichteten Rechtsrüge (Z 9 lit a) zuwider entspricht das festgestellte körperliche Niederdrücken und Auseinanderdrücken der Beine des den Geschlechtsverkehr ablehnenden Tatopfers (US 6 f) dem Gewaltbegriff des § 201 Abs 1 StGB. Nach ständiger Judikatur genügt jeder Einsatz einer nicht ganz unerheblichen physischen Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder vermuteten Widerstands. Es bedarf keiner besonderen Intensität der Kraftanwendung oder eines aktuellen Widerstands des Tatopfers. Gewaltausübung liegt vielmehr bereits dann vor, wenn der Krafteinsatz der präventiven Brechung des zu erwartenden Widerstands dient (RIS-Justiz RS0095260; Jerabek in WK2 § 74 Rz 35 f).

Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass der Rechtsmittelwerber die Feststellungen zur versuchten Erzwingung oraler Befriedigung übergeht (US 6) und sich damit auch nicht an der Verfahrensordnung orientiert.

Mit der Behauptung, die Handlungsweisen des Angeklagten hätten nur dem angeblich einverständlichen Eindringen und nicht der Brechung des Widerstands des Tatopfers gedient, bestreitet die Beschwerde die zur subjektiven Tatseite getroffenen Urteilsannahmen und entzieht sich damit einer meritorischen Erwiderung (US 9).

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen (§ 288 Abs 1 StPO).

Zutreffend zeigt der Beschwerdeführer hingegen auf, dass dem Schuldspruch II./ der materielle Nichtigkeitsgrund der (richtig:) Z 10 des § 281 Abs 1 StPO anhaftet.

Nach dem Tatsachensubstrat des Urteils stellen die zu I./ und II./ festgestellten Angriffe des Angeklagten eine von einheitlichem Vorsatz getragene tatbestandliche Handlungseinheit dar. Die gesonderte Subsumtion der gewaltsamen Nötigung des Vergewaltigungsopfers zur Vornahme eines Handverkehrs erweist sich demnach als verfehlt (vgl Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 28-31 Rz 89; Fabrizy, StGB10 § 201 Rz 9; Philipp in WK2 § 201 Rz 49; 13 Os 1/07g [verst Senat]; RIS-Justiz RS0117038, RS0120233).

Der dem Angeklagten zum Nachteil gereichende Schuldspruch nach § 202 Abs 1 StGB war zu beseitigen und demnach auch der Strafausspruch zu kassieren.

Bei der erforderlichen Strafneubemessung war die Ausnützung eines durch den Familienverband begründeten Vertrauensverhältnisses und die (wenngleich teilweise erfolglos gebliebene) Erzwingung der Duldung mehrerer sexueller Handlungen als erschwerend zu werten, als mildernd hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel des Angeklagten.

Bei einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe erweist sich eine solche von dreißig Monaten als tat- und schuldangemessen.

Der sich im Tatgeschehen manifestierende schwere Charaktermangel des Angeklagten lässt eine positive Prognose iSd § 43a Abs 4 StGB nicht zu.

Mit ihren Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe waren der Angeklagte und auch die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Die Vorhaftanrechnung obliegt dem Erstgericht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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