OGH 10ObS337/92

OGH10ObS337/9212.1.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Fritz Stejskal (AG) und Dr.Renate Klenner (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei K***** V*****, vertreten durch Dr.Heinrich Wille, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 2, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen vorzeitiger Alterspension bei langer Versicherungsdauer, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.September 1992, GZ 34 Rs 106/92-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 30.März 1992, GZ 26 Cgs 1645/91-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger hat seit seinem Eintritt in das Berufsleben 466 Beitragsmonate erworben. Er erhält ab 1.11.1991 einen Pensionsvorschuß gemäß § 23 Abs 1 AlVG, nachdem er seit 1.5.1991 arbeitslos gemeldet war; vom 19.4.1991 bis 30.4.1991 war der Kläger bei der Gebietskrankenkasse als arbeitsunfähig gemeldet.

Mit Bescheid vom 23.10.1991 lehnte die beklagte Partei den am 2.10.1991 gestellten Antrag des am 31.8.1935 geborenen Klägers auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer mit der Begründung ab, daß der Kläger das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet habe.

Die dagegen fristgerecht erhobene Klage richtet sich auf die abgelehnte Leistung im gesetzlichen Ausmaß ab 1.10.1991, wobei der Kläger geltend macht, das ungleiche Pensionsalter für Männer und Frauen sei verfassungswidrig.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Verfassungsgerichtshof habe mit Erkenntnis vom 6.12.1990, G 223/88-31, die Wortfolge "nach Vollendung des 60. Lebensjahres, die Versicherte" im § 253 b Abs 1 ASVG als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, daß die Aufhebung mit Ablauf des 30.11.1991 in Kraft trete und frühere Vorschriften nicht wieder in Wirksamkeit treten. An diesen Spruch seien nach Art 140 B-VG alle Gerichte und Verwaltungsbehörden gebunden. Da der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis gemäß Abs 5 des zitierten Artikels eine Frist gesetzt habe, sei die aufgehobene Wortfolge auf alle bis zum Ablauf der Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles anzuwenden.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Es erachtete die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes für zutreffend und verwies auf das BG über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten BGBl 1991/627. Vor dessen Inkrafttreten sei die als verfassungswidrig aufgehobene Regelung durch den mit 30.11.1991 bestimmten Zeitpunkt der Wirkung des Erkenntnisses verfassungsrechtlich saniert gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, wobei der Kläger neuerlich seine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 253 b ASVG in der im Zeitpunkt des Stichtages in Kraft stehenden Fassung auf Grund des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 vorbringt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hatte gegen die relevierte Gesetzesbestimmung aus dem Grund der Verfassungsmäßigkeit Bedenken und stellte an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, im § 253 b Abs 1 ASVG BGBl 1955/189 idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 BGBl 157 die Wortfolge "nach Vollendung des 60. Lebensjahres, die Versicherte" als verfassungswidrig aufzuheben oder auszusprechen, daß diese Wortfolge in der angeführten Bestimmung vom 1.April 1991 bis 30.November 1991 verfassungswidrig war.

Mit Erkenntnis vom 17.12.1992, G 120/92-9 ua, sprach der Verfassungsgerichtshofshof aus, daß die erwähnte Wortfolge bis zum Ablauf des 30.11.1991 verfassungswidrig war und auch auf jene Sachverhalte nicht mehr anzuwenden ist, die den beim Verfassungsgerichts zu G 260/92 und G 261/92 anhängigen Rechtssachen zugrunde liegen (Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG). Die vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erklärte Wortfolge im § 253 b Abs 1 ASVG ist daher im vorliegenden Fall, der zu G 261/92 beim Verfassungsgerichtshof anhängig war und einem Anlaßfall gleichsteht, nicht mehr anzuwenden. Die Rückwirkung des Ausspruches des Verfassungsgerichtshofes besteht darin, daß dieser so zu entscheiden ist, als ob die aufgehobene Bestimmung im für die Entscheidung des Anlaßfalles maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr bestanden hätte (VfSlg 3961, 4072), so daß sie in diesem Fall nicht mehr anzuwenden ist (VfSlg 8934).

Damit ergibt sich für den vorliegenden Fall, daß der Umstand, daß der Kläger das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, dem erhobenen Anspruch auf vorzeitige Alterspension nicht entgegensteht. Die altersmäßige Voraussetzung für die begehrte Leistung ist erfüllt, weil er das 55. Lebensjahr überschritten hat. Nach den Feststellungen hat der Kläger zum Stichtag auch mehr als 420 Versicherungsmonate erworben, so daß auch die Voraussetzung des § 253 b Abs 1 lit b ASVG in der maßgeblichen Fassung gegeben ist. Die Feststellungen reichen jedoch nicht aus, um die besondere Anspruchsvoraussetzung des § 253 b Abs 1 lit c ASVG zu erfüllen. Festgestellt wurde nur die Meldung eines Krankenstandes ab 19.4.1991 und der darauf folgenden Arbeitslosigkeit ab 1.5.1991. Dies reicht zur Beurteilung der besonderen Anspruchsgrundlagen nach der zitierten Gesetzesstelle nicht hin. Da auch Außerstreitstellungen hiezu nicht vorliegen, erweist sich das Verfahren in diesem Punkt ergänzungsbedürftig.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

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