OGH 11Ns76/21x

OGH11Ns76/21x15.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Oktober 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen ***** S***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 6 Hv 120/20a des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über Vorlage durch das Oberlandesgericht Graz gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO (AZ 10 Bs 6/21i) nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0110NS00076.21X.1015.000

 

Spruch:

Die Sache wird dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über den Einspruch des Angeklagten ***** K***** gegen die Anklageschrift übermittelt.

 

Gründe:

[1] Mit beim Landesgericht für Strafsachen Graz eingebrachter Anklageschrift vom 12. November 2020 (ON 1929) legt die Staatsanwaltschaft Graz zahlreichen Angeklagten aus dem Umfeld eines islamischen Glaubensvereins unterschiedliche Verbrechen zur Last, darunter auchden Verbrechen der terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 2 StGB (iVm § 278c Abs 1 Z 1 StGB) und der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 2 (iVm Abs 1) StGB subsumiertes Verhalten.

Rechtliche Beurteilung

[2] Dagegen erhob (nur) der Angeklagte ***** K***** Einspruch (ON 1964).

[3] Mit Beschluss vom 24. August 2021, AZ 10 Bs 6/21i, legte das Oberlandesgericht Graz – nach Verneinen der Einspruchsgründe der Z 1 bis 5, 7 und 8 des § 212 StPO – die Akten nach § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vor, weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei.

[4] Gemäß § 37 Abs 1 StPO ist im Fall subjektiver, objektiver und subjektiv-objektiver Konnexität sowie bei engem sachlichem Zusammenhang das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Dabei ist unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere, unter Gerichten gleicher Ordnung jenes mit Sonderzuständigkeit für alle Verfahren zuständig, wobei das Gericht, das für einen unmittelbaren Täter zuständig ist, das Verfahren gegen Beteiligte an sich zieht (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO).

[5] Für die Frage der örtlichen Zuständigkeit für (wie hier) gemäß § 37 Abs 1 StPO konnexe Verfahren sind nur jene strafbaren Handlungen (§ 211 Abs 1 Z 2 StPO) in den Blick zu nehmen, die sachlich in die Zuständigkeit (hier) des Geschworenengerichts fallen (RIS‑Justiz RS0133394), fallbezogen also der den Verbrechen der terroristischen Straftaten „nach §§ 15, 278c Abs 1 Z 1 und Abs 2 StGB“ (Anklage S 22 ff: in D./I./ und D./II./) sowie (erkennbar) den Verbrechen der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 2 StGB (Anklage S 24 ff: E./I./ bis E./XVIII./) subsumierte Anklagevorwurf (§ 31 Abs 2 Z 1 und 4 StPO).

[6] Gegenstand des zu E./XIV./ erhobenen Anklagevorwurfs ist (iVm A./VII./1./a./) – soweit hier relevant – (auch) der Verdacht, ***** W***** habe von Sommer 2013 bis 19. Dezember 2014 auf seinen Facebook-Konten mit den Bezeichnungen „***** I*****“ und „***** K*****“ für die Verbindung Islamischer Staat im Irak (ISIS), ab 29. Juni 2014 Islamischer Staat (IS), deren wenn auch nicht ausschließlicher Zweck es ist, zur Errichtung eines weltweiten, als Kalifat oder Islamischer Staat bezeichneten radikal islamistischen Gottesstaats durch Androhung und Verübung von Terroranschlägen, mithin auf gesetzwidrige Weise die Unabhängigkeit der Republik Österreich, die in der Verfassung festgelegte Staatsform der Republik Österreich und die in den §§ 249, 250, 251 und „259“ (gemeint: im siebzehnten Abschnitt des) StGB angeführten verfassungsmäßigen Einrichtungen der Republik Österreich zu erschüttern, Mitglieder geworben (ON 1929 S 13, 24, 26, 202 f, 255, 306, 385 f).

[7] Da die Mitglieder werbenden (vgl § 246 Abs 2 zweiter Fall StGB) – im Übrigen auch bei Unterstellung unter die Deliktsfälle der sonstigen Unterstützung der staatsfeindlichen Verbindung in erheblicher Weise (§ 246 Abs 2 vierter Fall StGB) oder der sonstigen (nicht erheblichen) Unterstützung (§ 246 Abs 3 zweiter Fall StGB) vom Geschworenengericht zu ahndenden (§ 31 Abs 2 Z 4 StPO) – Äußerungen auf Facebook-Seiten des Angeklagten W***** gepostet worden sein sollen, diese (ersichtlich ein ex ante nicht bestimmbares Publikum ansprechenden [ON 1511 S 25 ff]) Facebook-Seiten auf elektronischem Weg abrufbare Medien iSd § 1 Abs 1 Z 1 und 5a lit b MedienG darstellen (Rami in WK² MedienG § 1 Rz 13, 36 f und 47/5; Koukal in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, MedienG4 § 1 Rz 2, 7, 12 und 24a) und die Tathandlungen solcherart durch den Inhalt eines Mediums und in einer im Wege der Massenverbreitung an einen größeren Personenkreis (Rami in WK² MedienG § 1 Rz 11) gerichteten Mitteilung oder Darbietung begangen worden sein sollen, liegt dem Genannten insoweit ein Medieninhaltsdelikt iSd § 1 Abs 1 Z 12 MedienG zur Last (vgl 15 Os 59/20w; 15 Ns 41/21d).

[8] Gemäß der – den allgemeinen Zuständigkeitsregeln der StPO als lex specialis (vgl 12 Ns 64/18k; Oshidari, WK-StPO § 36 Rz 8 und 14) und selbst § 29 JGG als lex specialis und lex posterior (Rami in WK² MedienG § 40 Rz 2; vgl auch Schroll in WK2 JGG § 29 Rz 14) vorgehenden – Bestimmung des § 40 Abs 1 MedienG ist für das Hauptverfahren wegen eines Medieninhaltsdelikts jenes Gericht zuständig, in dessen Sprengel der Medieninhaber (§ 1 Abs 1 Z 8 MedienG) zum Zeitpunkt der Tatbegehung (vgl abermals 15 Os 59/20w; Rami in WK2 MedienG § 40 Rz 5) – seinen Wohnsitz, seinen Aufenthalt oder seinen Sitz hatte.

[9] Medieninhaber einer Facebook-Seite ist der Inhaber oder Gestalter des jeweiligen Profils (RIS‑Justiz RS0125859), was fallbezogen auf den Angeklagten W***** zutrifft, der im Tatzeitraum in Wien wohnhaft war (ON 452 S 13). Demnach kommt die örtliche Zuständigkeit für das aufgrund der vorliegenden Anklageschrift durchzuführende Hauptverfahren dem Landesgericht für Strafsachen Wien (als Geschworenengericht) zu, weshalb das Oberlandesgericht Wien über den Einspruch zu entscheiden haben wird.

 

[10] Demnach war – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Sache gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz letzter Halbsatz StPO dem Oberlandesgericht Wien zu übermitteln, das zunächst über den Anklageeinspruch zu entscheiden hat (siehe dazu auch RIS‑Justiz RS0124585, RS0125228). Im Fall der Abweisung des Einspruchs sind die Akten dem zuständigen Gericht zuzuweisen (§ 215 Abs 4 erster Satz StPO).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte