OGH 10ObS43/17x

OGH10ObS43/17x13.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Schramm und Mag. Ziegelbauer, sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Claudia Gründel und ADir. Sabine Duminger (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Mag. Franz Eckl, Rechtsanwalt in Zwettl, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1030 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kostenübernahme, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 14. Februar 2017, GZ 10 Rs 117/16y‑26, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Krems als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 17. August 2016, GZ 40 Cgs 56/16k‑22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00043.17X.0613.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der 1964 geborene Kläger erlitt am 18. 6. 2006 einen Arbeitsunfall, bei dem er den rechten Unterarm verlor. Nach seinem Unfall wurde der Kläger von der Beklagten mit einer myoelektrischen Unterarmprothese VariPlus Speed mit Silikon‑Liner versorgt. Weiters wurde ihm eine mechanische Arbeitsprothese zur Verfügung gestellt, mit der er schwere Lasten heben kann. Je nach Aufgabenstellung muss der Kläger zwischen diesen beiden Prothesen wechseln, wobei jeweils die ganze Prothese gewechselt werden muss.

Aufgrund der Abnutzung, und weil die bisherige Myoprothese eine unzureichende Passform von Liner und Schaft aufweist, ist eine Neuversorgung mit einer myoelektrischen Prothese nach dem aktuellen Stand der Technik erforderlich.

Die Beklagte ist bereit, den Kläger wiederum mit einer myoelektrischen Unterarmprothese neuester Bauart mit Sensorspeed und Elektrodreheinsatz (in weiterer Folge: SensorHand Speed) zu versorgen und bewilligte dafür mit Schreiben vom 23. 2. 2015 die Übernahme der Kosten in Höhe von 26.572,09 EUR (inkl USt).

Die SensorHand Speed ist im Wesentlichen identisch mit der Prothese, die der Kläger derzeit verwendet. Der bewilligte Dreheinsatz ist nicht umsetzbar, weil der Stumpf des Klägers relativ lang ist und der Elektroeinsatz zu einer deutlichen Überlänge führen würde.

Der Kläger beantragte am 8. 10. 2015 die Übernahme der Kosten der Folgeversorgung mit einer myoelektrischen Unterarmprothese Michelangelo (Axon‑Bus‑System) der „Firma O*****“ (O***** Deutschland GmbH) in Höhe von 69.492,40 EUR (inkl USt). Diese Prothese (in weiterer Folge: Michelangelo‑Hand) erleichtere oder ermögliche ihm überhaupt erst die Ausübung bestimmter Tätigkeiten.

Mit Bescheid vom 29. 10. 2015 lehnte die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Bauern eine Folgeversorgung mit einer Michelangelo‑Hand ab. Die von der Beklagten am 23. 2. 2015 bewilligte Kostenübernahme für eine SensorHand Speed (nach dem insofern nicht strittigen Inhalt der Akten offenbar ebenfalls ein Produkt der O***** Deutschland GmbH) werde den Anforderungen des Klägers in persönlicher und beruflicher Hinsicht im Sinn des § 149c Abs 1 BSVG gerecht. Für körperlich schwere berufliche Tätigkeiten des Klägers als Lagerarbeiter werde eine Arbeitsprothese verwendet. Weder für die derzeitige berufliche Tätigkeit des Klägers noch für persönliche Verrichtungen würden sich durch die Michelangelo‑Hand wesentliche Gebrauchsvorteile gegenüber der SensorHand Speed ergeben. Auch das Lenken eines Kraftfahrzeugs sei bereits mit der bisherigen Prothese möglich.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte schuldig sei, ihm gegenüber die Kosten für eine myoelektrische Unterarmprothese Michelangelo (Axon‑Bus‑System) zu übernehmen. Diese Prothese entspreche dem derzeit aktuellen Stand der Technik und sei erforderlich, um die Folgen des Arbeitsunfalls zu erleichtern. Die gesteigerte Funktionalität der Michelangelo‑Hand stelle sowohl eine signifikante Verbesserung bei den vom Kläger beruflich zu erbringenden Tätigkeiten, als auch bei seinen Freizeittätigkeiten dar. Durch das drehbare Handgelenk der Prothese könne er das Lenkrad beidhändig bedienen und dadurch sicherer fahren. Die Michelangelo‑Hand minimiere das Erfordernis notwendiger Kompensationsbewegungen und verringere die Abnützung der gesunden linken Hand. Sie biete neben den funktionellen auch optische Vorteile, weil sie sich besser in den Körper einpasse, was auch die psychische Beeinträchtigung verringere. Auch im Hinblick auf die Lebenserwartung des Klägers sei die Versorgung mit der Michelangelo‑Hand den persönlichen und beruflichen Verhältnissen angepasst.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die bereits bewilligte Unterarmprothese SensorHand Speed dem letzten Stand der Technik sowie den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Klägers entspreche. Die zusätzlichen Eigenschaften der Michelangelo‑Hand würden weder für die derzeitige berufliche Tätigkeit, noch in dessen persönlichen Verrichtungen wesentliche Gebrauchsvorteile bieten. Eine Versorgung mit dem jeweils neuesten am Markt eingeführten Produkt, möge es für den Versicherten auch noch so viele Verbesserungen mit sich bringen, könne aus § 149c BSVG nicht abgeleitet werden. Bereits mit der bisherigen Prothese sei das Lenken eines Kraftfahrzeugs ohne Einschränkung möglich.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es ging dabei im Wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:

Der Kläger ist Lagerleiter und Haustechniker eines Malerbetriebs, er muss auch Bürotätigkeiten verrichten. Beruflich muss der Kläger auch Kraftfahrzeuge lenken und dabei Fahrzeuge des Arbeitgebers benützen, die keinen speziellen Umbau für eine einhändige Bedienung aufweisen. Nebenberuflich ist der Kläger in der Landwirtschaft tätig. In seiner Freizeit beschäftigt er sich mit Modellbau und fährt Rad.

SensorHand Speed (O***** Standard-Myohand):

Die O***** Myohand wurde erstmals 1971 vorgestellt. Während die Technik im Inneren der Hand – wie zB das Getriebe und der Antrieb – verbessert wurden, änderte sich ihr Aussehen bis heute nicht. Die Prothese ist in der Form der SensorHand Speed, wie sie der Kläger bereits seit seinem Unfall benützt und wie sie ihm auch für eine weitere Versorgung bewilligt wurde, seit dem Jahr 2004 auf dem Markt. Sie enthält wesentliche Verbesserungen im Vergleich zu älteren Modellen. Sie verfügt über eine erhöhte Griffgeschwindigkeit und auch einen Sensor im Daumen, welcher durch Druck den erfassten Gegenstand erkennt und die Griffkante entsprechend anpasst, sodass der Gegenstand nicht aus der Hand rutschen kann. Die Hand besteht aus einem Metallgerüst mit drei Fingern (Daumen‑, Ring‑ und Mittelfinger), die sich motorisch aufeinander zu‑ und wegbewegen. Mit dieser Prothese kann lediglich in einem Spitzgriff zugegriffen werden. Der Griff wird mit Muskelsignalen gesteuert. Je nach Ansteuerung kann dabei die Griffkraft und die Geschwindigkeit variiert werden. Ringfinger und kleiner Finger sind in der Kosmetik enthalten, haben aber keine Funktion. Der Akku ist in der Prothese integriert, jedoch von außen zugänglich und entnehmbar. Es können auch zwei Akkus gewechselt werden.

Grundsätzlich ist das Handgelenk steif und kann nur mit der erhaltenen Hand mechanisch um die eigene Achse rotiert werden. Das Handgelenk ist rund und hat einen Durchmesser von 50 mm, was nicht der physiologischen ovalen Form eines menschlichen Handgelenks entspricht. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf die technische Funktionalität der Prothese. Die Hand ermöglicht grundsätzlich die Möglichkeit der Verwendung eines Elektrodreh‑Einsatzes, der eine Länge von 55 mm aufweist. Beim Kläger ist dies jedoch nicht möglich, weil er über einen langen Stumpf verfügt und eine Verlängerung der Prothese um zusätzliche 55 mm zu einem deutlichen Längenunterschied zwischen dem erhaltenen Arm und dem mit der Prothese versorgten Arm führen würde.

Die SensorHand Speed hat eine Öffnungsweite von 100 mm und eine maximale Griffgeschwindigkeit von 300 mm/sec. Die Hand ist nicht für schwere körperliche Arbeiten, wie das Tragen von sehr schweren Kübeln, Kisten, Säcken, Farbkübeln, Holzarbeiten etc geeignet und vom Hersteller dafür nicht zugelassen. Für schwere körperliche Arbeiten ist eine Arbeitsprothese mit einem mechanischen Hook zu verwenden; diese Prothese muss mit der SensorHand Speed getauscht werden. Die Folgeversorgung mit der SensorHand Speed kostet 26.572,09 EUR.

Michelangelo‑Hand:

Die Michelangelo‑Hand, eine Neuentwicklung, mit der das menschliche Vorbild optisch und technisch möglichst erreicht werden sollte, wurde im deutschsprachigen Raum erstmals im Mai 2012 vorgestellt. Die Hand verfügt im Gegensatz zur SensorHand Speed über fünf (verwendbare) Finger, mit denen drei Griffarten („Lateral Mode“, „Opposition Mode“ und „Neutral Mode“) mit sieben Griffmustern ausgeführt werden können. Die Hand bietet damit einen weiten Anwendungsbereich.

Beim „Lateral Pinch“ bewegt sich der Daumen seitlich zum Zeigefinger. Dieses Griffmuster ist zum seitlichen Fixieren flacher Gegenstände wie Handys, Zeitungen oder Notizblöcken geeignet. Auch beim „Lateral Power Grip“ bewegt sich der Daumen seitlich zum Zeigefinger. Der Griff ist zum Greifen mittlerer Gegenstände mit höherer Griffkraft geeignet. Bei einem weiteren Griff können durch Spreizen und Schließen der Finger mehrere flache dünne Objekte zwischen den Fingern fixiert werden. Beim „Tripod Pinch“ bildet der Daumen mit Mittel‑ und Zeigefinger eine 3‑Punkt Auflage, mit der kleine Gegenstände wie Schlüssel, Stifte etc fixiert werden können. Beim „Opposition Power Grip“ können durch die große Öffnungsweite von 120 mm Gegenstände mit großem Durchmesser wie Flaschen, Farbdosen, Werkzeuge etc sicherer gehalten werden. Beim „Open Palm“ wird der Daumen bei geöffneter Hand sehr weit abgespreizt positioniert, sodass durch die sehr flache Hand Teller, Klemmbretter zum Schreiben, Tablets etc sicher aufgelegt, gehalten und benützt werden können. Sowohl beim Lateral‑ als auch beim Oppositionsmodus gibt es die Finger‑Ab‑ und Adduktion, mit der Bankomat‑ und Visitenkarten, Geldscheine und Zettel sicher zwischen den Fingern fixiert werden können. Beim „Neutral Mode“ handelt es sich um eine Ruhestellung mit leicht gebeugten Fingern, eine natürliche, physiologische Erscheinung.

Eine weitere wesentliche Neuerung stellt das flexible Handgelenk dar. Auch der Daumen ist separat beweglich und ermöglicht durch die Außenrotation eine weit geöffnete Handfläche. Geladen wird die Hand über eine Ladebuchse, das Wechseln von Akkus ist nicht mehr möglich (gemeint offenbar: nötig). Der Längenunterschied zwischen der Michelangelo‑Hand mit elektrischem Dreheinsatz und manuellem Dreheinsatz beträgt lediglich 5 mm und die Griffe der Michelangelo‑Hand werden mit den gleichen Muskelsignalen gesteuert wie bei der SensorHand Speed. Die Michelangelo‑Hand hat eine Öffnungsweite von 120 mm und eine maximale Griffgeschwindigkeit von 325 mm/sec.

Bei der Michelangelo‑Hand gibt es seit 2015 auch die Möglichkeit der Ergänzung durch einen Axon‑Hook. Dabei handelt es sich um einen elektrischen Greifhaken, der speziell für schwere Arbeiten entwickelt wurde. Der Vorteil liegt darin, dass nicht mehr die Prothese ausgewechselt werden muss, sondern lediglich der vordere Aufsatz.

Die Folgeversorgung mit der Michelangelo‑Hand kostet 69.469,40 EUR.

Neben der Michelangelo‑Hand gibt es auf dem Markt auch andere weiterentwickelte Prothesen wie zB die I‑Limb Hand und die Bebionic Hand, deren Eigenschaften, Vor‑ und Nachteile in Bezug auf den Kläger vom Erstgericht im Einzelnen festgestellt wurden.

Mit der Michelangelo‑Hand ist es dem Kläger im Gegensatz zur jetzigen Prothese auch möglich zu lenken, weil sie über ein bewegliches Handgelenk verfügt. Dies steigert die Sicherheit beim Lenken eines Firmenkraftfahrzeugs oder eines Gabelstaplers. Auch beim Gangschalten ergeben sich Erleichterungen durch die verschiedenen Griffmöglichkeiten. Weitere Vorteile ergeben sich bei den Bürotätigkeiten und beim Hantieren mit Maschinen und Werkzeugen, insbesondere auch durch die verschiedenen Griffmöglichkeiten der Hand und das bewegliche Handgelenk.

Außerdem kann die Michelangelo‑Hand optional mit dem Axon‑Hook kombiniert werden, mit dem sowohl feinmotorische Arbeiten als auch das Hantieren mit Gegenständen von unterschiedlicher Größe, Form und Gewicht schneller, leichter, sicherer, entspannter und vor allem intuitiver möglich ist, und dass ein Wechsel zwischen der Michelangelo‑Hand und dem Axon‑Hook ohne Wechsel des Schafts möglich ist. In der Landwirtschaft, in der der Kläger nebenberuflich tätig ist, würden sich vor allem Vorteile durch eine zusätzliche Versorgung mit dem Axon‑Hook ergeben.

Auch für die Freizeitgestaltung des Klägers ergeben sich, neben dem Vorteil der Fahrsicherheit beim Lenken und Schalten von Fahrzeugen, Vorteile durch die besseren Grifffunktionen und die Beweglichkeit des Handgelenks, insbesondere bei Lötarbeiten, die für den Modellbau erforderlich sind, und beim Radfahren, weil dem Kläger mit der Michelangelo‑Hand wieder die Benützung einer normalen Lenkstange möglich wäre.

Bei der Michelangelo‑Hand gibt es auch eine Größe, die annähernd der Hand des Klägers entspricht, sodass die Prothese weniger auffällig wäre und weniger Blicke auf sich zieht. Auch im alltäglichen Leben ergeben sich verschiedene Verbesserungen. So kann beispielsweise mit der Michelangelo‑Hand die Zahnbürste gehalten und die Zahnpasta appliziert werden, was mit der SensorHand Speed nicht möglich ist. Mit der Michelangelo‑Hand ergeben sich auch Verbesserungen bei der Benützung von Reißverschlüssen und dem Binden von Schnürsenkeln. Mit der Michelangelo‑Hand können aufgrund des beweglichen Handgelenks auch Ausgleichsbewegungen durchgeführt werden, die mit einer Handprothese ohne flexibles Handgelenk nicht möglich sind, wie zB das Ablegen der Hand am Tisch oder das Abstützen der Hand in der Hosentasche. Insgesamt sind daher weniger Kompensationsbewegungen der Schulter und des Ellenbogens erforderlich.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass die Versorgung des Klägers mit der Michelangelo‑Hand den Anforderungen des § 149c Abs 1 BSVG entspreche. Die Michelangelo‑Hand sei eine technische Fortentwicklung der SensorHand Speed und biete – bezogen auf die individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Klägers – eine Reihe von Vorteilen. Sie sei somit den beruflichen und persönlichen Verhältnissen des Klägers angepasst. Auch im privaten Bereich biete sie Vorteile.

Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge und ließ die Revision mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zu. Es führte, gestützt auf die Entscheidung 10 ObS 56/16g, aus, dass kein Anspruch des Versehrten auf ein Hilfsmittel nach dem letzten Stand der Technik bestehe. Vielmehr sei individuell nach den persönlichen und beruflichen Verhältnissen zu prüfen, welches Hilfsmittel erforderlich und geeignet sei, dem Versehrten nicht nur am Arbeitsplatz und im Wirtschaftsleben, sondern auch in der Gemeinschaft einen seinen persönlichen Verhältnissen vor dem Arbeitsunfall möglichst entsprechenden Platz dauerhaft zu verschaffen. Die Michelangelo‑Hand biete dem Kläger aufgrund der verschiedenen Griffmöglichkeiten und des beweglichen Handgelenks „enorme Vorteile“, die mit der von der Beklagten angebotenen Prothese in keiner Weise erreicht werden könnten. Mit der Michelangelo‑Hand könne der Kläger manuelle Tätigkeiten schneller, leichter, sicherer, entspannter und vor allem intuitiver ausüben. Es seien weniger Kompensationsbewegungen der Schulter und des Ellenbogens erforderlich, wodurch auch Abnützungserscheinungen und Verspannungen hintangehalten werden könnten. Gerade bei manuellen Tätigkeiten, wie sie der Kläger auszuführen habe, sei die Michelangelo‑Hand als die den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Klägers angepasste Hand anzusehen, die es ihm ermögliche, seine Arbeit in einem ihm zumutbaren Umfang zu erledigen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger hat von sich aus noch vor der in § 508 Abs 2 Satz 1 ZPO vorgesehenen Mitteilung eine Revisionsbeantwortung eingebracht. Da es daher an keiner gesonderten Beschlussfassung der Freistellung der Revisionsbeantwortung nach dieser Gesetzesstelle mehr bedarf (RIS‑Justiz RS0104882), kann bereits in der Sache selbst entschieden werden.

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig. Sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1.1 Gemäß § 149c BSVG hat der Versehrte Anspruch auf Versorgung mit Körperersatzstücken, orthopädischen Behelfen und anderen Hilfsmitteln, die erforderlich sind, um den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder die Folgen des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit zu erleichtern. Alle diese Hilfsmittel müssen den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten angepasst sein. Diese Bestimmung entspricht § 202 Abs 1 ASVG, sodass auf die dazu in den Entscheidungen 10 ObS 56/16g und 10 ObS 161/16y herausgearbeiteten Grundsätze zurückgegriffen werden kann.

1.2 Danach hat der Versehrte Anspruch auf das erforderliche (geeignete) Hilfsmittel, um die von § 149c Abs 1 BSVG angestrebten Zwecke zu erreichen. Ein Hilfsmittel muss einerseits objektiv medizinisch erforderlich und geeignet sein, die vom Gesetzgeber in § 149c Abs 1 BSVG angestrebten Zwecke zu erfüllen. Andererseits ist die Erforderlichkeit und Eignung auch subjektiv unter Berücksichtigung der individuellen persönlichen und beruflichen Verhältnisse des Versehrten im jeweiligen konkreten Fall zu beurteilen. Das „erforderliche“ Hilfsmittel muss daher seinen persönlichen und beruflichen Verhältnissen angepasst sein, es darf insofern keine „Überversorgung“ stattfinden.

1.3 Nach diesen Grundsätzen besteht kein Zweifel, dass die vom Kläger begehrte Michelangelo‑Hand sowohl objektiv medizinisch geeignet ist, die Folgen seines Arbeitsunfalls zu erleichtern, als auch seinen individuellen und persönlichen Bedürfnissen entspricht. Der Oberste Gerichtshof verkennt nicht die von den Vorinstanzen herausgearbeiteten Vorteile, die die Versorgung des Klägers mit einer Michelangelo‑Hand bietet. Diese werden auch von der Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung nicht in Frage gestellt.

2.1 Der Umstand, dass die Gewährung von Hilfsmitteln im Unfallversicherungsrecht „höherwertiger“ geregelt ist als im Krankenversicherungsrecht, ändert jedoch nichts daran, dass auch die Unfallversicherungsträger – schon verfassungsrechtlich – in ihrer gesamten Gebarung an die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit gebunden sind („Ökonomiegebot“).

2.2 Der Versehrte hat im Bereich der Unfallheilbehandlung nach § 149c Abs 1 BSVG einen Anspruch auf Versorgung durch Sachleistung. Diese erfolgt primär in der vom Unfallversicherungsträger gewählten Form, wobei dieser die dargestellten Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu beachten hat. Der Versehrte hat daher einen Grundanspruch auf die erforderliche (geeignete) Versorgung gemäß § 149c Abs 1 BSVG, nicht jedoch einen Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel. Die Entscheidung, welches konkrete Hilfsmittel im Einzelfall geeignet ist, um die Ziele des § 149c Abs 1 BSVG zu erreichen, trifft der Unfallversicherungsträger. Wünscht der Versehrte eine nicht erforderliche, höhere Kosten bedingende Ausführung, die in seinen persönlichen oder beruflichen Verhältnissen keine Begründung findet, so hat er die Mehrkosten selbst zu tragen (10 ObS 56/16g; 10 ObS 161/16y, jeweils mwH; RIS‑Justiz RS0131107). Ein Anspruch auf die jeweils dem letzten Stand der Technik entsprechende Prothese ist aus dem Unfallversicherungsrecht nicht abzuleiten (10 ObS 161/16y). Stehen mehrere geeignete Hilfsmittel im Sinn des § 149c Abs 1 BSVG zur Verfügung, hat die Beklagte eine Entscheidung nach ihrem Ermessen zu treffen und dabei die dargestellten Gebarungsgrundsätze zu beachten.

3.1 Im vorliegenden Fall geht es – anders als in dem zu 10 ObS 56/16g entschiedenen Sachverhalt – nicht um eine Erstversorgung des Klägers nach einem Arbeitsunfall, sondern um eine Folgeversorgung (vergleichbar zu dem in 10 ObS 161/16y entschiedenen Sachverhalt). Es kommt daher nicht entscheidend darauf an, welche – unstreitigen – Vorteile die Michelangelo‑Hand gegenüber der SensorHand Speed bietet, sondern es muss vielmehr beurteilt werden, ob die von der Beklagten angebotene Folgeversorgung mit einer SensorHand Speed geeignet und erforderlich im Sinn des § 149c Abs 1 BSVG ist. Die Beweislast dafür, dass ein von ihr konkret angebotenes Hilfsmittel – hier die SensorHand Speed zuzüglich Arbeitsprothese – geeignet im Sinn des § 149c Abs 1 BSVG ist, trifft die Beklagte (10 ObS 56/16g).

3.2 Die Beklagte hat im vorliegenden Fall vorgebracht, dass dem Kläger die Fortsetzung seines beruflichen, aber auch privaten Lebens nach seinem Arbeitsunfall bereits mit der bisherigen prothetischen Versorgung möglich war. Der Kläger stellt dazu auch in der Revisionsbeantwortung nicht in Frage, dass er bereits bisher seinen Beruf, seine landwirtschaftliche Tätigkeit und auch seine Freizeitaktivitäten – wenn auch in allen Fällen mit Einschränkungen – nach seinem Arbeitsunfall mit der bisherigen prothetischen Versorgung weiterhin ausgeübt hat. Der Kläger hat (lediglich) vorgebracht, dass die Verwendung einer Michelangelo‑Hand alle diese Aktivitäten „signifikant“ verbessere. Daraus folgt jedoch nach den dargestellten Grundsätzen noch nicht, dass die von der Beklagten angebotene SensorHand Speed kein geeignetes Hilfsmittel im Sinn des § 149c Abs 1 BSVG wäre.

4.1 Im fortzusetzenden Verfahren werden daher Feststellungen zu treffen sein, die abschließend beurteilen lassen, ob die von der Beklagten angebotene prothetische Versorgung mit einer SensorHand Speed und einer Arbeitsprothese (weiterhin) geeignet und erforderlich im Sinn des § 149c Abs 1 BSVG sind, und ob diese prothetische Versorgung den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Klägers (weiterhin) entspricht.

4.2 Der Kläger hat dazu insbesondere vorgebracht, dass die linke, gesunde Hand, insbesondere das Handgelenk, durch die seit dem Arbeitsunfall bestehende Überbeanspruchung zusehends abgenützt werde und sich daraus bereits Beschwerden im linken Handgelenk, im linken Ellenbogen und im linken Schultergelenk ergeben hätten, wegen derer der Kläger bereits in Behandlung (Kur) gewesen sei. Bei weiterer Überlastung – die durch die Michelangelo‑Hand vermieden werden könnte – würde es hier zu weiteren Einschränkungen kommen, sodass dem Kläger verschiedene Tätigkeiten nicht mehr möglich wären. Die Beklagte hat das bestritten und die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Orthopädie/Prothetik beantragt.

Aus den bisher getroffenen Feststellungen, wonach mit der Michelangelo‑Hand Ausgleichsbewegungen vorgenommen werden können und weniger Kompensationsbewegungen der Schulter und des Ellenbogens erforderlich seien, kann die Frage, ob die vom Kläger behaupteten drohenden Abnützungserscheinungen, Beschwerden und Folgen für den Fall der Folgeversorgung mit einer SensorHand Speed bestehen, nicht beantwortet werden. Daran ändert auch der Hinweis des Berufungsgerichts auf das Gutachten des (orthopädietechnischen) Sachverständigen nichts, wonach durch weniger Kompensationsbewegungen „Abnützungen und Verspannungen hintangehalten werden“ könnten.

Sollten sich im fortgesetzten Verfahren die vom Kläger behaupteten Beschwerden herausstellen, so werden weiters Feststellungen zu treffen sein, ob die Versorgung mit einer Michelangelo‑Hand im Sinn des § 149c Abs 1 BSVG erforderlich ist, um diese behaupteten Beschwerden und Einschränkungen im Zusammenhang mit einer Überbeanspruchung des linken Handgelenks zu vermeiden.

4.3 Der Kläger hat weiters vorgebracht, dass durch die Verwendung der Michelangelo‑Hand das beruflich erforderliche Lenken von Kraftfahrzeugen sicherer geworden sei, weil er damit beidhändig lenken und nicht nur die Prothese auf das Lenkrad legen könne. Die dazu vom Erstgericht getroffenen Feststellungen sind unklar: Denn einerseits stellt das Erstgericht fest, dass der Kläger beruflich Kraftfahrzeuge lenkt und dabei Fahrzeuge des Arbeitgebers benützt, die keinen speziellen Umbau für eine einhändige Bedienung aufweisen (Ersturteil S 3), andererseits stellt es fest, dass es dem Kläger mit der Michelangelo‑Hand „im Gegensatz zur jetzigen Prothese auch möglich zu lenken [ist], weil diese über ein bewegliches Handgelenk verfügt“.

Im fortzusetzenden Verfahren werden daher Feststellungen darüber zu treffen sein, ob dem Kläger das Lenken von Kraftfahrzeugen (oder eines Gabelstaplers) mit der von der Beklagen ist angebotenen prothetischen Folgeversorgung mit einer SensorHand Speed (im Fall des Klägers ohne drehbares Handgelenk) möglich und auch nach den Anforderungen der Straßenverkehrsordnung bzw der Sicherheit auf dem Betriebsgelände seines Arbeitgebers zulässig ist.

5. Ausgehend davon wird im fortzusetzenden Verfahren zunächst zu beurteilen sein, ob die von der Beklagten angebotene Folgeversorgung mit einer SensorHand Speed den Voraussetzungen des § 149c Abs 1 BSVG entspricht. Sollte dies verneint werden, kommt es auf die weiteren vom Erstgericht festgestellten prothetischen Versorgungsmöglichkeiten – mit einer I‑Limb Hand bzw Bebionic Hand – nicht an, weil diese weder vom Kläger begehrt noch von der Beklagten angeboten wurden. Auch in ihrer Revision kommt die Beklagte nicht mehr auf diese Möglichkeiten einer prothetischen Versorgung zurück, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.

Es war daher der Revision Folge zu geben und die Rechtssache zur ergänzenden Erörterung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf den §§ 2 ASGG, 52 ZPO.

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