European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00076.15X.0730.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Begründung:
Die Klägerin begehrte mit Antrag vom 17. 6. 2014 bei der beklagten Partei die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld für ihren am 30. 1. 2014 geborenen Sohn M***** für den Zeitraum von 30. 1. 2014 bis 29. 1. 2015 in der Bezugsvariante nach § 5c KBGG („Pauschalvariante 12+2“).
Tatsächlich beabsichtigte die Klägerin aber nicht, das Kinderbetreuungsgeld in der Leistungsart nach § 5c KBGG zu beantragen, sondern sie wollte das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens iSd § 24a Abs 1 KBGG („einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld“ ‑ § 24c KBGG) beantragen. Die Klägerin kreuzte jedoch im Antragsformular irrtümlich die Variante „pauschales Kinderbetreuungsgeld, (Variante 12+2)“ anstelle der Variante „einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld, (Variante 12+2)“ an.
Als die Klägerin das Schreiben der beklagten Partei vom 3. 7. 2014 erhielt, in welchem ihr ua die Bezugshöhe mitgeteilt wurde, fiel ihr auf, dass ihr das pauschale Kinderbetreuungsgeld zuerkannt worden war. Auf Anfrage beim Servicecenter der beklagten Partei gelangte sie in Kenntnis davon, dass sie aus Versehen die falsche Leistungsvariante angekreuzt hatte. Mit Schreiben vom 14. 7. 2014 teilte die beklagte Partei mit, dass die Möglichkeit, die Variante des Kinderbetreuungsgeldes zu wechseln, nur 14 Tage ab Antragstellung bestehe.
Am 15. 7. 2014 beantragte die Klägerin (dennoch) die Zuerkennung von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld in der Leistungsart gemäß den §§ 24 ff KBGG vom 28. 3. 2014 bis 29. 1. 2015.
Die beklagte Partei wies diesen Antrag mit Bescheid vom 9. 9. 2014 ab.
Das Erstgericht wies das gegen den Bescheid erhobene Klagebegehren auf Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld in der Variante des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässig:
1. Mit der Novelle BGBl I 2013/117 wurde für Antragstellungen auf Kinderbetreuungsgeld ab 1. 1. 2014 eine einmalige Korrekturmöglichkeit bei der Wahl der Kinderbetreungsgeld‑Varianten geschaffen. Die Wahl der Leistungsart ist weiterhin bei der erstmaligen Antragstellung zu treffen. Eine spätere Änderung dieser getroffenen Entscheidung ist nicht möglich, es sei denn, der antragstellende Elternteil gibt dem zuständigen Krankenversicherungsträger die einmal mögliche Änderung binnen 14 Kalendertagen ab der erstmaligen Antragstellung bekannt (§ 26a KBGG idF BGBl I 2013/117). Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die Klägerin sei entsprechend der Bestimmung des § 26a KBGG idF BGBl I 2013/117 an die bereits im erstmaligen Antrag vom 17. 6. 2014 getroffene Wahl der Leistungsart des Kinderbetreuungsgeldes im Sinne der „Pauschalvariante '12+2' (§ 5c KBGG) gebunden, weil sie die Änderung nicht binnen 14 Kalendertagen ab der erstmaligen Antragstellung bekanntgegeben habe und nach Mitteilung über den Leistungsanspruch auch keine Möglichkeit der Antragsänderung mehr gegeben sei, steht im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats (RIS‑Justiz RS0128677 [T2]; 10 ObS 79/14m; 10 ObS 13/13d, SSV‑NF 27/13).
2. Für Verfahren vor dem Versicherungsträger in Leistungssachen (§ 354 ASVG) gilt unter anderem die im 3. Abschnitt des AVG („Verkehr zwischen Behörden und den Beteiligten“) enthaltene Bestimmung des § 13 AVG über „Anbringen“. Bei einem eindeutigen Inhalt eines Anbringens ist eine davon abweichende, nach außen auch andeutungsweise nicht zum Ausdruck kommende Absicht des Einschreiters nicht maßgeblich (VwGH 92/13/0127). Parteierklärungen im Verfahren sind ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen (VwGH 93/10/0192). Ein Irrtum ist somit nicht geeignet, die Rechtswirksamkeit einer Prozesshandlung auszuschließen (VwGH 88/02/0002; zust Lukas in Rummel , ABGB 4 § 914 Rz 5). Es wurde bereits ausgesprochen, dass es dem Regelungszweck der Bestimmung des § 26a KBGG zuwiderlaufen und dieser (Spezial‑)Bestimmung im Ergebnis weitgehend ihren Anwendungsbereich entziehen würde, wenn für eine Änderung der Bezugsvarianten jeweils schon die bloße Behauptung ausreichte, man habe sich im Zuge der Antragstellung geirrt und in Wahrheit eine andere Leistungsart beantragen wollen (10 ObS 79/14m; 10 ObS 149/14f).
3.1 Die Rechtsprechung des Verwaltungs-gerichtshofs, nach der bei der Auslegung von Anbringen iSd § 13 AVG der Partei bei der Annahme eines Verzichts auf eine in den Verfahrensvorschriften oder im materiellen Recht begründete Rechtsposition besondere Vorsicht geboten ist und keine Verbindlichkeit entsteht, wenn die Partei dabei in einem wesentlichen Irrtum befangen und diese durch den anderen Teil veranlasst war (VwGH 93/10/0192; VwGH 95/03/0310; VwGH 1268/74 = VwSlg 8860 A/1975), ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die Klägerin hat von der ihr vom Gesetzgeber zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf eingeräumten Wahlmöglichkeit auf eine der Leistungsvarianten des Kinderbetreuungsgeldes Gebrauch gemacht und sich mit ihrer Antragstellung für eine der Leistungsvarianten entschieden (§ 26a KBGG). Verzichtserklärungen für den Bereich des Kinderbetreuungsgeldes sind hingegen in den §§ 2 Abs 5, 5 Abs 6 KBGG geregelt. Sie bewirken das vorübergehende bzw vorzeitige Ende des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld und setzen voraus, dass das Kinderbetreuungsgeld bereits beantragt wurde bzw der Anspruch bereits zu laufen begonnen hat ( Ehmer ua, Kinderbetreuungsgeldgesetz 2 94f, 108). Eine derartige Verzichtserklärung hat die Klägerin nicht abgegeben.
4. Der Oberste Gerichtshof hat bereits eine Verfassungswidrigkeit der Bestimmung des § 26a KBGG idF vor der Novelle BGBl I 2013/117 (mit der zur Vermeidung von Härtefällen für Antragstellungen ab 1. 1. 2014 die einmal mögliche Änderung innerhalb von 14 Kalendertagen ab der erstmaligen Antragstellung geschaffen wurde), verneint und ausgeführt, es bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass die bei erstmaliger Antragstellung getroffene Entscheidung über die Kinderbetreuungsgeld‑Variante den Antragsteller grundsätzlich bindet (10 ObS 38/10a, SSV‑NF 24/38; RIS‑Justiz RS0129681). Die in der Revision gebrauchten Argumente, die mit der Novelle BGBl I 2013/117 geschaffene Ausnahmeregelung sei unpraktikabel bzw verfehle in vielen Fällen ihr Ziel, ist nach Ansicht des erkennenden Senats als eine rechtspolitische Forderung nach einer Erweiterung der Änderungsmöglichkeiten bezüglich der Wahl der Leistungsart iSd § 26a KBGG zu werten, die nur vom Gesetzgeber erfüllt werden kann. Die Revisionsausführungen bieten jedoch keinen Anlass für ein Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung.
Der von der Klägerin ausdrücklich auch für den Fall ihres Unterliegens im Revisionsverfahren begehrte Zuspruch der Verfahrenskosten kommt nicht in Betracht, weil ein ausnahmsweiser Kostenzuspruch nach Billigkeit (§ 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG) zur Voraussetzung hat, dass sowohl tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens vorliegen als auch die Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Versicherten einen Kostenzuspruch nahelegen (10 ObS 30/11a mwN). Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens sind im Hinblick auf die bereits vorliegende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht mehr gegeben.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)