OGH 10Os187/84

OGH10Os187/844.12.1984

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Dezember 1984 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bernardini, Dr.Friedrich, Dr.Lachner (Berichterstatter) und Hon.Prof.Dr.Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Gurschler als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef A wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 18.Juli 1984, GZ 20 b Vr 13614/82-116, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr.Karollus, und des Verteidigers Dr.Gerö jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef A (im zweiten Rechtsgang erneut) des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt, begangen dadurch, daß er am 11. Dezember 1982 in Wien dem Horst B durch Abfeuern von zumindest vier Schüssen aus einer Pistole Steyr M 12 (Kaliber 9 mm) eine schwere Körperverletzung, nämlich Streifschüsse an der linken Brustvorderseite sowie im übergangsbereich von der rechten mittleren zur rechten unteren Bauchregion, jeweils mit oberflächlichen, rinnenförmigen Läsionen der Haut und des Unterhautfettgewebes, einen Durchschuß der rechten Hüftgegend mit einem Trümmerbruch des oberen Darmbeinstachels, einen Durchschuß des rechten Armes mit Zerreißung der bindegewebigen Muskelhülle und Verletzung oberflächlicher Muskelfasern, einen oberflächlichen Durchschuß an der Beugeseite des linken Handgelenkes mit Durchtrennung des Medianusnervs, der Ellenschlagader sowie der Sehnen des oberflächlichen Fingerbeugers und des speichenwärtigen Handwurzelbeugers, einen Durchschuß an der Vorderseite des linken Knies mit Durchschlagung der Kniescheibenspitze, des Ligamentum patellae und des Vorderrandes des oberen Schienbeinendes unter Eröffnung des Kniegelenks, absichtlich zufügte.

Die Geschwornen hatten insoweit - jeweils stimmeneinhellig - (im erster Rechtsgang) nach Verneinung der (anklagekonform auf versuchten Mord lautenden) Hauptfrage I die auf absichtliche schwere Körperverletzung gerichtete Eventualfrage I bejaht und (im zweiten Rechtsgang) die Zusatzfragen nach (1.) Notwehr, (3.) Putativnotwehr sowie (2.) Notwehr- und (4.) Putativnotwehr-überschreitung (i.w.S.) aus asthenischem Affekt verneint; die daran (zu 2. bis 4.) anknüpfend (jeweils) auf fahrlässige Körperverletzung lautenden Eventualfragen (1. und 2.) blieben demgemäß unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Der auf die Z 6 und 8 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen diesen (neuerlichen) Schuldspruch kommt keine Berechtigung zu.

In Ausführung der Verfahrensrüge (Z 6) vermeint der Beschwerdeführer, sämtliche Zusatz- und Eventualfragen hätten im Sinne des § 317 Abs 1 StPO so gestellt werden müssen, daß durch ihre Beantwortung auch sein Standort bei der jeweiligen Schußabgabe festgestellt worden wäre.

Diese (im gegebenen Zusammenhang allein relevierte) Vorschrift regelt jedoch lediglich die Formulierung der an die Geschwornen zu richtenden Fragen, und zwar dahin, daß sie deren Beantwortung mit Ja oder Nein ermöglichen muß;

Anordnungen über den Inhalt einer gebotenen Fragestellung dagegen enthält sie nicht. Könnte man die Verfahrensrüge solcherart schon als einer weitergehenden sachbezogenen Erörterung nicht zugänglich abtun, so erscheint vorliegend zur Darlegung der Gründe, aus denen sich eine Bezugnahme auf den Standort des Beschwerdeführers bei der jeweiligen Schußabgabe in den Fragen tatsächlich erübrigte, doch eine grundsätzliche Stellungnahme geboten, welche Tatsachen nach der Prozeßordnung einerseits in Schuldfragen (Haupt- und Eventualfragen gemäß § 312, 314 StPO) und unechte Zusatzfragen (§ 316 StPO) sowie andererseits in echte Zusatzfragen (§ 313 StPO) aufzunehmen sind. Eine solche Differenzierung ist aus nachstehenden Gründen erforderlich:

Für Schuldfragen bestimmt § 312 Abs 1 StPO, daß alle gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung in die Frage aufzunehmen und die besonderen Umstände der Tat nach Ort, Zeit, Gegenstand usw. soweit beizufügen sind, als es zur deutlichen Bezeichnung der Tat oder für die Entscheidung über die Entschädigungsansprüche notwendig ist. Da ein Geschwornengerichtsurteil anders als schöffengerichtliche Urteile - bei denen als die 'der Entscheidung zugrundeliegende', den Gegenstand der Subsumtion (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) bildende Tat im Sinn des § 281 Abs 1 Z 10 StPO primär !also im Fall eines (unbekämpft gebliebenen) Widerspruchs zwischen Tenor und Gründen (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO) die im Spruch (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) bezeichnete anzusehen ist, und sich bei Fehlen einer Tatbezeichnung im Urteilstenor (sofern dieser Formverstoß nicht gerügt wird), die Subsumtion und deren überprüfung auf jene Tat zu erstrecken hat, auf der die Entscheidung ihren Gründen zufolge beruht (vgl. 10 0s 17/83, Foregger-Serini StPO 3 Erl II zu § 260 und die dort zitierte Judikatur u.a.) - einer Begründung entbehrt, reicht hier die bloße Anführung der zur Hintanhaltung einer Doppelverurteilung erforderlichen Tatumstände, also die Individualisierung der Tat nicht aus; es sind vielmehr darüberhinaus neben den - in der Rechtsbelehrung (§ 321 Abs 2 StPO) zu erläuternden - abstrakten Tatbestands- und Qualifikationsmerkmalen, jeweils auch jene konkreten Tatsachen in die Frage aufzunehmen, die diese Merkmale im Einzelfall verwirklichen. Nur durch die Anführung auch dieser Tatumstände in den Schuldfragen wird dem Schwurgerichtshof die Subsumtion des von den Geschwornen ihrem Wahrspruch zugrunde gelegten Sachverhalts (bei der Urteilsfällung) überhaupt erst ermöglicht und andererseits die überprüfbarkeit dieser Subsumtion durch den Obersten Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren (§ 345 Abs 1 Z 11 lit a, 12, 13 StPO) gewährleistet (vgl.Mayerhofer-Rieder StPO Nr 1

zu § 312; Nr 7 zu § 345 Abs 1 Z 11 lit a und die dort jeweils zitierte Judikatur).

Demzufolge müssen die Schuldfragen in Ansehung sämtlicher Tatbestands- und Qualifikationsmerkmale ausreichend konkretisiert sein. Gleiches gilt für die (zur Erfassung strafsatzbestimmender Erschwerungs- und Milderungsumstände bestimmten) unechten Zusatzfragen (§ 316 StPO).

Den soeben bezeichneten Voraussetzungen der 'Individualisierung' und 'Konkretisierung' entsprechen die im vorliegenden Verfahren gestellten Schuldfragen. Eine darüber hinausgehende 'Spezialisierung' des Tathergangs, also eine erschöpfende Beschreibung des gesamten Geschehens in allen Einzelheiten einschließlich der rechtlich bedeutungslosen Tatmodalitäten (vgl. Mayerhofer-Rieder a.a.0. Nr 31 zu § 312), hingegen ist im Gesetz für die Fragestellung nicht vorgesehen. Nur dazu aber kann im vorliegenden Verfahren (in Ansehung des mit den Eventualfragen relevierten Fahrlässigkeitsvorwurfs) auch der Standort des Angeklagten bei der jeweiligen Schußabgabe gezählt werden. Anders verhält es sich bei den echten Zusatzfragen, die gemäß § 313 StPO auf das Vorliegen von Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründen oder der Voraussetzungen mangelnder Strafwürdigkeit (§ 42 StGB) gerichtet sind.

Denn abgesehen davon, daß die bezügliche Verfahrensbestimmung keine nähere Erklärung hinsichtlich der Fragestellung enthält, kann die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 345 Abs 1 Z 11 lit b StPO nur ergriffen werden, wenn durch die Entscheidung über die Frage, 'ob die Verfolgung der Tat aus Gründen des Prozeßrechtes ausgeschlossen ist', ein Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet worden ist. Straflosigkeitsgründe aber (als Institutionen des materiellen Rechts) sowie andere als prozessuale Verfolgungshindernisse können (anders als im schöffengerichtlichen Verfahren nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) im geschwornengerichtlichen Verfahren nicht mit einem materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund, sondern nur im Wege einer Anfechtung der Fragestellung (§ 345 Abs 1 Z 6 StPO) oder der darauf bezogenen Rechtsbelehrung (Z 8) bekämpft werden.

Bei der Stellung von echten Zusatzfragen genügt daher die Angabe, auf welche bestimmten Ergebnisse der Hauptverhandlung sich diese bezieht, so zum Beispiel bei einer solchen in Richtung Zurechnungsunfähigkeit durch Angabe der konkreten Gründe, wie etwa zurechnungsunfähig 'wegen einer Geisteskrankheit', 'wegen Schwachsinns', 'wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung' usw. Solcherart wird einerseits die Grundlage zur überprüfung der Zulässigkeit dieser Fragestellung (Z 6) aus - auch in der Rechtsbelehrung darzulegender (Z 8) - rechtlicher Sicht (vgl. Mayerhofer-Rieder a.a.0. Nr 27 ff zu § 313) geschaffen sowie andererseits die Aufmerksamkeit der Geschwornen bei der Beantwortung der betreffenden Frage gerade auf die damit relevierten Verfahrensergebnisse gelenkt.

All diese Umstände hat der Schwurgerichtshof bei der Stellung der auf Notwehr, Putativnotwehr sowie Notwehr- und Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt gerichteten Zusatzfragen (1. bis 4.) ohnedies beachtet.

Eine weitergehende Konkretisierung des von den Geschwornen ihrem Wahrspruch über eine Zusatzfrage zugrunde zu legenden Sachverhalts oder gar dessen Spezialisierung in einer solchen Frage hingegen - wie sie der Angeklagte in Ansehung seines Standorts bei der jeweiligen Schußabgabe zur angeblichen Abwehr eines gegen ihn gerichteten Angriffs des Horst B reklamiert - ist nach dem Sinn und Zweck der erörterten maßgebenden Verfahrensbestimmungen nicht erforderlich.

Der Rechtsrüge (Z 8) hinwieder ist zwar einzuräumen, daß eine schriftliche Rechtsbelehrung der Geschwornen zur Straffrage tatsächlich im Gesetz nicht vorgesehen ist, weil als Folgen der Bejahung oder Verneinung der Fragen im Sinn des § 321 Abs 2 StPO lediglich der Schuldspruch oder der Freispruch, nicht aber auch die (von den Geschwornen ohnehin gemeinsam mit dem Schwurgerichtshof zu verhängenden) Sanktionen anzusehen sind (vgl. 10 0s 197/82, 12 0s 59/83, 11 0s 29/84 u.a.m.), doch kann eine wenngleich überflüssige, jedoch (wie hier unbestritten) richtige Belehrung zumal dann, wenn sie (wie im vorliegenden Fall) die Geschwornen bei ihrem Wahrspruch in keiner Weise zu beirren vermag, niemals den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund verwirklichen. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten für das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung sowie für das ihm außerdem zur Last liegende Vergehen nach § 36 Abs 1 lit a WaffenG gemäß § 28, 39, 87

Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Jahren. Es wertete bei der Strafbemessung das Teilgeständnis und die Bereitwilligkeit zur Schadensgutmachung als mildernd, hingegen die über die Voraussetzungen des § 39 StGB hinausgehenden einschlägigen Vorstrafen, den raschen Rückfall, die besondere Gefährlichkeit des Vorgehens und das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen als erschwerend.

Der Berufung des Angeklagten, mit der er eine Strafherabsetzung anstrebt, kommt keine Berechtigung zu.

Insoweit der Berufungswerber das Vorliegen der Voraussetzungen der Strafschärfung bei Rückfall nach § 39 StGB mit dem Argument negiert, daß die Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 20 b Vr 6029/77 wegen des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs 1 StGB weder in Ansehung der vom gleichen Gerichtshof zum AZ 1 a Vr 7505/74 wegen der Verbrechen nach § 99, 155 lit a und d StG erfolgten Verurteilung noch zu dem ihm vorliegend angelasteten Körperverletzungsdelikt auf der gleichen schädlichen Neigung beruhe, weil das Verbrechen der erpresserischen Entführung keine strafbare Handlung gegen Leib und Leben, sondern eine solche gegen die Freiheit (i.S.d. dritten Abschnitts des Besonderen Teiles des StGB) darstelle, übersieht er, daß gemäß § 71 StGB mit Strafe bedrohte Handlungen nicht nur dann auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen, wenn sie gegen dassselbe Rechtsgut gerichtet sind, sondern auch dann, wenn sie auf gleichartige verwerfliche Beweggründe oder auf den gleichen Charaktermangel zurückzuführen sind, wobei insbesondere die Umstände des Einzelfalles zu beachten sind und außerdem zu prüfen ist, ob es sich bei den jeweiligen Delikten kriminologisch gesehen um gleichartige Verhaltensweisen handelt. Letzteres trifft aber bei sämtlichen hier (unter den Voraussetzungen des § 39 StGB) zu prüfenden Tathandlungen des Angeklagten zu, die insgesamt eine jeweils (unmittelbar oder mittelbar) gegen die körperliche Integrität gerichtete Tendenz aufweisen und einem durch besondere Brutalität und leichtfertigen Waffengebrauch (Pistolen und Messer) geprägten Mangel seines Charakters entspringen.

Die über die Voraussetzungen des § 39 StGB hinausgehenden einschlägigen Vorstrafen (wegen der Vergehen nach dem Waffengesetz und der fahrlässigen Körperverletzung) wurden gleichfalls zu Recht als Erschwerungsgrund herangezogen, wenngleich diesem nach Lage des Falles kein besonderes Gewicht zukommt. Es verstößt aber auch die Wertung des raschen Rückfalls als besonderen Erschwerungsumstand trotz der Anwendung des § 39 StGB nicht gegen das Doppelverwertungsverbot; steht doch angesichts der fünfjährigen Rückfallsverjährungsfrist des § 39 Abs 2 StGB außer Frage, daß Strafschärfung bei Rückfall nach § 39 StGB auch ohne Vorliegen eines sogenannten raschen Rückfalls zur Anwendung kommen kann. Insgesamt hat das Geschwornengericht unter Berücksichtigung des jedenfalls schweren Schuld- und Unrechtsgehaltes der Straftaten des Angeklagten, der nach Verbüßung einer zweieinhalbjährigen und einer fünfjährigen Freiheitsstrafe immer schon nach einem Zeitraum von jeweils weniger als einem halben Jahr (massiv) rückfällig wurde, unter zutreffender Heranziehung der Bestimmung des § 39 StGB eine Strafe verhängt, deren Ausmaß - von sieben Jahren - keineswegs als überhöht angesehen werden kann, weshalb eine Herabsetzung nicht in Betracht gezogen werden konnte.

Es mußte daher auch der Berufung ein Erfolg versagt bleiben.

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