European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00116.17V.0130.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde der Angeklagte Nino K***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (I./), des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (II./) und der Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (III./) schuldig erkannt.
Danach hat er in Wien am 16. April 2016 Jhon J*****
I./ fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld in Höhe von 150 Euro mit Gewalt gegen dessen Person unter Verwendung einer Waffe, nämlich eines Messers, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, indem er, nachdem er mit J***** Geschlechtsverkehr hatte, auf die Bettkommode des Genannten zustürmte, die oberste Schublade öffnete und das Bargeld, das er zuvor als Entgelt für die Durchführung sexueller Handlungen übergeben hatte, an sich nahm und dabei J***** mit einem seitwärts zu öffnenden Springmesser mit einer Klingenlänge von elf Zentimetern einen wuchtigen Stich gegen den rechten Oberbauch versetzte;
II./ durch die oben beschriebene Tathandlung vorsätzlich zu töten versucht, wobei die Tat eine 5,6 Zentimeter tiefe Stichwunde im rechten Oberbauch und eine oberflächliche Verletzung der Leber zur Folge hatte und nur durch Zufall keine Eröffnung größerer Blutgefäße und stärkere Blutungen in den Bauchraum nach sich zog;
III./ Waffen besessen, obwohl ihm dies gemäß § 12 WaffG verboten ist, und zwar
a./ von einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt bis zum 16. April 2016 das im Punkt 1./ beschriebene Springmesser, sowie
b./ im Zeitraum von Ende Dezember 2016 bis zum 16. Jänner 2017 eine Gaspistole der Marke Walther P88, Compact 9 mm.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5, 6, 8, 10a und 12 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Die Verteidigung beantragte in der Hauptverhandlung am 7. Juni 2017 (ON 66 S 43 f)
1./ „zum Beweis der Unschuld des Angeklagten insbesondere aber auch dafür, dass er sich zum Tatzeitpunkt in einem Zustand der vollen Berauschung sowie in einer Dispositons- und Diskretionsunfähigkeit befunden hat, die Durchführung einer sogenannten 'Haaranalyse', durch welche selbst für lange Zeiträume zurückwirkend relativ präzise die vom Angeklagten konsumierten Drogen sowie der Umfang seines Drogenkonsums ersichtlich beziehungsweise objektivierbar ist“, sowie
2./ „eine alkoholspezifische Untersuchung nach Laborparametern durch einen medizinischen Sachverständigen“; aus dieser Laboruntersuchung ergebe sich, dass der Angeklagte „zwar immer wieder einmal Alkohol konsumiert und in – wie er selbst aussagt – 'Partylaune' gerät, aber nie in diesem Umfang Alkohol zu sich genommen hat, wie am Tattag und daher in Verbindung mit der Aussage des heute gehörten Zeugen V***** sich daraus für das Gericht ein klares Bild dahingehend ergibt, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt sehr wohl durch diesen selbst für ihnüberdurchschnittlichen Alkoholkonsum in einem das Bewusstsein ausschließenden Rauschzustand befunden hat beziehungsweise diskretions- und dispositionsunfähig war“.
Da in den – die bereits vorliegenden Beweisergebnisse (so insbesondere die auf den jeweiigen Zeitablauf abstellenden Ausführungen des gerichtspsychiatrischen Sachverständigen, speziell zur „alkoholspezifischen Laborparameteruntersuchung“ und zur „Haaranalyse“ [s ON 66 S 33 ff, insbesondere S 38]) zur Gänze ignorierenden – Beweisanträgen keine Gründe angeführt werden, welche erwarten ließen, dass die nunmehrige Durchführung der angestrebten Beweise das vom Antragsteller jeweils behauptete Ergebnis haben werde (RIS‑Justiz RS0118123), wurden sie vom Schwurgerichtshof (ON 66 S 45 f) zu Recht abgewiesen, weil sie bloß auf eine– im Hauptverfahren unzulässige – Erkundungsbeweisführung abzielten (RIS‑Justiz RS0118444 [insbesondere T6]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327, 330 f).
Auch durch die Abweisung des weiteren Antrags (ON 66 S 44) auf „Durchführung einer ausführlichen klinisch psychologischen Diagnose durch einen für klinisch psychologische Diagnostik ausgebildeten Sachverständigen zum Beweis dafür, dass die [dem Angeklagten] angelastete Tat und das ihm angelastete Verhalten … der Persönlichkeit des Angeklagten fremd ist und seinem sonstigen Verhalten diametral entgegengesetzt zu qualifizieren ist“ (wobei diese Beweisführung deshalb notwendig sei, weil „die wie auch immer zu wertende Handlung durch externe Einflüsse beziehungsweise durch die auch aufgrund der Intoxikation eingetretene spezielle Situation zu einem Ausnahmeverhalten geführt hat … “), wurden Verteidigungsrechte nicht verletzt.
Bei Antragstellung wurde nämlich ebenfalls nicht dargetan, weshalb die begehrte Beweisaufnahme das intendierte Ergebnis erbringen sollte. Im Übrigen berührt diese Frage weder eine entscheidende noch eine erhebliche Tatsache (RIS‑Justiz RS0118444; vgl auch RS0124721).
Die in der Verfahrensrüge nachgetragenen Argumente als Versuch der Antragsfundierung sind unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 325).
Der Erledigung der Fragenrüge (Z 6) ist voranzustellen, dass nach § 312 StPO alle gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung dergestalt in eine Frage aufzunehmen sind, dass nicht nur die Individualisierung der Tat(en) zum Zweck der Ausschaltung der Gefahr der neuerlichen Verfolgung und Verurteilung wegen derselben Tat sichergestellt ist, sondern auch deren Konkretisierung durch Aufnahme der den einzelnen Deliktsmerkmalen entsprechenden tatsächlichen Gegebenheiten, die die Subsumtion des von den Geschworenen ihrem Wahrspruch zugrunde gelegten Sachverhalts ermöglicht und die Überprüfbarkeit dieser Subsumtion durch den Obersten Gerichtshof gewährleistet (RIS‑Justiz RS0119082, RS0100686).
Die gesetzlichen Merkmale der Tat müssen nicht in Form einer erschöpfenden Beschreibung spezialisiert werden (RIS‑Justiz RS0100780 [T6]; Lässig, WK‑StPO § 312 Rz 20).
Die Fragenrüge (Z 6) kritisiert die (nach dem Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB gestellte) Eventualfrage 2./ als unzureichend konkretisiert (vgl insoweit RIS‑Justiz RS0100624 [T1] und Lässig, WK-StPO § 314 Rz 1), weil ihr nicht zu entnehmen sei, „ob zwischen der Wegnahme des Bargeldes und dem Versetzen des Messerstichs (auf Vorsatzebene) ein Zusammenhang besteht“.
Das nicht an der Fragestellung in ihrer Gesamtheit orientierte Vorbringen der Rüge macht im gegebenen Zusammenhang nicht klar, welche über die in der in Rede stehenden Eventualfrage ohnedies angeführten Umstände hinausgehenden Tatdetails (auch in subjektiver Hinsicht) noch hätten beschrieben werden müssen. Werden im Übrigen in einem Tatbestand auf der subjektiven Tatseite keine vom Mindesterfordernis des § 5 Abs 1 zweiter Halbsatz StGB abweichenden Vorsatzformen oder allfällige zusätzliche Vorsatzerfordernisse verlangt, wird bedingter Vorsatz unterstellt (§ 7 Abs 1 StGB). Dieser braucht daher in der Frage nach den gesetzlichen Merkmalen der strafbaren Handlung nicht ausdrücklich erwähnt zu werden. Es genügt eine entsprechende Erläuterung in der Rechtsbelehrung (RIS‑Justiz RS0113270; Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 32).
Bezugspunkt der Instruktionsrüge (Z 8) ist der Inhalt der von §§ 321, 323 Abs 1 und 327 Abs 1 StPO genannten Belehrungen, die sich auf die Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlungen, auf welche die Fragen an die Geschworenen gerichtet sind, die Auslegung der in diesen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes, das Verhältnis der Fragen zueinander und die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage beziehen. Allfällige Fehler bei der Erörterung überflüssiger Rechtsfragen stehen nicht unter Nichtigkeitssanktion (RIS‑Justiz RS0100949, RS0101085). Dabei ist zu beachten, dass sämtliche Belehrungen eine Einheit bilden, die nur als Ganzes betrachtet (RIS‑Justiz RS0100695) richtig oder unrichtig sein kann (zum Ganzen: RIS‑Justiz RS0125434; Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 53, 54, 56, 63).
Diesen Kriterien wird die Instruktionsrüge nicht gerecht.
Sie weist an sich zutreffend darauf hin, dass die den Geschworenen zur Hauptfrage I./ (nach dem Verbrechen des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 erster Fall StGB) erteilte Rechtsbelehrung insofern unvollständig ist, als ihr hinsichtlich der objektiven Voraussetzung der Betretung auf frischer Tat nicht zu entnehmen ist, dass diese sogar dann (noch) vorliegen kann, wenn der Täter bereits Alleingewahrsam an der Sache, die er stehlen möchte, erlangt hat (vgl insoweit Stricker in WK² StGB § 131 Rz 17 ff sowie Salimi in SbgK § 131 Rz 12 ff, jeweils mwN).
Die Rüge macht jedoch nicht klar, weshalb sich diese Unvollständigkeit für den Angeklagten nachteilig ausgewirkt haben soll (RIS-Justiz RS0122334; Ratz, WK‑StPO § 282 Rz 24 und § 345 Rz 62), zumal die gewünschte Belehrung im Vergleich zur tatsächlich erfolgten Instruktion auf eine Erweiterung der Subsumtion unter §§ 127, 131 StGB (statt unter §§ 127; 105 Abs 1 StGB) hinausliefe. Im Übrigen ergibt sich auch aus der Niederschrift (§ 331 Abs 3 StPO; vgl RIS‑Justiz RS0100862), dass die Geschworenen die Rechtsbelehrung insgesamt – insbesondere auch was die Abgrenzung des räuberischen Diebstahls zum Raub angeht – nicht missverstanden haben. Allein deshalb, weil eine Rechtsbelehrung (teilweise) unvollständig ist, muss sie noch nicht unrichtig sein (RIS‑Justiz RS0101021).
Der weitere Vorwurf, in der Rechtsbelehrung werde der Eindruck vermittelt, dass Mitgewahrsam (nur) dann begründet werden könne, „wenn jemand die tatsächliche Herrschaft einen Dritten als verlängerte Hand (freiwillig) ausüben lässt“, orientiert sich nicht an der Gesamtheit der den Geschworenen erteilten rechtlichen Information. Denn der gesamte Absatz (vgl S 9 der Rechtsbelehrung: „Gewahrsam hat auch ...“) ist nicht in diese Richtung missverständlich. Weil die Rechtsbelehrung stets nach dem gesamten Inhalt und nicht bloß nach einzelnen aus dem Zusammenhang gelösten Teilen zu prüfen ist (Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 56), wird auch hier die prozessordnungsgemäße Darstellung nicht getroffen.
Die weitere Instruktionsrüge behauptet das Vorliegen einer unrichtigen (weil unvollständigen und für die Laien nicht [ausreichend] verständlichen) Rechtsbelehrung betreffend die Zurechnungsunfähigkeit infolge einer vollen Berauschung (Zusatzfragen 1./, 2./, 3./ 4./, 6./ und 7./). Diese Kritik verfehlt einmal mehr die Anfechtungskriterien des bezogenen Nichtigkeitsgrundes (s dazu oben). Auf die in den Ergebnissen des Beweisverfahrens begründeten Eigentümlichkeiten tatsächlicher Natur wie den vom Sachverständigen hochgerechneten Blutalkoholgehalt, die Verantwortung des Angeklagten, die Angaben des Zeugen V***** zu seinen Wahrnehmungen betreffend den Alkoholisierungsgrad des Angeklagten und die Aussage der Zeugin Mirjana K***** war nämlich in der schriftlichen Instruktion nicht einzugehen, weil sich diese nur auf die Darlegung rechtlicher Umstände zu beschränken hat. Die Auseinandersetzung mit konkreten Verfahrensergebnissen tatsächlicher Art bleibt vielmehr – ebenso wie die vermisste Bezugnahme auf typische Kennzeichen und Indizien für Volltrunkenheit (vgl RIS‑Justiz RS0089931) in der schriftlichen Rechtsbelehrung – der gemäß § 323 Abs 2 StPO dem Vorsitzenden obliegenden Besprechung der einzelnen Fragen mit den Geschworenen vorbehalten (vgl Philipp, WK‑StPO § 321 Rz 10, 13, 15 f).
Der Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs 1 Z 10a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie siedie Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt – wird dadurch nicht eröffnet (RIS‑Justiz http://193.58.211.1/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0119583&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False , RS0118780; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 470 ff, 490).
Mit der Behauptung, das Opfer sei nicht lebensgefährlich verletzt worden, dem Hinweis auf die Umstände, dass Täter und Opfer einander vor diesem Vorfall nicht kannten, der Angeklagte bereits mehrere Vorstrafen aufweist und solcherart auch mit dem Gebrauch von Waffen vertraut ist sowie mit der Wiedergabe von (vorgeblich übereinstimmenden) Passagen aus der insoweit leugnenden Verantwortung des Angeklagten und aus der Aussage des Zeugen J***** sowie daran anknüpfenden beweiswürdigenden Schlüssen dringt die Rüge nicht durch.
Die Subsumtionsrüge (Z 12„a“) behauptet in Ansehung des Schuldspruchs wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (Eventualfrage 2./), es würden sowohl Feststellungen dazu fehlen, dass der Angeklagte im Zeitpunkt der Gewaltanwendung bereits einen Vorsatz in Richtung Wegnahme oder Abnötigen des Geldes hatte, als auch dazu, dass das Bargeld durch Anwendung von Gewalt weggenommen wurde.
Die Geltendmachung materieller Nichtigkeit im geschworenengerichtlichen Verfahren verlangt den Vergleich der im Wahrspruch der Geschworenen (§§ 330 bis 333 StPO) festgestellten Tatsachen mit der im Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2, 270 Abs 2 Z 4 StPO iVm § 342 StPO) vorgenommenen Subsumtion (RIS‑Justiz RS0101148, RS0101403). Diese Kriterien vernachlässigt die Subsumtionsrüge, indem sie die im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen nicht zur Gänze berücksichtigt, sondern bloß isoliert einzelne Passagen einer Würdigung unterzieht und daran lapidar die oben (zu Z 6) wiedergegebene Behauptung anknüpft; sie leitet im Übrigen auch nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS‑Justiz RS0116569; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 588 ff), weshalb und welche über die durch den Wahrspruch ohnehin festgestellten Tatsachen hinausgehenden Konstatierungen für eine rechtsrichtige Subsumtion des Sachverhalts unter den in Rede stehenden Tatbestand des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB noch hätten getroffen werden müssen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 zweiter Satz StPO).
Die Entscheidung über die Berufungen kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 344 zweiter Satz StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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