Spruch:
1. Soweit sich die Revision gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes über den Kostenpunkt richtet, wird sie zurückgewiesen.
2. Im übrigen wird der Revision Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
3. Die Kosten der Berufung und der Revision sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Mit Bescheid vom 28.1.1991 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 22.10.1990 auf Invaliditätspension mangels Invalidität ab.
Die dagegen rechtzeitig erhobene, auf die abgelehnte Leistung im gesetzlichen Ausmaß ab Antragstag gerichtete Klage stützte sich zunächst nur darauf, daß die Klägerin wegen inoperabler Schwäche und Perforierung ihrer Bauchmuskulatur dauernd starke Schmerzen habe, keine Belastungen aushalten, keine Gegenstände heben und überhaupt keiner geregelten Beschäftigung mehr nachgehen könne. In der Tagsatzung vom 25.6.1991 ergänzte die Klägerin, daß sie auch an einer stark beschleunigten Blutsenkung und an einer Schwellung des Fußrückens leide und stützte die Klage auch auf langdauernde Krankenstände.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Sie wendete ein, daß die während der letzten fünfzehn Jahre vor dem Antrag als Hilfsarbeiterin tätig gewesene Klägerin noch alle leichten Arbeiten ohne Einschränkungen in der üblichen Arbeitszeit verrichten und daher zB noch als Wäschearbeiterin, Tagesportierin und Sortiererin tätig sein könne.
Das Erstgericht wies die Klage ab.
Nach seinen Feststellungen leidet die am 12.7.1945 geborene Klägerin intern an Lupus erythematodes mit Gelenksbeteiligung. Deshalb ist "mit gehäuften Krankenständen zu rechnen, die insgesamt pro Jahr zwei Monate erreichen können, wobei der angegebene Zeitraum die absolute Übergrenze" - in den Ausfertigungen heißt es offenbar unrichtig "Untergrenze" - "darstellt und nicht davon auszugehen ist, daß im Schnitt der kommenden Jahre - soweit prognostizierbar - Krankenstände von mehr als acht Wochen pro Jahr auftreten (ON 4 plus Ergänzungen in ON 9"). Wegen des chirurgischen Zustandes kann die Klägerin auch bei Berücksichtigung der internen Leiden - der Blutsenkungsbefund weist auf eine chronische rheumatische Erkrankung mit erhöhter Blutsenkung hin, was sich aber auf das zusammengefaßte Kalkül nicht auswirkt - seit der Antragstellung leichte Arbeiten "bei" üblichen Pausen verrichten. "Der Arbeitsplatz ist überall erreichbar." Die Klägerin hat von November 1971 bis Oktober 1990 in der österreichischen Pensionsversicherung 226 Versicherungsmonate (206 Beitrags- und 20 Ersatzmonate) erworben, während der letzten fünfzehn Jahre vor dem Stichtag 160 Versicherungsmonate als Hilfsarbeiterin. Aufgrund des medizinischen Leistungskalküls und des Berufsverlaufes sind ihr noch mehrere - in den Feststellungen näher beschriebene - Hilfs(arbeiter)tätigkeiten in größeren Betrieben zumutbar.
Wegen dieser Verweisungsmöglichkeit sei die Klägerin nicht invalid iS des § 255 Abs 3 ASVG.
In der auf Abänderung im klagestattgebenden Sinn, allenfalls auf Aufhebung gerichteten Berufung rügte die Klägerin unter dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit, das Erstgericht habe nicht geklärt, ob Lupus erythematodes mit Gelenksbeteiligung oder Gelenksbeschwerden vorliege, im internen Gutachten fehle eine ausreichende Begründung hinsichtlich der chronischen rheumatischen Erkrankung und über zukünftige Krankenstände, schließlich wären ein neurologisches Gutachten, ein Psychotest und Krankenkassenunterlagen einzuholen gewesen. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung sei wegen der zu erwartenden jährlichen Krankenstände von acht Wochen Invalidität anzunehmen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge und verneinte einen Kostenersatzanspruch der Klägerin.
Daß der interne Sachverständige Lupus erythematodes mit Gelenksbeteiligung und nicht Gelenksbeschwerden diagnostiziert habe, sei unbedenklich, weil es offenkundig sei, daß mit der Gelenksbeteiligung auch Beschwerden oder Schmerzen verbunden seien. Dieser Sachverständige habe sich auch nicht über die Schmerzen hinweggesetzt, sondern ausgeführt, daß die Klägerin aufgrund dieser Beschwerden mit Krankenständen bis zu acht Wochen rechnen könne und daß ihr (intern) nur leichte bis mittelschwere Arbeiten zumutbar seien. Der Sachverständige habe seine Meinung, daß die chronische rheumatische Erkrankung der Klägerin auf das zusammengefaßte Kalkül keine Auswirkung habe, aufgrund seines Fachwissens und seiner medizinischen Erfahrung abgegeben. Es sei nicht erforderlich, daß ein Sachverständiger für jede Meinung eine eingehende wissenschaftliche Begründung gebe. Die qualifiziert vertretene Klägerin hätte den Sachverständigen dazu auch befragen können. Für die Frage des Ausschlusses vom Arbeitsmarkt infolge von Krankenständen könne im allgemeinen vom bisherigen Krankheitsverlauf ausgegangen werden. Der Versicherte könne allerdings eine Verschlechterung für die Zukunft beweisen, wobei ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit genüge. Der Sachverständige für interne Medizin habe zwei Monate an Krankenständen als absolute Obergrenze erachtet und ausgeführt, er gehe nicht davon aus, daß im Schnitt der kommenden Jahre - soweit prognostizierbar - Krankenstände von mehr als acht Wochen auftreten würden. Damit sei aber der Beweis einer hohen Wahrscheinlichkeit von zu erwartenden Krankenständen nicht erbracht. Die Beiziehung eines Sachverständigen für Neurologie, ein Psycho- und Arbeitstest und die Beischaffung der Krankenkassenunterlagen seien nicht erforderlich gewesen. Das Berufungsgericht übernahm daher die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens. Soweit die Rechtsrüge ausführe, in den kommenden Jahren sei mit Krankenständen von acht Wochen pro Jahr zu rechnen, lasse sie die Verfahrensergebnisse außer acht. Weil der Klägerin der Beweis, daß in den kommenden Jahren Krankenstände von mehr als acht Wochen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu gewärtigen sein werden, nicht gelungen sei, liege kein Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt vor.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die unbeantwortete Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben oder wenigstens im Kostenpunkt abzuändern.
1. Soweit sich die Revision gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes über den Kostenpunkt richtet, ist sie unzulässig und daher zurückzuweisen. Solche Entscheidungen können nach § 2 Abs 1 ASGG iVm § 519 ZPO auch in Sozialrechtssachen nicht bekämpft werden, und zwar weder - wie hier - bei gleichzeitiger Anfechtung der in der Hauptsache ergangenen Entscheidung mit Revision, noch mit (Kosten)Rekurs (zB SSV-NF 2/82, 3/146, die allerdings noch aufgrund der Gesetzeslage vor der WGN 1989 ergangen sind; SSV-NF 4/37, zuletzt 11.2.1992 10 Ob S 6/92).
2. Im übrigen ist die Revision nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussezungen des Abs 1 dieser Gesetzesstelle zulässig. Insoweit ist sie iS des Aufhebungsantrages berechtigt.
a) Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit (§ 503 Z 2 ZPO) liegt allerdings nicht vor (§ 510 Abs 3 leg cit). In diesem Zusammenhang rügt die Revisionswerberin lediglich schon in der Berufung behauptete, vom Berufungsgericht jedoch verneinte angebliche Mängel des erstgerichtlichen Verfahrens, was jedoch nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates auch in einer Sozialrechtssache nicht zulässig ist (SSV-NF 1/32, 3/115, 4/114 uva).
b) Hingegen ist die Rechtsrüge begründet.
Der erkennende Senat hat wiederholt (SSV-NF 3/152, 4/40 ua) ausgesprochen, daß häufige oder länger dauernde Krankenstände dazu führen können, daß die Arbeitsfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr bewertet wird und er daher von diesem ausgeschlossen ist. Für die Lösung der Frage, welche Krankenstände von Arbeitgebern im allgemeinen ohne besonderes Entgegenkommen hingenommen werden, können die vom Österreichischen Statistischen Zentralamt ermittelten durchschnittlichen Krankenstände einen geeigneten Anhaltspunkt bilden, weil sich daraus ableiten läßt, mit welchen Krankenständen der Arbeitgeber bei jedem Arbeitnehmer rechnen muß. Weicht die Dauer der bei einem Versicherten zu erwartenden Krankenstände von diesem Durchschnitt nicht allzusehr ab, dann kann kein Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt vorliegen.
Aus diesen Erwägungen hat der erkennende Senat bei Krankenständen von durchschnittlich sechs Wochen (SSV-NF 3/45), 30 (10 Ob S 128/89) und 30 bis 40 (10 Ob S 153/89) Krankenstandstagen sowie 30 Arbeitstagen (10 Ob S 157/89) im Jahr einen Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt verneint, bei einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, die im einzelnen drei Wochen und im Jahr insgesamt acht Wochen nicht überschreitet (SSV-NF 3/152) und von zwei oder drei Monaten pro Jahr (SSV-NF 4/40) bejaht. Ein solcher Ausschluß ist auch schon bei regelmäßig zu erwartenden jährlichen Krankenständen von sieben Wochen) zu bejahen. Berücksichtigt man, daß neben den mit den im konkreten Fall vorliegenden Leiden zusammenhängenden Krankenständen noch mit solchen zu rechnen ist, die auf andere Ursachen, zB Erkältungen, zurückzuführen sind, dann erreichen die zu erwartenden Krankenstände etwa das Vierfache der durchschnittlichen Krankenstandsdauer.
Obwohl eine absolut sichere Aussage zu künftigen Krankenständen medizinisch oft nicht möglich sein wird, muß für solche Prognosen ein hohes Maß von naturwissenschaftlicher Wahrscheinlichkeit gefordert werden, wozu eine Aussage, daß Krankenstände "möglich bis wahrscheinlich" sind, nicht ausreicht (zB SSV-NF 3/120).
Die von den Vorinstanzen zur Frage der voraussichtlichen Krankenstände getroffenen Feststellungen reichen zur Beurteilung, ob die Klägerin nach den dargelegten Grundsätzen vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, nicht aus.
Der zum Sachverständigen bestellte Facharzt für Innere Medizin führte im schriftlichen Gutachten vom 3.5.1991 ON 4 AS 7 ua aus, im November 1990 sei im Kaiser-Franz-Josef-Spital ein Lupus erythematodes mit Gelenksbeschwerden festgestellt worden. Außerdem habe die Gefäßuntersuchung eine Angiopathie mit Unterschenkelstenosen beiderseits ergeben. Die Klägerin stehe weiter in ambulanter Kontrolle und erhalte auch vom Hausarzt regelmäßige Injektionen. Der Sachverständige diagnostizierte Lupus erythematodes mit Gelenksbeteiligung, welcher Befund sich seit der letzten Untersuchung nicht geändert und bereits bei Antragstellung bestanden habe, und mutete der Klägerin leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in der üblichen Arbeitszeit bei Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes zu. Es sei mit gehäuften Krankenständen zu rechnen, die insgesamt zwei Monate im Jahr erreichen können.
Nachdem die nach § 40 Abs 1 Z 2 ASGG zur Vertretung qualifizierte Klagevertreterin in der Tagsatzung vom 25.6.1991 auf eine nicht näher bezeichnete "neueste" Entscheidung des Obersten Gerichtshofes verwiesen hatte, nach der Krankenstände, die pro Jahr acht Wochen erreichen oder überschreiten, zum Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt führten, und ausgeführt hatte, daß diese Voraussetzung unter Berücksichtigung des internen Gutachtens gegeben sei, weshalb der Anspruch auch darauf gestützt werde, ergänzte der erwähnte Sachverständige auf Frage des Vorsitzenden, die von ihm angegebenen vermutlichen Krankenstände, die insgesamt zwei Monate erreichen könnten, stellten eine absolute Obergrenze dar. Er gehe nicht davon aus, daß im Schnitt der kommenden Jahre - soweit dies prognostizierbar sei - Krankenstände von mehr als acht Wochen auftreten werden. Auf die Frage der Klagevertreterin antwortete dieser Sachverständige, die von ihm prognostizierten möglichen Krankenstände wären durch das Gesundheitsbild der Klägerin, insbesondere durch die chronische rheumatische Erkrankung bedingt. Es sei davon auszugehen, daß möglicherweise mehrere Krankenstände pro Jahr vorliegen könnten, die insgesamt maximal den von ihm angegebenen Wert erreichen könnten (Verhandlungsprotokoll ON 9 AS 23).
Bereits vor diesen Ergänzungen hatte der Internist in der Tagsatzung vom 25.6.1991 unmittelbar nach der Verlesung seines schriftlichen Gutachtens und des schriftlichen Gutachtens des Chirurgen zusammengefaßt, unter Mitberücksichtigung des chirurgischen Gutachtens bleibe es bei dessen Kalkül ohne wechselseitige Leidensbeeinflussung (ON 9 AS 21).
Obwohl der Sachverständige für Chirurgie in seinem schriftlichen Gutachten ON 5 AS 9 verschiedene Diagnosen gestellt hatte, darunter einen Zustand nach zweimaliger Narbenbruchoperation (1986) mit zur Zeit bestehendem reponiblem Narbenbruchrezidiv, eine medikamentös gut behandelte Schmetterlingsflechte - dabei handelt es sich um eine deutsche Bezeichnung des Lupus erythematodes - und leichte Krampfadern bds, wodurch die Arbeitsfähigkeit der Klägerin auf leichte Arbeiten eingeschränkt werde, fehlen Ausführungen darüber, auch wegen der in sein Fachgebiet fallenden Leiden allenfalls Krankenstände zu erwarten wären.
Daß chirurgisch bedingte Krankenstände in der dargelegten Krankenstandsprognose des Internisten mitberücksichtigt worden wären, ist diese nicht eindeutig zu entnehmen, aber - abgesehen von den Folgen des gemeinsam diagnostizierten Lupus erythematodes - eher unwahrscheinlich. Die Krankenstandsprognose im vor dem chirurgischen Gutachten erstatteten schriftlichen internen Gutachten konnte sich nämlich nur auf die einzige Diagnose dieses Gutachtens (Lupus erythematodes mit Gelenksbeteiligung) beziehen. Diese Prognose wurde vom Internisten in der Tagsatzung vom 25.6.1991 auf Fragen des Vorsitzenden und der Klagevertreterin näher erläutert, wobei als Hauptursache der zu erwartenden Krankenstände die chronische rheumatische Erkrankung angegeben wurde. Ob diese letztgenannte Erkrankung in dem im schriftlichen Gutachten des Internisten diagnostizierten Leidenszustand bereits enthalten war, kann bisher auch noch nicht verläßlich beurteilt werden.
Zusammenfassend ist daher zu sagen, daß dem Revisionsgericht erheblich scheinende Tatsachen im Zusammenhang mit den infolge aller Leidenszustände der Klägerin zu erwartenden Krankenständen bereits in erster Instanz nicht ausreichend erörtert und festgestellt wurden. Vor allem wurde nicht geklärt, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit die Klägerin wegen dieser seit der Antragstellung bestehenden Leiden arbeitsunfähig sein, wie lange diese Arbeitsunfähigkeit jeweils dauern und wie häufig sie auftreten wird.
Wegen dieser aufgrund der Rechtsrüge wahrzunehmenden Feststellungsmängel waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und war die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§§ 496, 499, 503 Z 4, 510, 511 und 513 ZPO).
Der Vorbehalt der Entscheidung über die Pflicht zum Ersatz der Berufungs- und Revisionskosten beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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