OGH 11Os107/07f

OGH11Os107/07f23.10.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Oktober 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wiaderek als Schriftführer, in der Strafsache gegen John O***** und einen anderen Angeklagten wegen Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten John O***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. Juni 2007, GZ 152 Hv 41/07z-40, weiters über die Beschwerde des genannten Angeklagten gegen den gemeinsam mit dem Urteil verkündeten Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten John O***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen rechtskräftigen Schuldspruch gegen einen weiteren Angeklagten sowie Teilfreisprüche enthält, wurde John O***** der Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG (A I. 1.) sowie des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (B) schuldig erkannt. Danach hat er - soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung - in Wien den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift mit zumindest durchschnittlichem Wirkstoffgehalt in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG) gewerbsmäßig durch Verkauf in Verkehr gesetzt (A I. 1.), und zwar

a) von Februar 2006 bis 10. Juli 2006 durch Verkauf von ca 100 Kugeln Kokain (ca 10 Gramm brutto) an Oliver Z*****;

b) von ca September 2006 bis Anfang Dezember 2006 durch Verkauf von insgesamt sechs Kugeln Kokain (ca 0,6 Gramm brutto) an Mario H*****;

c) von ca Mitte August 2006 bis 4. Dezember 2006 durch Verkauf von ca

2.235 Kugeln Kokain (ca 223,5 Gramm brutto) an Michael Andreas U*****;

d) von ca Ende Oktober 2006 bis 9. Dezember 2006 durch Verkauf von ca 100 Kugeln Kokain (ca 10 Gramm brutto) an Ernst P*****;

e) von ca Mitte August 2006 bis 11. Dezember 2006 nicht mehr feststellbare Kokainmengen an unbekannt gebliebene Abnehmer.

Rechtliche Beurteilung

Nur gegen den Schuldspruch zu A. I. 1. richtet sich die auf Z 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Als offenbar unbegründet (Z 5 vierter Fall) bekämpft die Rüge die Feststellungen des Erstgerichtes, das hinsichtlich des Reinheitsgehaltes des in Rede stehenden Suchtgiftes von einer gerichtsbekannten durchschnittlichen „Straßenqualität" von ca 30 % ausgegangen sei. Der durchschnittliche Reinheitsgehalt von Kokain müsse aber keineswegs in diesem Bereich liegen und zudem sei diese (nur) gerichtsbekannte Tatsache in der Hauptverhandlung nicht erörtert worden.

Dem Beschwerdeführer ist zuzugestehen, dass der Angeklagte ein aus Art 6 Abs 1 MRK ableitbares Recht darauf hat, nicht von einer ihm unbekannten Gerichtsnotorietät im Tatsachenbereich überrascht zu werden. Ein Verstoß gegen das in diesem Grundsatz zum Ausdruck kommende fair-trial-Gebot liegt aber dann nicht vor, wenn die gerichtskundige Tatsache bereits in der in der Hauptverhandlung vorgetragenen Anklageschrift dargestellt wurde oder sonst eine Erörterung in der Hauptverhandlung stattfand (RIS-Justiz RS0119094; Kirchbacher, WK-StPO § 246 Rz 34; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 463). Die Annahme eines durchschnittlichen Reinheitsgehaltes des Suchtgiftes von 30 % wurde aber - entgegen dem Beschwerdevorbringen - in der Hauptverhandlung zur Sprache gebracht, indem die davon ausgehende Anklageschrift (ON 14; insbesondere S 349 iVm S 395/II) eingangs der Hauptverhandlung vorgetragen wurde (S 485/II).

Auch die von der Beschwerde zitierten Entscheidungen 12 Os 109/06f und 13 Os 144/06k gingen im Übrigen nicht von einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 20 % bei Kokain aus, sondern haben einen solchen bloß als keinesfalls überhöht angesehen. Soweit die Beschwerde vorbringt, eine Untersuchung des sichergestellten Suchtgiftes wäre geeignet gewesen, den Reinheitsgehalt des in Verkehr gesetzten Kokains festzustellen (inhaltlich Z 5a), legt sie nicht dar, wodurch der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer an einer geeigneten Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert gewesen wäre (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480). Zum Schuldspruch A I. 1.c) rügt die Beschwerde eine Unvollständigkeit, weil sich die Tatrichter bei ihren Feststellungen zu Tatzeitraum und in Verkehr gesetzter Menge mit widersprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hätten (Z 5 zweiter Fall). Das Erstgericht hat seine Feststellungen zu den vom Erstangeklagten an den Zweitangeklagten verkauften Suchtgiftmengen auf dessen Angaben über seinen Suchtgiftbedarf und die sich daraus ergebende Häufigkeit des Erwerbes gestützt und - dem Einwand zuwider - auch dessen teils unterschiedlichen Mengenangaben in die Erwägungen miteinbezogen (US 14). Zudem wäre die subsumtionsrelevante große Menge (§ 28 Abs 6 SMG) auch bei den von der Beschwerde unter Bezugnahme auf die Aussage des Zweitangeklagten angeführten „1000 Kugeln" bei einem Beginn des Suchtgifterwerbs vom Erstangeklagten „erst im September" erreicht und überschritten. Unter diesem Aspekt bedurfte die Aussage des Zweitangeklagten, er habe gelegentlich Drogen auch von anderen gekauft (S 497/II), keiner gesonderten Erörterung.

Die Feststellungen zu der an Ernst P***** verkauften Suchtgiftmenge (A I. 1.d) leiteten die Tatrichter aus dessen Angaben im Rahmen der polizeilichen Vernehmung ab (S 383 in ON 10). Sie setzten sich dabei auch mit den gegen Ende der gerichtlichen Zeugenaussage gemachten Einschränkungen betreffend der Suchtgiftmengen auseinander, führten diese jedoch - mängelfrei - auf das Bemühen des Zeugen zurück, vor allem den Zweitangeklagten nicht massiv zu belasten (US 15). Die zu Schuldspruchpunkt A I. 1.e vermissten Feststellungen finden sich zwar auf US 12, zutreffend weist die Beschwerde aber darauf hin, dass diese Annahmen nicht begründet sind. Sie spricht damit aber keine entscheidende Tatsache an, weil die konstatierte Weitergabe einer unbekannte Menge an unbekannte Abnehmer fallaktuell weder für den Schuldspruch noch für die Unterstellung der Tat unter das Gesetz von Bedeutung war, hat doch das Erstgericht seinen Berechnungen nur die in den Schuldsprüchen A I 1 a) - d) (Verkauf an bekannte Personen) angeführten Mengen zu Grunde gelegt (US 12). Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Wien zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO) folgt. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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