Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin S 1.811,52 an Revisionskosten (darin enthalten S 301,92 Ust) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Klägerin wurde von der Beklagten ab 1.5.1992 befristet bis 31.3.1993 die Berufsunfähigkeitspension zuerkannt. Zu dieser Pension bekam die Klägerin auch einen Kinderzuschuß für ihren am 6.7.1966 geborenen Sohn Manfred. Über ihren am 7.4.1993 gestellten Antrag auf Weitergewährung der befristeten Berufsunfähigkeitspension wurde bisher noch nicht entschieden. Am 15.7.1992 beantragte sie die Weitergewährung des Kinderzuschusses über das 26. Lebensjahr ihres Sohnes hinaus.
Der Sohn der Klägerin leidet seit seiner Geburt an dem sogenannten Netherton-Syndrom. Dabei handelt es sich um eine chronische Verhornungsstörung der Haut, bei der es zu wechselnden girlandenförmigen Herden von Schuppenbildungen und zu einer entzündlichen Rötung der Haut sowie auch zu Pigmentverschiebungen kommt. Besonders stark sind die Veränderungen an den Extremitäten und im Bereich des Gesichtes ausgeprägt. Das Gesicht ist rot und schuppig und zeigt dicke Lidfalten. Im Bereich der Kopfhaut finden sich die typischen struppigen Bambushaare. Der Sohn der Klägerin kann in körperlicher Hinsicht nur leichte Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen verrichten, doch ist längeres Sitzen wegen der Gefahr der Irritation der Haut nachteilig. Eine Arbeitszeit von 8 Stunden täglich ist möglich, doch müßte die Arbeitszeit flexibel gestaltet sein, damit neben den Erholungspausen auch die Möglichkeit zur Pflege der Haut gegeben ist. Körperlich anstrengende Arbeiten müssen vermieden werden, ebenso Arbeitsbedingungen, die zu einer Reizung der Haut führen, insbesondere zu trockene Luft, stärkeres Schwitzen, Temperaturwechsel, staubige Luft und Luftzug. Die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels und die Zurücklegung einer Wegstrecke von wenigstens 500 m zu Fuß ist möglich.
Der Sohn der Klägerin besuchte von 1972 bis 1976 die Volksschule, von 1976 bis 1980 die Hauptschule, von 1980 bis 1981 den polytechnischen Lehrgang und von 1981 bis 1987 die Handelsakademie, die er mit der Matura abschloß. Von 1987 bis 1992 studierte er Betriebswirtschaft an der Universität Innsbruck; im Juli 1992 schloß er dieses Studium mit dem Grad eines Magisters der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften ab. Seit dem Wintersemester 1992/1993 betreibt er das Doktorratsstudium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Innsbruck.
Mit Bescheid der Beklagten vom 16.12.1992 wurde der Antrag der Klägerin auf Weitergewährung des Kinderzuschusses über das vollendete 26. Lebensjahr ihres Sohnes abgewiesen.
In ihrer dagegen rechtzeitig erhobenen Klage brachte die Klägerin vor, der Anspruch auf Weitergewährung des Kinderzuschusses sei deshalb gegeben, weil das jämmerliche und abstoßende Äußere ihres Sohnes verbunden mit den für seine Umgebung deutlich fühlbaren Krankheitssymptomen es unmöglich machten, daß ihn ein Arbeitgeber in seine Dienste nehme. Der Abschluß des Studiums habe an der Tatsache seiner vollen Erwerbsunfähigkeit als Dauerzustand nichts geändert. Im übrigen bestünde der Anspruch auch bis zur Erreichung des Doktorates der Betriebswirtschaft.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil es sich bei dem Zustand des Sohnes der Klägerin um keine Erkrankung handle, die Erwerbsunfähigkeit nach sich ziehe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch fest, daß sich im Ausbildungsgang des Sohnes der Klägerin keine krankheitsbedingten Verzögerungen ergeben haben, daß er sich nach Beendigung des Diplomstudiums bei zahlreichen Unternehmen um einen Arbeitsplatz beworben hat und daß es ihm jedoch bis heute nicht gelungen ist, eine Arbeitsstelle zu finden. Das Erstgericht kam zu dem Ergebnis, daß er trotz seiner Erkrankung in der Lage ist, eine berufliche Tätigkeit auszuüben, sofern am Arbeitsplatz die durch seine Erkrankung vorgegebenen Einschränkungen berücksichtigt werden. Die Eignung einer konkreten Arbeitsstelle müßte jedoch an der konkreten Situation ausgetestet werden.
Rechtlich folgerte das Erstgericht daraus, daß die Kindeseigenschaft weder nach der Z 1 noch nach der Z 2 des § 252 Abs 2 ASVG fortbestehe. Zu krankheitsbedingten Verzögerungen in der Ausbildung sei es nicht gekommen. Ob das Kind seit Vollendung des 18. Lebensjahres infolge Krankheit oder Gebrechen erwerbsunfähig sei, müsse nach medizinischen Gesichtspunkten beurteilt werden. Der Sohn der Klägerin sei vom gesundheitlichen Standpunkt aus durchaus in der Lage, eine berufliche Tätigkeit zu verrichten. Er werde nur wegen seines äußeren Erscheinungsbildes von möglichen Arbeitgebern abgelehnt, allerdings nicht so sehr deswegen weil er unansehnlich sei, sondern eher, weil das äußere Erscheinungsbild die Vermutung nahelege, daß bei ihm Arbeitsfähigkeit nicht gegeben wäre. Er sei daher nicht erwerbsunfähig, sondern arbeitslos mit dem besonderen Problem, daß es für ihn überhaupt schwer sei, eine Arbeit zu finden. Dies begründe jedoch nicht die Voraussetzungen für die Gewährung des Kinderzuschusses über das 26. Lebensjahr hinaus.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Soweit sie sich gegen die Nichtanwendbarkeit des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG wende, lasse sie die unbekämpfte Tatsachenfeststellung außer acht, wonach sich im Ausbildungsgang ihres Sohnes krankheitsbedingte Verzögerungen nicht ergeben haben. Daß etwa eine bestimmte Ausbildung auch ohne einen im Gesetz genannten Verzögerungsgrund selbst bei der Mindeststudiendauer bereits über das 26. Lebensjahr hinaus andauere, sei kein im Gesetz genannter Grund für die Weitergewährung des Kinderzuschusses. Es treffe auch nicht zu, daß die durch das äußere Erscheinungsbild des Sohnes gegebene Unmöglichkeit, einen Arbeitsplatz zu erlangen, eine leidensbedingte Arbeitsunfähigkeit darstelle. Die bisherige Unmöglichkeit, einen Arbeitsplatz zu erlangen, ändere nichts daran, daß der Sohn nach dem festgestellten medizinischen Zustand in der Lage sei, auf einem für ihn geeigneten Arbeitsplatz erwerbstätig zu sein. Nur eine infolge Krankheit oder Gebrechens bewirkte Erwerbsunfähigkeit begründe ein Weiterbestehen der Kindeseigenschaft. Da der Gesundheitszustand die Annahme von Arbeitsplätzen auch außerhalb des derzeitigen Wohnortes nicht verhindere, sei der gesamte allgemeine Arbeitsmarkt Österreichs relevant. Daß es auf diesem wenigstens hundert an sich geeignete Arbeitsplätze gebe, sei offenkundig. Daher sei der Sohn der Klägerin nicht erwerbsunfähig, sondern arbeitslos.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.
Gemäß § 252 Abs 2 Z 1 ASVG in der hier noch anzuwendenden Fassung vor der 44. ASVG-Novelle (Art VI Abs 13 des SRÄG 1988, BGBl 1987/609) besteht auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Kindeseigenschaft weiter, wenn und solange das Kind sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres. Ist die Schul- oder Berufsausbildung durch die Erfüllung der Wehrpflicht, der Zivildienstpflicht, durch Krankheit oder ein anderes unüberwindbares Hindernis verzögert worden, so besteht die Kindeseigenschaft über das 26. Lebensjahr hinaus für einen der Dauer der Behinderung angemessenen Zeitraum (vgl. dazu SSV-NF 6/36). Die Kindeseigenschaft des Sohnes der Klägerin wurde nach dieser Gestzesstelle, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, schon deshalb nicht verlängert, weil die Ausbildung nach den Feststellungen weder durch Krankheit noch sonst durch ein anderes unüberwindbares Hindernis verzögert wurde. Zu der von der Revisionswerberin gewünschten korrigierenden Auslegung, daß sich die Kindeseigenschaft auch ohne die im Gesetz genannten Verzögerungsgründe dann verlängere, wenn die Mindeststudienzeit über das 26. Lebensjahr hinausreiche, besteht kein Anlaß. Der Gesetzgeber ging davon aus, daß die Schul- oder Berufsausbildung bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres im allgemeinen abgeschlossen ist und Ausnahmen nur bei bestimmten Verzögerungsgründen bestehen sollen. Das Argument, der Sohn der Klägerin hätte seine Ausbildung bis zum 26. Lebensjahr gar nicht beenden können, trifft nämlich nicht zu: Bedingt durch den vorherigen Besuch der Hauptschule und des polytechnischen Lehrganges und durch den Besuch der Handelsakademie erst ab 1981 legte er die Matura erst im Alter von 21 Jahren ab, weshalb er (allerdings nicht krankheitsbedingt) verspätet mit dem Studium an der Universität beginnen konnte. Verzögerungen in der Schul- oder Berufsausbildung, die nicht durch die Erfüllung der Wehrpflicht, der Zivildienstpflicht, durch Krankheit oder ein anderes unüberwindbares Hindernis hervorgerufen wurden, sind nicht geeignet, die Kindeseigenschaft zu verlängern.
Die Klägerin kann ihren Anspruch aber auch nicht auf § 252 Abs 2 Z 2 ASVG stützen. Nach dieser Gesetzesstelle besteht die Kindeseigenschaft auch nach der Vollendung des 18. Lebensjahres, wenn und solange das Kind seit der Vollendung des 18. Lebensjahres oder seit dem Ablauf des in Z 1 genannten Zeitraumes infolge Krankheit oder Gebrechens erwerbsunfähig ist. Diese seit 1.1.1973 geltende Fassung der Bestimmung nach der 29. ASVG-Novelle BGBl 1973/31 unterscheidet sich wesentlich von jener des Stammgesetzes und der späteren Fassung durch die 9. ASVG-Novelle BGBl 1962/13: Danach bestand Kindeseigenschaft über das 18. Lebensjahr, wenn das Kind "wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen dauernd außerstande" war, "sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ...". Dieser Wortlaut ließ noch eine deutliche Annäherung an die zivilrechtliche Unterhaltsregelung erkennen. Nunmehr ist Voraussetzung für die Annahme der Kindeseigenschaft über das 18. Lebensjahr hinaus die Erwerbsunfähigkeit auf Grund geistiger oder körperlicher Gebrechen. Erwerbsunfähigkeit liegt vor, wenn jemand wegen des nicht nur vorübergehenden Zustandes der körperlichen und geistigen Kräfte und nicht etwa nur wegen der ungünstigen Lage des Arbeitsmarktes oder wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nicht imstande ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bzw. als Selbständiger einen nennenswerten Erwerb zu erzielen (SSV-NF 6/102; Teschner-Widlar in MGA ASVG 55. ErgLfg. 742/5 Anm 20 a zu § 123; zuletzt 10 Ob S 228/93). Hiebei muß es sich keineswegs um eine "dauernde" Erwerbsunfähigkeit iS des Versicherungsfalles der dauernden Erwerbsunfähigkeit nach § 133 GSVG handeln (dazu SSV-NF 5/63). Bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit nach der hier maßgeblichen Gesetzesstelle kommt es darauf an, ob das Kind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bzw. als Selbständiger einem Erwerb nachgehen kann. Ob dies infolge Krankheit oder Gebrechens unmöglich ist, muß ausschließlich nach medizinischen Gesichtspunkten und ohne Bedachtnahme darauf beurteilt werden, ob und in welchem Umfang das Kind nicht dennoch - etwa auf Kosten seiner Gesundheit - weiterhin ein Einkommen aus unselbständiger oder selbständiger Tätigkeit bezieht (SSV-NF 6/102 mwN; zuletzt 10 Ob S 228/93; vgl. auch Schrammel in Tomandl SV-System 5. ErgLfg. 130, wonach die Judikatur im Bereich der Angehörigeneigenschaft einen eigenständigen Erwerbsunfähigkeitsbegriff entwickelt habe, der mit dem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit in der Pensionsversicherung der Selbständigen nur den Namen gemeinsam habe).
Der Sohn der Klägerin leidet nun unzweifelhaft an einer chronischen Krankheit. Unter Krankheit versteht das ASVG einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der die Krankenbehandlung notwendig macht (§ 120 Abs 1 Z 1 ASVG). Er ist jedoch nicht erwerbsunfähig im oben dargestellten Sinn, weil er nach den Feststellungen nach den hier maßgeblichen medizinischen Gesichtspunkten noch einem Erwerb nachgehen und ein nennenswertes Entgelt erzielen kann, wobei als nicht nennenswert ein Entgelt angesehen werden kann, das den Betrag nicht übersteigt, bis zu dem nach § 122 Abs 4 ASVG Erwerbslosigkeit anzunehmen ist (Schrammel aaO 131; 10 Ob S 228/93). Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist für die Frage der Invalidität ohne Bedeutung, ob ein Versicherter auf Grund der konkreten Arbeitsmarktsituation im Verweisungsberuf einen Dienstposten finden wird (SSV-NF 6/56 mwN uva). Dieser Grundsatz muß umso mehr gelten, wenn die Erwerbsunfähigkeit iS des § 252 Abs 2 Z 2 ASVG zu beurteilen ist. Nach diesen Kriterien ist aber der Sohn der Klägerin nicht erwerbsunfähig, da er nach medizinischen Gesichtspunkten fähig ist, einem Erwerb nachzugehen, wenngleich es ihm schwerfallen mag, einen seiner Ausbildung entsprechenden Dienstposten zu finden. Daß er nicht seit der Vollendung seines 18. Lebensjahres erwerbsunfähig ist, belegt wohl auch die Tatsache des erfolgreichen Abschlusses der Handelsakademie und eines Universitätsstudiums mit dem Magistergrad. Die Vorinstanzen sind ohne Rechtsirrtum zu dem Ergebnis gelangt, daß Erwerbsunfähigkeit im beschriebenen Sinne nicht vorliegt. Der Anspruch der Klägerin auf Kinderzuschuß besteht daher nach § 262 Abs 1 ASVG nicht zu Recht. Sollte dem Antrag der Klägerin auf Weitergewährung der bis 31.3.1993 befristet zuerkannten Berufsunfähigkeitspension nicht stattgegeben werden, dann bestünde der Anspruch auf Kinderzuschuß ab 1.4.1993 auch aus dem Grund nicht zu Recht.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da Rechtsfragen iS des § 46 Abs 1 Z 1 ASGG zu beantworten waren, entspricht es der Billigkeit, der unterlegenen Klägerin die Hälfte ihrer Revisionskosten zuzusprechen (SSV-NF 6/61 ua).
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