European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0110OS00114.17Z.1017.000
Spruch:
Das Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 29. November 2016, GZ 9 U 15/16y‑41, verletzt § 17 Abs 1 StPO.
Dieses Urteil wird aufgehoben und Mustafa A***** vom wider ihn erhobenen Anklagevorwurf, er habe am 25. Mai 2015 in Wien mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, einem verdeckten Ermittler ein Säckchen Wiesengras als Marihuana gegen Zahlung eines Kaufpreises von 50 Euro verkauft und damit den Genannten durch Täuschung über Tatsachen zu einer Handlung, nämlich der Bezahlung des Kaufpreises verleitet, die diesen in angeführter Höhe an seinem Vermögen schädigte, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Gründe:
Über den im oben angeführten Tenor umschriebenen Vorwurf einer Straftat wurde der Staatsanwaltschaft Wien mit Abschlussberichten des Landeskriminalamts Wien vom 26. und 28. Mai 2015, berichtet (ON 2 und 3). Mustafa A***** war in diesem Zusammenhang zunächst am 25. Mai 2015 von der Kriminalpolizei wegen Betretung auf frischer Tat festgenommen, am 26. Mai 2015 zum Vorwurf des gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 148 zweiter Fall StGB als Beschuldigter zur Sache vernommen (§ 164 StPO) und anschließend noch am selben Tag gemäß § 177 Abs 3 StPO freigelassen worden, nachdem der zuständige Journalstaatsanwalt erklärt hatte, keinen Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft zu stellen (ON 1 S 1; ON 2 S 7, 9; ON 3 S 37 ff, 45 ff, 77).
Von der Verfolgung dieser letztlich als Vergehen des Betruges nach § 146 StGB beurteilten Straftat sah die Staatsanwaltschaft Wien wegen Geringfügigkeit ab und stellte am 8. Juni 2015 das Ermittlungsverfahren insoweit gemäß § 191 Abs 1 StPO ein (ON 1 S 3; Teileinstellung).
Aufgrund der Angaben des Mustafa A***** im Rahmen der erwähnten Beschuldigtenvernehmung, seit eineinhalb Jahren ca zwei Mal pro Woche Marihuana zu konsumieren (ON 3 S 40), leitete die Staatsanwaltschaft Wien zugleich Erhebungen nach § 35 SMG ein (ON 1 S 3), bevor sie – nach Einbeziehung (§ 26 StPO) einer weiteren Anzeige gegen den Genannten wegen „§ 27 Abs 1, 2 SMG“ (ON 4) und Anordnung weiterer Erhebungen nach § 35 SMG (ON 1 S 4) – am 2. Juli 2015 unter Setzung einer einjährigen Probezeit gemäß § 35 SMG vorläufig von der Verfolgung zurücktrat (ON 1 S 4).
Nach Einlangen einer neuen Anzeige und Einbeziehung der betreffenden Ermittlungsakten wegen § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (AZ 130 BAZ 36/16i; ON 16) setzte die Staatsanwaltschaft Wien das Strafverfahren gegen Mustafa A***** am 15. Jänner 2016 gemäß § 38 Abs 1 Z 1 SMG fort (ON 1 S 7) und brachte gegen diesen einen Strafantrag beim Bezirksgericht Hernals ein (ON 17).
Darin wurde dem Genannten angelastet, er habe in Wien vorschriftswidrig Suchtgift erworben und besessen, nämlich am
I./ 25. Mai 2015 Marihuana mit dem Wirkstoff THC;
II./ 17. Mai 2015 Marihuana mit dem Wirkstoff THC;
III./ 30. September 2015 Speed mit dem Wirkstoff Amphetamin.
Die Ende Jänner 2016 erfolgte Rückfrage der zuständigen Bezirksrichterin, woraus sich konkret der Vorwurf zu Punkt I./ des Strafantrags ergeben soll, beantwortete die Bezirksanwältin mit dem Hinweis auf die „zum Suchtgiftkonsum [...] geständig[e]“ Aussage des Angeklagten (ON 1 S 7 f), der am 26. Mai 2015 – wie bereits dargestellt – angegeben hatte, seit eineinhalb Jahren ca zwei Mal pro Woche Marihuana zu konsumieren (ON 3 S 40), und bei dem anlässlich seiner Ergreifung am 25. Mai 2015 gerade kein Suchtgift, sondern bloß „9,1 Gramm gerupfte Grashalme“ in einem verschweißten Säckchen sichergestellt worden waren (ON 3 S 81 f; ON 10).
Nach Verfahrensausscheidung zu den Anklagepunkten II./ und III./ zwecks diversionellen Vorgehens (ON 38 S 5) wurde der Genannte mit am 2. Dezember 2016 in Rechtskraft erwachsenem, in gekürzter Form ausgefertigtem Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 29. November 2016 – nach inzwischen erfolgter „Modifizierung“ des Strafantrags durch die Staatsanwaltschaft zu I./ (ON 32 S 6; ON 38 S 2) – des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe im Ausmaß von 60 Tagessätzen à 4 Euro, im Fall deren Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Tagen verurteilt und „das sichergestellte Suchtgift“ (vgl dagegen ON 3 S 81 f; ON 10) eingezogen (ON 38 S 5, ON 41).
Danach ist Mustafa A***** schuldig, am 25. Mai „2016“ (richtig: 2015) in Wien mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, einem verdeckten Ermittler ein Säckchen Wiesengras als Marihuana (9,1 Gramm) gegen Zahlung eines Kaufpreises von 50 Euro verkauft und damit den Genannten durch Täuschung über Tatsachen zu einer Handlung, nämlich der Bezahlung des Kaufpreises verleitet zu haben, die diesen in angeführter Höhe an seinem Vermögen schädigte (ON 41).
Die Hereinbringung der Geldstrafe blieb ergebnislos (ON 48). Nach der Anordnung der Einleitung des Vollzugs der Ersatzfreiheitsstrafe nahm der Verurteilte das Anbot (§ 3 Abs 1 StVG) an, anstelle der Ersatzfreiheitsstrafe ab 8. Mai 2017 binnen zwölf Wochen 120 Stunden gemeinnützige Leistungen (§ 3a StVG) zu erbringen (ON 49, 51).
Nach der Ableistung von vorerst 18 Stunden wurde die weitere Erbringung gemeinnütziger Leistungen bis zur Klärung des Fortbestands des Urteils ausgesetzt.
Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht das Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 29. November 2016 (ON 41) mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Rechtliche Beurteilung
Eine gemäß § 190 StPO oder § 191 Abs 1 StPO erfolgte Einstellung eines Ermittlungsverfahrens, dessen formlose Fortführung über Anordnung der Staatsanwaltschaft gemäß § 193 Abs 2 Z 1 StPO nicht mehr möglich ist, entfaltet Sperrwirkung im Sinn des Prinzips „ne bis in idem“ (§ 17 Abs 1 StPO; Art 4 des 7. ZPMRK). Die neuerliche oder weitere Verfolgung desselben Beschuldigten wegen derselben Tat ist – außer in den aktuell nicht vorliegenden Fällen der Fortführung nach § 193 Abs 2 Z 2 oder nach §§ 195 f StPO (§ 17 Abs 2 StPO) – nicht mehr zulässig (RIS‑Justiz RS0129011, RS0101270 [T24]; Birklbauer, WK‑StPO § 17 Rz 45 f; Nordmeyer aaO § 190 Rz 20 und § 193 Rz 1 und 3; Schroll aaO § 191 Rz 6 f; Fabrizy, StPO12 § 190 Rz 1a).
Fallbezogen kommt eine „formlose“ Fortführung des am 8. Juni 2015 gemäß § 191 Abs 1 StPO (in Bezug auf die Straftat vom 25. Mai 2015) eingestellten Ermittlungsverfahrens gegen Mustafa A***** wegen § 146 StGB infolge des am 25. Mai 2015 durch seine Festnahme ausgeübten Zwangs und der am 26. Mai 2015 durchgeführten Vernehmung des Beschuldigten zur Sache nicht mehr in Betracht (§ 193 Abs 2 Z 1 StPO; Nordmeyer, WK‑StPO § 193 Rz 11 f, 14 ff, 20). Eine Anordnung der Fortführung des Verfahrens gemäß § 193 Abs 2 Z 2 (vgl auch § 194 Abs 1 StPO) oder §§ 195 f StPO ist nach der Aktenlage nicht erfolgt.
Das Bezirksgericht Hernals wäre bei seiner Urteilsfällung am 29. November 2016 demnach verpflichtet gewesen, das aus der aktenkundigen rechtswirksamen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensbeendigung vom 8. Juni 2015 resultierende Verbot neuerlicher Strafverfolgung (§ 17 Abs 1 StPO; ne bis in idem) als Verfolgungshindernis (Verbrauch des Anklagerechts) zu beachten und einen Freispruch gemäß § 259 Z 3 StPO zu fällen (vgl Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 36, 40).
Diese Gesetzesverletzung wirkte sich zum Nachteil des Verurteilten aus (§ 292 letzter Satz StPO), weshalb deren Feststellung mit der aus dem Spruch ersichtlichen konkreten Wirkung zu verbinden war.
Auf dem kassierten Schuldspruch beruhende Anordnungen, Beschlüsse und Verfügungen, insbesondere die Endverfügung über die Einhebung der Geldstrafe (ON 42) und die Strafvollzugsanordnung (ON 49), sind damit hinfällig (RIS‑Justiz RS0100444).
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