OGH 10Os22/84

OGH10Os22/8413.3.1984

Der Oberste Gerichtshof hat am 13.März 1984 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich (Berichterstatter), Dr. Hörburger, Dr. Lachner sowie Hon.Prof.Dr. Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Nittel als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dragoslav A wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB. und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 1.Dezember 1983, GZ. 20 n Vr 5250/83-80, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Strasser, und des Verteidigers Dr. Josef Wegrostek, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde Dragoslav A (I.) des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB. sowie (II.) des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z 4 StGB schuldig erkannt.

Darnach liegt ihm zur Last, am 27.November 1982 in Wien (zu I.) Sinisa B durch 36 Stiche mit einem Fixiermesser vorsätzlich getötet sowie (zu II.) dem Genannten oder der Verlassenschaft nach ihm fremde bewegliche Sachen, und zwar 8.700 S Bargeld, mit dem Vorsatz weggenommen zu haben, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Rechtliche Beurteilung

Der auf § 345 Abs. 1 Z. 8 StPO gestützten, nur gegen den Schuldspruch wegen Mordes gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Eine Unrichtigkeit (im Sinn einer gravierenden Unvollständigkeit) der den Geschwornen erteilten Rechtsbelehrung zur Zusatzfrage 4 nach Notwehr erblickt der Beschwerdeführer im Unterbleiben einer Erläuterung dahin, daß 'das Vorliegen einer Notwehrsituation für den Angeklagten ex ante, aus der dem Täter möglichen Perspektive' zu beurteilen sei; es komme nämlich, so vermeint er, 'nur auf die unmittelbare Situation vor der Tat und nicht darauf an, welche ruhigen überlegungen (ex post) nach getaner Tat anzustellen gewesen wären'.

Mit diesem Vorbringen vermengt er indessen die Kriterien zweier verschiedener (kumulativer) Voraussetzungen für eine Rechtfertigung durch Notwehr (§ 3 Abs. 1 StGB.).

Denn für die (insoweit primär relevante) Frage, ob sich ein Täter wirklich (überhaupt) in einer Notwehrsituation befand (das heißt:

tatsächlich mit einem gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf ein notwehrfähiges Gut konfrontiert war), ist - anders als für eine (nur entschuldigend wirkende) bloße Putativnotwehr (§ 8 StGB.) - keineswegs seine zur Tatzeit aktuell gewesene Vorstellung darüber maßgebend, sondern vielmehr der effektive Geschehensablauf.

Im damit erörterten Belang wäre daher die vom Beschwerdeführer gewünschte (gegenteilige) Belehrung der Geschwornen ihrerseits verfehlt gewesen.

In Ansehung der weiteren Rechtsfertigungs-Prämisse allerdings, daß sich der Täter zum Zweck der von ihm gewollten Abwehr des rechtswidrigen Angriffs nur der notwendigen Verteidigung bedient, ist die vom Angeklagten reklamierte 'exante'-Betrachtung (aus seiner Sicht) tatsächlich geboten: nur darauf bezieht sich im übrigen die in der Rechtsrüge ztierte - und von ihm anscheinend mißverstandene - Judikatur (EvBl. 1983/134, ÖJZ-LSK.

1983/18; ebenso schon JBl. 1981, 444). Das aber hat der Schwurgerichtshof - mit der Erklärung, daß sich der Verteidigende nicht auf das Risiko einer ungenügenden Abwehrhandlung einzulassen brauche und daß er von mehreren ihm zur Verfügung stehenden Abwehrmaßnahmen nur insoweit die am wenigsten gefährliche anzuwenden habe, als ihmin dergegebenenSituation die erforderliche Zeit zur überlegung bleibe -

in der Rechtsbelehrung (S. 9) ohnehin unmißverständlich zum Ausdruck gebracht.

Von deren Unrichtigkeit oder auch nur Unvollständigkeit in eine der beiden mit der Beschwerde relevierten Richtungen hin kann demnach keine Rede sein, sodaß die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen war. Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 75 StGB. zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Dabei wertete es keinen Umstand als mildernd, das Zusammentreffen zweier Delikte und die Heimtücke anläßlich der Mordtat hingegen als erschwerend. Der Berufung des Angeklagten, mit der er die Verhängung einer lediglich zeitlichen Freiheitsstrafe anstrebt, kommt gleichfalls keine Berechtigung zu.

Die Annahme, daß der Berufungswerber sein Opfer nicht in einer auf Angst zurückzuführenden affektiven Enthemmung getötet hat - wie dies von den Geschwornen (entgegen dem Berufungsvorbringen sehr wohl) im Wahrspruch (zu den Zusatzfragen 5 und 10) gleichwie in ihrer Niederschrift (zu diesen Fragen sowie zur Hauptfrage 1) unmißverständlich zum Ausdruck gebracht wurde - ist durch seine eigene Verantwortung über sein Verhalten unmittelbar vor, aber auch nach der Tat (Nachgehen hinter B, als sich dieser nach dem ersten Teil der Tätlichkeiten bereits entfernen wollte; Verbergen der Leiche;

Diebstahl aus der Wohnung des Opfers und Erwecken des Anscheins, als habe sich dieses auf Dauer entfernt) vollauf gedeckt; durch die Gutachten der Sachverständigen Dr. C und Dr. D, denen keinerlei Anhaltspunkt dafür zu entnehmen ist, daß ein allenfalls vorgelegener tatkausaler Affekt des Angeklagten durch Angstgefühle verursacht worden sein könnte, wird sie durchaus nicht in Frage gestellt. Demgemäß und im Hinblick auf die exzessive Brutalität des durch nicht weniger als 36 mit großer Wucht nahezu ausschließlich gegen Kopf, Hals und Brust seines Opfers geführte Messerstiche begangenen Mordes kann ferner auch davon, daß die Tat unter Umständen begangen worden sei, die einem Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund (Notwehr oder Putativnotwehr) immerhin nahekämen (§ 34 Z. 11 StGB.), überhaupt keine Rede sein; aus denselben Erwägungen und unter Bedacht auf die vom Berufungswerber behaupteten Gründe für seine Auseinandersetzung mit B schließlich ist die Annahme einer allgemeinen Begreiflichkeit einer allenfalls dem Mord zugrunde gelegenen heftigen Gemütsbewegung seinerseits gleichermaßen nicht im entferntesten in Betracht zu ziehen. Die auf Manipulationen mit Straßenbahn-Vorverkaufsscheinen zurückgehende Vorstrafe des Angeklagten (wegen § 223 Abs. 1 StGB.) dagegen steht nicht nur der Annahme des Milderungsgrundes nach § 34 Z. 2 StGB. entgegen, sondern ist ihm sogar, weil sie auf der gleichen schädlichen Neigung (§ 71 StGB.) - zu unrechtmäßiger Bereicherung -

beruht wie der ihm nunmehr zur Last fallende Diebstahl, zusätzlich als erschwerend anzulasten (§ 33 Z. 2 StGB.).

Unter diesen Aspekten erweist sich die Verhängung der gesetzlichen Höchststrafe über den Berufungswerber selbst unter Berücksichtigung der Unerweislichkeit einer besonderen Heimtücke seinerseits beim Mord und selbst dann, wenn man seinem quasi-familiären Naheverhältnis zum Opfer - welchen Umstand das Erstgericht ebenfalls zu Lasten des Anglagten wertete - keine ins Gewicht fallende Bedeutung beimißt, nach seiner tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld (§ 32 StGB.) als vollauf gerechtfertigt; Vergleiche mit der Strafzumessung in anderen Verfahren sind insoweit in keiner Weise zielführend.

Auch der Berufung mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.

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