Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 2. 8. 1955 geborene Klägerin erlitt am 28. 6. 1979 als Hausarbeiterin in einer Allgemeinen öffentlichen Krankenanstalt einen Arbeitsunfall. Sie stürzte im Operationssaal, wobei sie sich keine über eine Prellung der Lendenwirbelsäule und eine fragliche Prellung des Lumbalmarks hinausgehenden Verletzungen zuzog.
Bei der Klägerin liegt eine MRT-gesicherte Multiple Sklerose (Enzephalomyelitis disseminata) vor, die 1999 diagnostiziert wurde; seitdem steht die Klägerin in neurologischer Behandlung. Die zur Zeit des Arbeitsunfalls festgestellten diskreten neurologischen Symptome waren bereits Folge der Multiplen Sklerose. Der Arbeitsunfall vom 28. 6. 1979 ist nicht kausal für die 20 Jahre später erstmals diagnostizierte Multiple Sklerose. Demzufolge ist es auch zu keiner Verschlimmerung von Unfallfolgen gekommen. Auch die bei der Klägerin nunmehr vorliegende neurogene Harnblasenentleerungsstörung sowie das damit verbundene zystische Syndrom sind nicht unfallkausal. Mit Bescheid vom 15. 7. 1981 hat die beklagte Partei der Klägerin zur Abgeltung der Folgen des Arbeitsunfalls vom 28. 6. 1979 eine Versehrtenrente von 30 vH der Vollrente als Dauerrente gewährt. Für deren Gewährungen waren die bei den fachärztlichen Begutachtungen vom 28. 2. 1981 und 7. 5. 1981 erhobenen Befunde maßgeblich. Auf Antrag der Klägerin hat die beklagte Partei diese Rente mit Bescheid vom 5. 5. 1983 zur Gänze abgefunden.
Mit Bescheid vom 18. 8. 1998 wurde der auf Neufeststellung der Rente wegen erheblicher Verschlechterung der Unfallfolgen gerichtete Antrag der Klägerin vom 15. 5. 1998 abgewiesen.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Da die Beschwerden der Klägerin nicht auf das Unfallgeschehen im Jahr 1979 zurückzuführen seien, seien die Voraussetzungen für die Gewährung einer Versehrtenrente trotz Abfindung der Rente gemäß § 184 Abs 3 ASVG nicht erfüllt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es verneinte eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens, sah die Tatsachenrüge nicht als gesetzmäßig ausgeführt bzw als nicht berechtigt an und bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts. Der Klägerin sei der ihr obliegende Nachweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und dem nunmehrigen Leiden nicht gelungen; eine Beweislastumkehr sei nicht vorgesehen.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Klägerin hat seinerzeit in der Berufung - ausgehend von dem ihres Erachtens zu ihren Gunsten anzuwendenden Anscheinsbeweises - die Feststellung begehrt, dass für die MS-Erkrankung der Arbeitsunfall vom 28. 6. 1979 als Ursache anzusehen sei und dass sämtliche bei ihr deswegen eingetretenen Minderungen der Erwerbsfähigkeit letztlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen seien. Das Berufungsgericht hat diese Ansicht nicht geteilt und darauf hingewiesen, dass es an der Klägerin gelegen wäre, den Nachweis dafür zu erbringen, dass die Multiple Sklerose durch den Arbeitsunfall ausgelöst worden sei. Nach ständiger Rechtsprechung sind besonders in Verfahren über einen sozialversicherungsrechtlichen Anspruch aus Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten die Regeln des sogenannten Anscheinsbeweises modifiziert anzuwenden (SSV-NF 11/41 ua, zuletzt 10 ObS 398/01d; RIS-Justiz RS0110571). Die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises beruht darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (RIS-Justiz RS0040266 uva). Steht ein typischer Geschehensablauf fest, der nach der Lebenserfahrung auf einen bestimmten Kausalzusammenhang hinweist, gelten diese Tatbestandsvoraussetzungen auch im Einzelfall aufgrund ersten Anscheins als erwiesen. Die Entkräftung des Anscheinsbeweises geschieht durch den Beweis, dass der typische formelhafte Geschehensablauf im konkreten Fall nicht zwingend ist, sondern dass die ernste Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes besteht. In Sozialrechtssachen ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes der Anscheinsbeweis nur dann entkräftet, wenn dem atypischen Geschehensablauf zumindest die gleiche Wahrscheinlichkeit zukommt (SSV-NF 5/140 ua). Einen Grundsatz, dass im Zweifel zu Gunsten des Versicherten zu entscheiden ist, gibt es nicht. Der Anscheinsbeweis ist somit nur dann zulässig, wenn eine typische formelhafte Verknüpfung zwischen der tatsächlichen bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement besteht. Er darf daher nicht dazu dienen, Lücken der Beweisfüllung durch bloße Vermutungen auszufüllen (RIS-Justiz RS0040287 ua). Ob in einem bestimmten Fall ein Anscheinsbeweis zulässig ist, ob es sich also um einen Tatbestand mit typischem Geschehensablauf handelt, der eine Verschiebung von Beweisthema und Beweislast ermöglicht, ist eine Frage der Beweislast und damit eine Frage der rechtlichen Beurteilung, die im Revisionsverfahren überprüfbar ist (RIS-Justiz RS0022624 ua). Ob der Anscheinsbeweis erbracht oder erschüttert worden ist, ist hingegen eine vom Obersten Gerichtshof nicht mehr überprüfbare Beweiswürdigungsfrage (SSV-NF 4/150 mwN ua). Von diesen Grundsätzen sind die Vorinstanzen in ihren Entscheidungen nicht abgewichen, da im vorliegenden Fall kein Tatbestand mit typischem formelhaftem Geschehensablauf angenommen werden kann. Vielmehr zielt das Rechtsmittelvorbringen der klagenden Partei darauf ab, dass anstelle des unter den beschriebenen Voraussetzungen zulässigen Anscheinsbeweises eine auf Wahrscheinlichkeiten beruhende spezielle Art einer Beweislastumkehr angewendet wird, was vom Berufungsgericht zutreffenderweise abgelehnt wurde. Abgesehen von der hier nicht in Betracht kommenden Sonderbestimmung des § 87 Abs 4 ASGG ist auch in Sozialrechtssachen von der Geltung der allgemeinen Grundsätze für die Beweislastverteilung auszugehen (SZ 60/231 = SSV-NF 1/48 uva). Ungeachtet des Fehlens einer subjektiven Beweispflicht kann ein Anspruch nach den Regeln der objektiven Beweislast nur bejaht werden, wenn die anspruchsbegründenden Tatsachen erwiesen sind (10 ObS 21/01p). Die aufgrund der aufgenommenen Beweise (Beiziehung von Sachverständigen, Einvernahme einer "sachverständigen Zeugin") vorgenommene Feststellung bzw Nichtfeststellung von Tatsachen zur Frage der Kausalität zwischen Arbeitsunfall und Multipler Sklerose resultiert aus der freien Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden kann (RIS-Justiz RS0043061 [T11]). Die darauf Bezug nehmenden Ausführungen in der Revision stellen den unzulässigen Versuch einer Bekämpfung der Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen dar (10 ObS 409/98i; 10 ObS 3/99k). Insbesondere kann vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden, welcher Beweiswert den einzelnen Beweisergebnissen beigemessen wird. Unrichtig ist, dass sich das Berufungsgericht nicht (oder zumindest nicht mit ausreichender Begründung) mit der in der Berufung enthaltenen Tatsachenrüge auseinandergesetzt hätte. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
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