OGH 10ObS94/11p

OGH10ObS94/11p4.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Irene Kienzl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. KR Michaela Puhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei C*****, vertreten durch Mag. Dr. Hans Kristoferitsch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Witwenpension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juni 2011, GZ 9 Rs 75/11g-100, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Die Klägerin stellte erstmals am 30. 3. 2005 einen Antrag auf Gewährung einer Witwenpension nach ihrem am 24. 6. 1974 verstorbenen Ehemann.

Die Vorinstanzen verpflichteten die beklagte Partei übereinstimmend zur Zahlung einer Witwenpension ab 30. 3. 2005 und wiesen das Mehrbegehren auf Zahlung einer Witwenpension für den Zeitraum vom 24. 6. 1974 bis 29. 3. 2005 ab.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

In ihrer gegen diese Entscheidung gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 86 Abs 3 ASVG (in der zum Stichtag, das ist der Todestag des verstorbenen Ehemanns am 24. 6. 1974, maßgeblichen Fassung der 25. ASVG-Nov BGBl 1970/385) fallen Hinterbliebenenrenten aus der Pensionsversicherung mit dem Eintritt des Versicherungsfalls (Tod des Versicherten) bzw mit dem dem Versicherungsfall folgenden Monatsersten (nach einem Rentenempfänger) an, wenn der Antrag binnen sechs Monaten nach Eintritt des Versicherungsfalls gestellt wurde. Wird der Antrag auf Revision erst nach Ablauf von sechs Monaten nach dem Tod des Versicherten gestellt, so fällt die Pension erst mit dem Tag der Antragstellung an. Dies ist sachlich durch das in der Pensionsversicherung geltende Antragsprinzip gerechtfertigt. Dadurch soll vermieden werden, dass die Versicherungsträger und die Versichertengemeinschaft mit hohen Pensionsnachzahlungen für Zeiträume belastet werden, für die erst nachträglich ein Leistungsantrag gestellt wurde (10 ObS 278/94 SSV-NF 8/126). Diese Regelung stößt auf keine verfassungsrechtlichen Bedenken (RIS-Justiz RS0053931).

2. Leistungen aus der Pensionsversicherung sind grundsätzlich nur auf Antrag zu gewähren (§ 361 Abs 1 Z 1 ASVG; RIS-Justiz RS0085092). Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgeführt hat, lässt sich die Fiktion eines tatsächlich nicht gestellten Antrags auch aus dem Grundsatz der sozialen Rechtsanwendung nicht ableiten (RIS-Justiz RS0086446 [T1]). Das Gesetz kennt kein Institut, das einen Versicherten vor versicherungsrechtlichen Nachteilen bewahrt, wenn ihm ohne sein Verschulden eine zeitgerechte Antragstellung nicht möglich war (RIS-Justiz RS0085841). Auch eine wegen Unkenntnis des Gesetzes verspätete Antragstellung wirkt auf keinen früheren Zeitpunkt zurück.

Von diesen Grundsätzen weicht die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht ab. Dass bei der Beantragung der Hinterbliebenenleistung die Rechtssysteme dreier Staaten zu beachten waren und die Klägerin (eine türkische Staatsbürgerin) jahrelang keine Kenntnis davon hatte, dass die von ihrem Ehemann in Österreich erworbenen Versicherungszeiten bei den ihr in Deutschland zugestandenen Rentenleistungen nicht mitberücksichtigt wurden, muss für die Entscheidung unerheblich bleiben.

3. In ihrer Revision macht die Klägerin weiters geltend, § 86 Abs 3 ASVG stelle eine spürbare Beschränkung dar, die für türkische Staatsangehörige die Aufnahme oder Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit in Österreich weniger attraktiv mache und diese allenfalls von der Aufnahme einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit in Österreich abhalte. § 86 Abs 3 ASVG verstoße deshalb gegen die auf die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die Gleichstellung türkischer Arbeitnehmer und deren Familienangehörigen auf dem Arbeitsmarkt abzielenden Vorschriften, nämlich jene des Art 12 des Abkommens vom 12. 9. 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei, gegen Art 36 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsübereinkommen vom 23. 11. 1970 und gegen die Art 6, 7, 10 und 13 des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrats vom 10. 9. 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80).

Dabei übersieht die Revisionswerberin aber, dass der den Anfallszeitpunkt von Hinterbliebenenpensionen regelnde § 86 Abs 3 ASVG (in der hier anzuwendenden Fassung BGBl 1970/385) gleichermaßen auf Versicherte und deren Hinterbliebene österreichischer Staatsangehörigkeit anzuwenden ist, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen gegeben sind. Es ist deshalb nicht ersichtlich, inwiefern diese Regelung den mit den genannten gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen verfolgten Zielen entgegenstehen sollte. Art 13 ARB 1/80 verbietet lediglich die Einführung neuer Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt für sich in Österreich ordnungsgemäß aufhaltende und beschäftigte türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörige.

Die in der Revision geltend gemachte Gemeinschaftsrechtswidrigkeit liegt demnach nicht vor.

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