OGH 10ObS67/20f

OGH10ObS67/20f28.7.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits -und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Angela Taschek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Karin Prutsch, Mag. Michael F. Damitner und Mag. Vančo Apostolovski, LL.M., Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, wegen Kostenübernahme, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits - und Sozialrechtssachen vom 23. April 2020, GZ 7 Rs 3/20 w-10, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00067.20F.0728.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Dem Kläger wurde am 29. 12. 2017 der rechte Oberschenkel amputiert.

[2] Er wurde von der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse im Mai 2018 mit einer elektronischen Oberschenkelprothese für „mittlere Aktivität“ versorgt, deren Kosten 41.442,38 EUR betrugen.

[3] Am 1. 2. verordnete ein Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie dem Kläger eine Oberschenkelprothese rechts für den Nassraum mit mechanischem Kniegelenk. Für diese wurde am 7. 2. 2019 ein Kostenvoranschlag über 13.564,08 EUR erstellt.

[4] Mit dem Bescheid vom 19. 6. 2019 lehnte die Steiermärkische Gebietskrankenkasse den Antrag des Klägers, ihm eine Nassbereichsprothese für das rechte Bein entsprechend dem Kostenvoranschlag vom 7. 2. 2019 zu gewähren, ab. Der Kläger sei mit der ihm zur Verfügung gestellten elektronischen Prothese ausreichend versorgt, eine weitere Prothese nur für den Nassbereich übersteige das Maß des Notwendigen.

[5] Der Kläger begehrt von der Beklagten, ihm als Rehabilitationshilfsmittel die Oberschenkelprothese für den Nassraum mit mechanischem Kniegelenk zu gewähren und die damit einhergehenden Kosten hierfür zu tragen. Eine fehlende wasserfeste Prothese (Badeprothese) beeinträchtige wesentlich die Fähigkeit des Klägers, für die lebenswichtigen Bedürfnisse zu sorgen. Sie sei zur Erreichung eines normalen und uneingeschränkten Lebenszustands unentbehrlich und unvermeidbar.

[6] Die Beklagte wandte dagegen die bereits gewährte ausreichende prothetische Versorgung des Klägers ein.

[7] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Medizinische Maßnahmen der Rehabilitation würden gemäß § 154a Abs 1 ASVG gewährt. Dabei seien die Grundsätze des § 133 Abs 2 ASVG zu beachten, wonach die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig sein muss, jedoch das Maß des Notwendigen nicht übersteigen dürfe. Die Versorgung des Klägers mit einer zweiten Prothese nur für Nassräume überschreite das Maß des Notwendigen. Medizinische Einschränkungen, die den Kläger an der Verwendung von Krücken oder einfachen Hilfsmitteln (Dusch-oder Badesessel) hinderten, lägen nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

[8] In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

[9] Die Krankenversicherungsträger gewähren nach § 154a Abs 1 ASVG, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder die Folgen der Krankheit zu erleichtern, im Anschluss an die Krankenbehandlung nach pflichtgemäßem Ermessen und nach Maßgabe des § 133 Abs 2 ASVG medizinische Maßnahmen der Rehabilitation, und zwar mit dem Ziel, den Gesundheitszustand der Versicherten und ihrer Angehörigen so weit wiederherzustellen, dass sie in der Lage sind, in der Gemeinschaft einen ihnen angemessenen Platz möglichst dauernd und ohne Betreuung und Hilfe einzunehmen.

[10] Der Kläger hat nach Erörterung ausdrücklich geltend gemacht, dass bei ihm ein Gebrechen vorliege und die Beklagte ihm im Zusammenhang damit das Hilfsmittel einer wasserfesten Prothese (Badeprothese) zur Verfügung stellen müsse (ON 6). Der Kläger begehrt nicht die Zahlung eines Zuschusses für die Anschaffung der von ihm gewünschten Badeprothese nach Maßgabe der Satzung als Hilfsmittel gemäß § 154 ASVG, sondern die Übernahme der Kosten für ein Körperersatzstück als medizinische Maßnahme der Rehabilitation in der Krankenversicherung gemäß § 154a Abs 2 Z 2 ASVG durch die Beklagte. Die Beklagte hat den dafür notwendigen zeitlichen Konnex zwischen der Krankenbehandlung und der beantragten medizinischen Maßnahme der Rehabilitation (vgl RIS-Justiz RS0128669) nicht bestritten, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.

[11] Die Beurteilung, ob im konkreten Fall die Gewährung eines Hilfsmittels wie der vom Kläger begehrten wasserfesten Prothese (Badeprothese) das Maß des Notwendigen im Sinn des § 133 Abs 2 ASVG überschreitet, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls erfolgen und begründet daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO. Entscheidende Bedeutung für die Abwägung zwischen den Interessen des Versicherten an der „besten“ Behandlung und der Versichertengemeinschaft an einer kostenoptimalen Versorgung kommt dabei dem Maß der „Betroffenheit“ des Versicherten im konkreten Fall zu (RS0083816 [T8]).

[12] Der Kläger hält auch in seiner außerordentlichen Revision daran fest, dass er gerade bei der täglichen Körperpflege auf eine Badeprothese angewiesen sei. Dies weicht jedoch von den Verfahrensergebnissen ab, wonach es dem Kläger möglich ist, einfache Hilfsmittel wie einen Badewannenstuhl oder einen Duschstuhl in Anspruch zu nehmen. Zwischen den Parteien ist nicht strittig, dass die Beklagte dem Kläger ein solches Hilfsmittel zur Verfügung stellen würde.

[13] Andere „lebenswichtige Bedürfnisse“, die der Kläger ohne Zurverfügungstellung einer Badeprothese nicht verwirklichen könnte, macht er nicht geltend, wenn erausführt, dass mit den von der Beklagten angebotenen einfachen Hilfsmitteln zum Duschen nicht der „normale und uneingeschränkte Lebenszustand“ erreicht werde. Dem Argument des Berufungsgerichts, dass keine weiteren medizinischen Einschränkungen vorliegen, die den Kläger an der Verwendung der genannten einfachen Hilfsmittel hindern würden, tritt er nicht entgegen. Dafür dass sich der Zustand des Klägers ohne die Zurverfügungstellung einer Badeprothese verschlimmern würde, gibt es keine Verfahrensergebnisse.

[14] Es ist auch nicht festgestellt, dass der psychische Zustand des Klägers aufgrund unverhältnismäßigen Aufwands bei der täglichen Körperpflege „evidentermaßen“ leiden würde, sodass die Revision, die dies abweichend vom festgestellten Sachverhalt behauptet, insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt ist (RS0043312).

[15] Die vom Kläger für seinen Standpunkt zitierte Rechtsprechung des deutschen Bundessozialgerichts zu § 33 SGB V in der ab 1. 4. 2007 geltenden Fassung BGBl I 2007,378 (BSG 25. 6. 2009, B 3 KR 2/08 R, sowie die weiteren Entscheidungen vom selben Tag, B 3 KR 10/08 R und B 3 KR 19/08 R) kann auf den vorliegenden Sachverhalt mangels vergleichbaren Tatbestands nicht angewendet werden:

[16] Nach § 154a Abs 1 ASVG gewähren die Krankenversicherungsträger medizinische Maßnahmen der Rehabilitation, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder die Folgen der Krankheit zu erleichtern. Darüber hinaus können medizinische Maßnahmen der Rehabilitation (subsidiär) gemäß § 302 ASVG (nur) in der Pensionsversicherung erbracht werden, was hier jedoch nicht Verfahrensgegenstand ist.

[17] § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V konkretisiert den Rechtsanspruch des Versicherten auf Versorgung mit Hilfsmitteln in der Krankenversicherung und lautet: „Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4. ausgeschlossen sind.“ Zu den Hilfsmitteln gemäß § 33 SGB V gehören auch Beinprothesen als Körperersatzstücke (BSG B 3 R 19/08 R, Rz 20).

[18] Auch diese Bestimmung verfolgt daher zwar das Ziel, den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern. Darüber hinaus hat sie jedoch auch den (mittelbaren und unmittelbaren) Ausgleich von Behinderungen zum Ziel (Nolte in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht [108. EL; Stand: März 2020] SGB V § 33 Rn 6 mwH). In den vom Revisionswerber zitierten Entscheidungen hat das Bundessozialgericht ausgesprochen, dass eine Badeprothese zum unmittelbaren Behinderungsausgleich (§ 33 Abs 1 Satz 1 SGB V 3. Variante) erforderlich ist, daher einem Tatbestand, den § 154a Abs 1 ASVG nicht kennt.

[19] Im Bereich des Behinderungsausgleichs ist der Leistungsanspruch des Versicherten nach § 33 SGB V grundsätzlich auf den vollständigen funktionalen Ausgleich der Behinderung gerichtet; es steht also der Ausgleich der ausgefallenen natürlichen Funktionen im Vordergrund. Davon ist schon auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Es gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits unter Berücksichtigung des aktuellen Standes des medizinischen und technischen Fortschritts (Nolte in Kasseler Kommentar, SGB V § 33 Rn 11 mwH). Die vom Kläger zitierten Entscheidungen des Bundessozialgerichts sind daher mangels vergleichbaren Tatbestands zum hier allein zu prüfenden § 154a ASVG nicht geeignet, seinen Rechtsstandpunkt zu stützen.

[20] Das Berufungsgericht hat den vom Kläger behaupteten Mangel des Verfahrens erster Instanz, wonach ein Sachverständiger aus dem Fachgebiet der Orthopädie beizuziehen gewesen wäre, verneint. Es hat entgegen den Ausführungen des Revisionswerbers die Mängelrüge in diesem Umfang als gesetzmäßig ausgeführt behandelt. Dieser vom Berufungsgericht verneinte Verfahrensmangel kann nach ständiger Rechtsprechung nicht neuerlich in der Revision geltend gemacht werden (RS0042963).

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