OGH 10ObS71/07z

OGH10ObS71/07z26.6.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Rudolf Grammer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franziska S*****, geboren am 16. Juli 1989, Bürokauffraulehrling, *****, vertreten durch Mag. Alexander Kodolitsch, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter-Straße 65, 1200 Wien, wegen Versehrtenrente, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. April 2007, GZ 8 Rs 37/07h-15, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin erlitt am 31. 3. 2006 um 5.45 Uhr auf der Fahrt von dem in T***** gelegenen Elternhaus ihres Freundes Marc K*****, bei dem sie genächtigt hatte, zu ihrer Arbeitsstätte in A***** als Beifahrerin des Marc K***** auf der Bundesstraße ***** im Gemeindegebiet von N***** einen Verkehrsunfall, bei dem sie sich schwere Verletzungen zuzog.

Die Klägerin war seit etwa Mitte Februar 2006 mit Marc K***** befreundet. Bis zum 31. 3. 2006 haben die beiden die Wochenenden gemeinsam verbracht, dies ein- bis zweimal pro Monat im Elternhaus der Klägerin und zwei- bis dreimal pro Monat im Elternhaus von Marc K***** in dessen „Kinderzimmer". Während der übrigen Woche haben sie zwei- bis dreimal pro Woche jeweils allein in ihren Elternhäusern genächtigt; dabei wurde die Klägerin meistens von ihrem Vater, der beim selben Arbeitgeber wie die Klägerin beschäftigt ist, zur Arbeit gebracht. Zwei- bis dreimal pro Woche haben die Klägerin und ihr Freund gemeinsam übernachtet, und zwar in der Zeit von Mitte Februar bis zum Unfallzeitpunkt etwa viermal im Elternhaus der Klägerin, ansonsten im Elternhaus von Marc K*****. Neben einigen persönlichen Hygieneartikeln hatte die Klägerin bei Übernachtungen im Elternhaus von Marc K***** lediglich diejenige Kleidung bei sich, die sie für den nächsten Tag benötigte. Alle ihre übrigen persönlichen Sachen (Kleidung, Dokumente etc) befanden sich in ihrem Elternhaus. Dort wurde auch ihre Wäsche gewaschen.

Im Unfallzeitpunkt erwartete die Klägerin von Marc K***** ein Kind, das sie bei dem Unfall am 31. 3. 2006 verlor. Sie verfügte nicht über einen Führerschein, auch nicht für das Lenken eines Mopeds. Der Weg vom Wohnort der Familie K***** zur Arbeitsstätte der Klägerin einerseits und der Weg von ihrem Elternhaus zu ihrer Arbeitsstätte andererseits decken sich nicht.

Das Erstgericht wies das (unter anderem) auf Zuspruch einer Versehrtenrente gerichtete Klagebegehren ab, das Berufungsgericht bestätigte und ließ die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

Ihrer außerordentlichen Revision legt die Klägerin im Wesentlichen zugrunde, dass gerade bei jungen Menschen zwei verschiedene Orte als „ständiger Aufenthaltsort" iSd § 175 Abs 2 Z 1 ASVG in Frage kommen können. Während ihrer Liaison mit Marc K***** habe sie überwiegend bei diesem in dessen Kinderzimmer genächtigt, was eine sofortige Mitnahme der überwiegenden persönlichen Dinge ausgeschlossen habe. „Mit dem Sozialversicherungsgedanken" sei es nicht in Einklang zu bringen, dass nur etwa die Hälfte ihrer Wege zur Arbeitsstätte versichert wäre.

Dazu wurde erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG ist durch die gesetzliche Unfallversicherung nur der Weg zwischen dem „ständigen Aufenthaltsort" und der Arbeitsstätte geschützt. Der Oberste Gerichtshof hat sich zuletzt in den Entscheidungen 10 ObS 17/07h und 10 ObS 47/07w mit dem Vorliegen eines „ständigen Aufenthaltsorts" befasst.

Nach Rechtsprechung und Lehre ist der ständige Aufenthalt im Sinne

der genannten Gesetzesstelle der Ort, den der Versicherte tatsächlich

zum Mittelpunkt seiner privaten Lebensinteressen macht und an dem er

sich tatsächlich häufig und regelmäßig aufhält (10 ObS 60/93 = SZ

66/44 = SSV-NF 7/36 mwN). Wo eine versicherte Person gemeldet ist,

ist für den Versicherungsschutz gemäß § 175 Abs 2 Z 1 ASVG ohne Bedeutung.

Ob eine Wohnung als Mittelpunkt der privaten Lebensinteressen der betreffenden Person bezeichnet werden kann, hängt von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalles ab. In der Entscheidung 10 ObS 209/95 (SZ 68/216 = SSV-NF 9/98) wurde es beispielsweise nicht als ausreichend angesehen, dass an diesem Ort der Ehepartner und/oder ein oder mehrere Kinder des Versicherten leben. Bei Heranziehung der bisherigen Judikatur (siehe RIS-Justiz RS0084872; ebenso Tomandl, Grundriss des österreichischen Sozialrechts5 Rz 204 mwN, und Grillberger, Österreichisches Sozialrecht6 58) ist festzustellen, dass sich die Beurteilung des Berufungsgerichtes, der tatsächliche Mittelpunkt der privaten Lebensinteressen der Klägerin sei am Wohnort ihrer Eltern und nicht in der Wohnung ihres Freundes gelegen, im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in vergleichbaren Fällen bewegt.

Daran vermag auch der zuletzt in der Entscheidung 10 ObS 47/07w vertretene Standpunkt nichts zu ändern, dass ausnahmsweise zwei Wohnungen gleichermaßen den Lebensmittelpunkt darstellen können. In diesem Fall hat die Versicherte nach ihrer konkreten Lebensgestaltung die verschiedenen Wohnfunktionen ungefähr zu gleichen Teilen in ihrer eigenen Wohnung und im Haus ihres Lebensgefährten in Anspruch genommen und auch ihre Freizeit in dieser Art verbracht. Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall insofern, als die Klägerin im Zeitraum zwischen Mitte Februar und Ende März 2006 schon unter rein quantitativen Gesichtspunkten überwiegend im Haus ihrer Eltern genächtigt hat und in der Wohnung des Freundes nur in einem beschränkten Ausmaß Wohnfunktionen wahrgenommen hat. Mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b) ASGG.

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