OGH 10ObS46/16m

OGH10ObS46/16m10.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johanna Biereder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei P*****, vertreten durch Mag. Christoph Arnold und Mag. Fiona Arnold, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Ausgleichszulage, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 12. Februar 2016, GZ 25 Rs 99/15t‑9, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 4. März 2016, GZ 25 Rs 99/15t‑12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 30. September 2015, GZ 42 Cgs 143/15v‑5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00046.16M.0510.000

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die Klägerin bezog von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt im Jahr 2015 eine Witwenpension in Höhe von 531,80 EUR brutto monatlich. Etwa Mitte des Jahres 2014 zog ihr nunmehriger Lebensgefährte zu ihr in die von ihr seit rund 30 Jahren bewohnte Mietwohnung. Die beklage Partei stellte daraufhin die der Klägerin zu ihrer Pension gewährte Ausgleichszulage ab 1. Juli 2015 mit 122,14 EUR (statt zuvor mit 340,51 EUR) neu fest, indem im Hinblick auf die aus der Lebensgemeinschaft resultierenden Synergieeffekte ein Betrag von 218,37 EUR (das ist die Hälfte der Differenz zwischen dem doppelten Einzelrichtsatz [872,31 EUR x 2 = 1.744,62 EUR] und dem Familienrichtsatz von 1.307,89 EUR) auf die Ausgleichszulage angerechnet wurde.

Die Vorinstanzen folgten dem Standpunkt der Klägerin, dass die Ausgleichszulage nicht neu festzustellen sei, und sprachen ab 1. Juli 2015 eine Ausgleichszulage in Höhe von 340,51 EUR monatlich zu.

Nach den Feststellungen belaufen sich die ‑ nach wie vor von der Klägerin getragenen ‑ monatlichen Miet- und Betriebskosten auf 400 EUR und die monatlichen Stromkosten auf 92 EUR. Jährlich fallen Kosten von rund 200 EUR für die Beschaffung von Holz zur Beheizung der Wohnung an, weil die Wohnung über keine Zentralheizung verfügt. Von ihrem Lebensgefährten erhält die Klägerin monatlich 100 EUR als Pauschalbeitrag zu den Miet-, Betriebs-, Strom- und sonstigen Lebenshaltungskosten, vor allem zur Abdeckung der durch seine Anwesenheit in der Wohnung anfallenden Mehrkosten. Der Kostenbeitrag ist deshalb nicht höher, weil sich der Lebensgefährte in einem laufenden Privatinsolvenzverfahren befindet. Die Kosten für den gemeinsamen Bedarf an Lebensmitteln teilen sich die Klägerin und ihr Lebensgefährte insofern auf, als sie beide abwechselnd die Einkäufe bezahlen; ein bestimmtes Verhältnis für die Aufteilung dieser Kosten gibt es nicht. Die Klägerin bekommt von ihrem Lebensgefährten kein Haushaltsgeld.

Das Berufungsgericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass zu prüfen sei, ob die Ausgleichszulagenbezieherin trotz der Lebensgemeinschaft für Wohnung und Ernährung Gelder aufwenden müsse, die in etwa dem in § 292 Abs 3 Satz 2 ASVG genannten Wert (Bewertung von Sachbezügen nach der Sachbezugswerteverordnung) entsprächen. Die Klägerin, die von ihrem Lebensgefährten zur Deckung der durch seine Anwesenheit in der Wohnung anfallenden Mehrkosten 100 EUR monatlich erhalte, müsse jedenfalls die Kosten für Wohnung, Beleuchtung, Heizung und Ernährung aufwenden, die den anzunehmenden Wert der vollen freien Station deutlich überstiegen, sodass die Anrechnung einer „Sachbezugswertebeitragsleistung“ des Lebensgefährten an die Klägerin schon begrifflich nicht in Frage komme.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision der beklagten Partei im Hinblick auf die zwischenzeitig (jeweils am 22. Februar 2016) ergangenen Entscheidungen 10 ObS 147/15p (ARD 6492/10/2016) und 10 ObS 9/16w (ARD 6492/11/2016), die sich mit der hier zu lösenden Rechtsfrage auseinandersetzen, nicht zulässig.

1. Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass die Klägerin durch die Lebensgemeinschaft nicht in den Genuss von Sachleistungen (wie einer Wohnmöglichkeit) kommt, sondern vom Lebensgefährten für die Wohnmöglichkeit einen Beitrag in Geld erhält; die Lebensmitteleinkäufe werden (unregelmäßig) abwechselnd finanziert.

2. Soweit für den hier zu beurteilenden Fall von Bedeutung, lassen sich die beiden Entscheidungen 10 ObS 147/15p und 10 ObS 9/16w folgendermaßen zusammenfassen:

2.1. Bei der Feststellung des Anspruchs auf Ausgleichszulage sind grundsätzlich sämtliche Einkünfte des Pensionsbeziehers in Geld oder Geldeswert nach Ausgleich mit Verlusten und vermindert um die gesetzlich geregelten Abzüge zu berücksichtigen (§ 292 Abs 3 ASVG). Es kommt nicht darauf an, aus welchem Titel und von wem die Einkünfte zufließen, ob sie dem Empfänger für oder ohne Gegenleistung zufließen und ob sie allenfalls der Steuerpflicht unterliegen (RIS‑Justiz RS0085296).

2.2. Im Ausgleichszulagenrecht fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage dafür, dem Ausgleichszulagenbezieher unter Anwendung des Familienrichtsatzes das Einkommen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Lebensgefährten nach der Art einer zwischen Ehegatten (eingetragenen Partnern), die im gemeinsamen Haushalt leben, bestehenden engen Wirtschaftsgemeinschaft zuzurechnen. Im Fall einer Lebensgemeinschaft kommt daher nur die Berücksichtigung im Einzelnen festgestellter, bedarfsmindernder Zuwendungen des Lebensgefährten in Betracht.

2.3. Eine pauschalierte Anrechnung von Synergieeffekten sieht der Gesetzgeber bei Lebensgemeinschaften ‑ anders als bei aufrechter Ehe oder eingetragener Partnerschaft in Form des Familienrichtsatzes ‑ nicht vor.

2.4. Für die Beurteilung des Anspruchs der Pensionsbezieherin auf Ausgleichszulage ist daher entscheidend, inwieweit sie im maßgeblichen Zeitraum ihren Unterhaltsbedarf mindernde Zuwendungen von ihrem Lebensgefährten erhalten hat.

3. Ausgehend davon, dass jeder der beiden Lebensgefährten die Kosten für Lebensmitteleinkäufe durch die abwechselnde Finanzierung in etwa selbst trägt, kann der Unterhaltsbedarf der Klägerin allein in Form des monatlichen Beitrags ihres Lebensgefährten gemindert sein.

Durchaus in Einklang mit den den Entscheidungen 10 ObS 147/15p und 10 ObS 9/16w zugrunde liegenden Ausführungen ist das Berufungsgericht zum Ergebnis gelangt, dass die Klägerin in concreto durch den von ihrem Lebensgefährten geleisteten Beitrag keinen ausgleichszulagenrelevanten, aus der Lebensgemeinschaft resultierenden Vorteil hat.

4. Die beklagte Partei weist in ihrer Revision darauf hin, dass die Sachbezugswerte nur für den umgekehrten Fall relevant seien, nämlich dann, wenn der Ausgleichszulagenbezieher durch eine aus der Lebensgemeinschaft resultierende Sachleistung begünstigt werde und sich diese anrechnen lassen müsse. Bereits aus der Entscheidung 10 ObS 196/03a (SSV‑NF 17/102) ergebe sich, dass die in § 292 Abs 3 ASVG vorgesehene Pauschalrechnung der Sachbezüge unabhängig vom tatsächlichen Wert normiert sei. In dem hier zu entscheidenden Fall sei eine zumindest anteilsmäßige Anrechnung der freien Station als zweckentsprechende Lösung anzusehen.

4. 1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 10 ObS 147/15p näher begründet, dass entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts das Unterbleiben derAnrechnung nicht von der Voraussetzung, dass die Höhe der vom Ausgleichszulagenwerber in der Lebensgemeinschaft getragenen Aufwendungen für Lebenshaltungskosten betragsmäßig den Sachbezugswert nach der Sachbezugswerteverordnung erreicht, abhängig zu machen ist. Ein betragsmäßiger Vergleich des Sachbezugswerts nach der SachbezugswerteVO und der vom Ausgleichszulagenwerber konkret getragenen Aufwendungen ist daher für die Anrechnung des Sachbezugs bzw deren Unterbleiben nicht maßgebend. Die Rechtslage stellt sich vielmehr wie folgt dar:

4.2. Wurden die Wohnungskosten bis zur Aufnahme der Lebensgemeinschaft allein von der Ausgleichszulagenbezieherin finanziert, waren die tatsächlich aufgewendeten Beträge für die Bemessung der Ausgleichszulage irrelevant.

4.3. Werden die Kosten der Wohnung ab der Aufnahme der Lebensgemeinschaft zur Gänze vom Lebensgefährten der Ausgleichszulagenbezieherin finanziert, muss sich diese nach der Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0085296 [T3]) ‑ unabhängig von den tatsächlichen Kosten der Wohnung ‑ einen Sachbezugswert nach § 292 Abs 3 Satz 2 ASVG anrechnen lassen.

Ausgehend davon, dass der maßgebliche Wert der „vollen freien Station“ nach der Sachbezugsverordnung (unter Berücksichtigung des Anpassungsfaktors von 1,017 laut der Verordnung BGBl II 2014/267) im Jahr 2015 monatlich 278,72 EUR beträgt und 20 % davon auf Wohnung sowie Beheizung und Beleuchtung entfallen, wären dies im Jahr 2015 55,74 EUR.

4.4. Werden die Wohnungskosten ab Aufnahme der Lebensgemeinschaft je zur Hälfte von den beiden Lebensgefährten getragen, kommt es zu keiner Anrechnung von Sachbezugswerten, weil Synergieeffekte bei Lebensgemeinschaften keine Berücksichtigung finden sollen und in diesem Fall jeder Lebensgefährte „seine“ Kosten selbst trägt.

4.5. Konsequenterweise kommt es auch dann zu keiner Anrechnung eines Sachbezugswerts, wenn zu den von der Ausgleichszulagenbezieherin finanzierten Miet-, Strom- und Holzkosten von rund 510 EUR monatlich vom Lebensgefährten ein relativ geringer monatlicher Beitrag (in concreto 100 EUR) geleistet wird. Dies wird dadurch bestätigt, dass eine Anrechnung auch dann nicht erfolgt, wenn die Leistung von 100 EUR monatlich direkt an den Vermieter erbracht würde.

4.6. Hinweise darauf, dass rechtsmissbräuchlich kein höherer Betrag als 100 EUR monatlich realisiert wird, gibt es nicht.

5. Mangels erheblicher Rechtsfrage ist die Revision der beklagten Partei zurückzuweisen.

Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen; ihr steht der Ersatz der auf einer Bemessungsgrundlage von 3.600 EUR verzeichneten Kosten zu.

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