OGH 10ObS51/24h

OGH10ObS51/24h4.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Arno Sauberer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Anton Starecek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Dr. Meinrad Einsle, Dr. Rupert Manhart, Dr. Susanne Manhart, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, 1080 Wien, Josefstädter Straße 80, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. April 2024, GZ 25 Rs 4/24 k‑43, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00051.24H.0604.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau „anerkannte“ den Unfall der Klägerin vom 7. November 2017 als Dienstunfall und gewährte der Klägerin zunächst eine vorläufige Versehrtenrente ab 8. Februar 2018 (bis 31. Oktober 2019) und ab 1. November 2019 eine Dauerrente im Ausmaß von 25 % der Vollrente.

[2] Aufgrund der Unfallfolgen besteht bei der Klägerin ab 1. November 2019 eine kausale Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von 25 % auf Dauer. Eine psychiatrische oder neurologische Diagnose als direkte Folge des Unfalls steht nicht fest. Anpassungsstörungen mit bis zu posttraumatischen Belastungsstörungen sind keine typischen Unfallfolgen. Die Häufigkeit als Folge von Unfällen liegt zwischen 5 % und 40 %. Der typische Verlauf einer Anpassungsstörung oder eines depressiven Verlaufs ist der, dass sie sich üblicherweise nach sechs Monaten, spätestens nach zwei Jahren zurückbilden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die bestehenden psychiatrischen Beschwerden auf den Unfall zurückzuführen sind, ist gleich hoch wie das Gegenteil.

[3] Die Vorinstanzen wiesen das auf Zuerkennung einer das Ausmaß von 25 % der Vollrente übersteigende Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß ab dem Tag der Änderung der Verhältnisse gerichtete Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht sah die Mängelrüge als nicht gesetzmäßig ausgeführt an und verneinte den geltend gemachten Stoffsammlungsmangel. Der Anscheinsbeweis sei wegen Fehlens einer typischen formelhaften Verknüpfung zwischen der tatsächlich bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement nicht zulässig und er wäre überdies entkräftet.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[5] 1.1. Angebliche Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, können in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (RS0042963). Ob ein in der Berufung behaupteter Verfahrensmangel vom Berufungsgericht zu Recht verneint wurde, ist vom Revisionsgericht auch in Sozialrechtssachen nicht mehr zu prüfen (RS0043061).

[6] 1.2. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn eine Mängelrüge infolge unrichtiger Anwendung von Verfahrensvorschriften unerledigt blieb, oder wenn das Berufungsgericht einen gerügten Mangel erster Instanz mit einer aktenwidrigen oder rechtlich unhaltbaren Begründung verneint hätte.

[7] 1.3. Einen solchen Fall spricht die Revision mit der Behauptung eines unschlüssigen und widersprüchlichen Gutachtens aber nicht an. Soweit sich die Klägerin dadurch als beschwert erachtet, dass das Berufungsgericht ihre Mängelrüge (auch) als nicht gesetzmäßig ausgeführt erachtete, ist ihr zu entgegnen, dass das Berufungsgericht die Mängelrüge ohnedies auch inhaltlich behandelte.

[8] 2.1. In Verfahren über einen sozialversicherungsrechtlichen Anspruch aus Dienstunfällen oder Berufskrankheiten sind die Regeln des Anscheinsbeweises (modifiziert) anzuwenden, wenn feststeht, dass die Schädigung eine typische Folge eines als Unfall zu wertenden Ereignisses ist, das im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung stand (RS0110571). Nach der Rechtsprechung wird der Anscheinsbeweis in Sozialrechtssachen aber durch den Beweis entkräftet, dass dem atypischen Geschehensablauf zumindest die gleiche Wahrscheinlichkeit zukommt (RS0040266 [T9, T11]).

[9] 2.2. Soweit die Klägerin meint, die psychischen Beeinträchtigungen seien typische Folgen des Unfalls, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Selbst wenn man im Übrigen davon ausginge, der Beweis des ersten Anscheins spreche hier für die Kausalität des Unfalls für ihre psychischen Beschwerden, wäre dieser Anscheinsbeweis nach der Beurteilung der Vorinstanzen entkräftet worden. Dabei handelt es sich eine vom Obersten Gerichtshof nicht mehr überprüfbare Beweiswürdigungsfrage (RS0022624 [T1, T3]; RS0040196).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte