OGH 10Os116/78

OGH10Os116/7819.7.1978

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.Juli 1978 unter dem Vorsitz des Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Keller, Dr. Bernardini, Dr. Müller und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Hammer als Schriftführer in der Strafsache gegen Gregor A wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs. 1 StGB. über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Jugendgerichtshofs Wien vom 13.Jänner 1978, GZ. 23 U 638/77-6, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Bernardini, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Nurscher, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Punkt I des Urteils des Jugendgerichtshofs Wien vom 13.Jänner 1978, GZ. 23 U 638/77-6, verletzt die Bestimmung des § 127 Abs. 1 StGB. (im Hinblick auf § 166 Abs. 1 und 3 StGB. in Verbindung mit § 43 Abs. 1 JGG.).

Dieses Urteil, das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, wird im Schuldspruch wegen des Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 1 StGB. und demgemäß auch im Straf- und Kostenausspruch aufgehoben und es wird gemäß den § 292, 288 Abs. 2 Z. 3 StPO. im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Gregor A wird (auch) von der (weiteren) Anklage, er habe am 30.Juli 1977 in Wien einen Bargeldbetrag von 4.000 S seinem Großvater Karl B mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und habe hiedurch das Vergehen des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 1 StGB. begangen, gemäß dem § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen.

Des weiteren werden die auf den aufgehobenen Teilen des Urteils beruhenden gerichtlichen Beschlüsse, Anordnungen und Verfügungen aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit rechtskräftigem Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 13. Jänner 1978, GZ. 23 U 638/77-6, wurde der am 18.Jänner 1960 geborene Hilfsarbeiter Gregor A, auf Grund öffentlicher Anklage des Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 1 StGB. schuldig erkannt und zu einer (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe sowie zum Kostenersatz verurteilt, weil er am 30.Juli 1977, somit damals noch jugendlich, in Wien seinem Großvater Karl B einen Bargeldbetrag von 4.000 S gestohlen hat (Punkt I des Urteilssatzes).

Rechtliche Beurteilung

Der Schuldspruch wegen des Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 1 StGB. steht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß dem § 166 Abs. 1 StGB. ist - wegen 'Begehung im Familienkreis' - derjenige, der einen Diebstahl mit Ausnahme der in den § 129 Z. 4, 131 StGB. genannten Fälle zum Nachteil seines Ehegatten, eines Verwandten in gerader Linie, seines Bruders oder seiner Schwester oder zum Nachteil eines anderen Angehörigen (vgl. § 72 Abs. 1 StGB.) begeht, sofern er mit diesem in Hausgemeinschaft lebt, mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen, wenn die Tat jedoch sonst mit einer Freiheitsstrafe bedroht wäre, die drei Jahre erreicht oder übersteigt, mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

Gemäß dem dritten Absatz des § 166 StGB. ist der Täter nur auf Verlangen des Verletzten zu verfolgen.

Das Erfordernis der Hausgemeinschaft bezieht sich nur auf 'andere' Angehörige im § 166 Abs. 1 StGB. Das folgt erstens aus der Diktion der Gesetzesstelle, namentlich aus dem hinweisenden Fürwort 'diesem'; zweitens aus der überlegung, daß andernfalls die Aufzählung des Ehegatten, der Verwandten in gerader Linie, des Bruders und der Schwester überflüssig wäre und die Abhebung des Privilegs ganz einfach auf 'Angehörige (§ 72 StGB.)' genügt hätte, weil ja auch der Ehegatte, der Bruder, die Schwester und die Verwandten in gerader Linie unter den Begriff der Angehörigen nach § 72 StGB. fallen.

Daraus ergibt sich, daß eine im Familienkreis begangene (Diebstahls-) Tat, sofern sie zum Nachteil des Ehegatten, eines Verwandten in gerader Linie, des Bruders oder der Schwester verübt wurde, gegenüber den allgemeinen Strafdrohungen für dieses Delikt auch dann privilegiert ist, wenn der Täter und der Verletzte - wie vorliegend vom Jugendgerichtshof Wien angenommen wurde - nicht in Hausgemeinschaft leben.

Richtigerweise wäre daher das durch Punkt I./ des Urteilsspruches erfaßte, als (Familien-) Diebstahl zum Nachteil seines Großvaters zu beurteilende Verhalten des Beschuldigten nicht dem § 127 Abs. 1 StGB., sondern dem § 166 Abs. 1 StGB. zu unterstellen gewesen, weil der Bestohlene als Großvater (mütterlicherseits) des Beschuldigten zur Gruppe der (nahen) Verwandten in gerader Linie zählt, für die der Auffassung des Erstgerichtes zuwider das Bestehen einer Hausgemeinschaft mit dem Täter nicht erforderlich ist, um der Privilegierung nach § 166 Abs. 1

StGB. teilhaftig zu werden.

Das - rechtsrichtig - dem § 166 Abs. 1 StGB. zu subsumierende, an sich nur der Privatanklage unterliegende Diebstahlsvergehen war vorliegend, da es sich bei der Tat um eine Jugendstraftat (§ 1 Z. 3 JGG.) handelt, im Sinne der (Sonder-) Bestimmung des § 43 Abs. 1 JGG. zwar unter Umständen vom öffentlichen Ankläger verfolgbar, indes nur auf Antrag des durch die Tat Verletzten (vgl. § 2 Abs. 4 StPO.); ein solcher Antrag wurde vom Bestohlenen Karl B jedoch nach der Aktenlage nicht gestellt.

Der Jugendgerichtshof Wien hätte demgemäß mit Freispruch nach dem § 259 Z. 3 letzter Fall StPO. vorgehen müssen; der demgegenüber infolge unrichtiger Auslegung des § 166 Abs. 1 StGB. wegen des Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 1 StGB. ergangene - im Sinne des § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b (in Verbindung mit § 468 Abs. 1 Z. 4) StPO. (vgl. LSK. 1976/134) nichtige - Schuldspruch verletzt daher zum Nachteil des Beschuldigten die Bestimmungen des § 127 Abs. 1 StGB. (im Hinblick auf § 166 Abs. 1

und 3 StGB. in Verbindung mit § 43 Abs. 1 JGG.).

Der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 Abs. 2 StPO. erhobenen Beschwerde war darnach stattzugeben und gemäß dem § 292 StPO. wie eingangs zu erkennen.

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