Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 5. Mai 1966 geborene Kläger erlernte ab Juli 1981 den Beruf eines Kellners und legte nach dreijähriger Ausbildungszeit die Lehrabschlußprüfung ab. Während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (1.September 1990) erwarb er 57 Beitragsmonate, und zwar 41 Monate als Kellner (darin enthalten 36 Monate Lehrzeit) und 16 Monate als Portier. Seit 1.Oktober 1989 ist er als selbständig erwerbstätiger Gastronom tätig und nach dem GSVG pflichtversichert. Am 13.Juli 1984 erlitt der Kläger einen privaten Verkehrsunfall, als dessen Folge die vollständige schlaffe Lähmung des linken Armes zurückblieb. Die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 26.März 1985 ab 1.Februar 1985 eine bis 30. September 1985 befristete Invaliditätspension. Sein Antrag auf Weitergewährung dieser befristeten Invaliditätspension wurde mit rechtskräftigem Bescheid vom 8.November 1985 abgewiesen.
Mit dem nunmehr klagsgegenständlichen Bescheid vom 7.Dezember 1990 wurde der Antrag des Klägers vom 27.August 1990 auf Zuerkennung einer Invaliditätspension abgelehnt.
Das Erstgericht gab der dagegen eingebrachten Klage statt und erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger "binnen 14 Tagen" die Invaliditätspension in gesetzlicher Höhe ab dem Stichtag 1.September 1990 zu gewähren. Es stellte fest, daß beim Kläger eine komplette schlaffe Lähmung des linken Armes besteht, sodaß der linke Arm und die linke Hand nicht einsetzbar sind. Der Kläger ist einem Rechtseinarmigen gleichzusetzen. Die Fingerbeweglichkeit rechts ist voll erhalten, die Anmarschwege sind nicht eingeschränkt, eine Umstellung kommt in Frage. Vom chirurgischen Standpunkt sind dem Kläger in der üblichen Arbeitszeit und bei den üblichen Pausen alle Arbeiten in beliebiger Körperhaltung möglich.
Da dem Kläger aus berufskundlicher Sicht unter den auf dem aktuellen Arbeitsmarkt vorherrschenden Arbeitsbedingungen keine kalkülsentsprechenden Berufstätigkeiten mehr zumutbar seien, folgerte das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht, daß Invalidität des Klägers nach § 255 Abs 3 ASVG vorliege. Der Umstand, daß der Kläger am Stichtag nach dem GSVG pflichtversichert war, sei der Klagsstattgebung nicht hinderlich, da die Bestimmung des § 254 Abs 1 ASVG (gemeint: in der Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991) nur auf Versicherungsfälle anzuwenden sei, in denen der Stichtag nach dem 31.März 1991 liege.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung der Klage ab. Zu Recht wende sich die Berufung gegen die rechtliche Folgerung des Erstgerichtes, daß auf Grund der Einarmigkeit des Klägers Verweisungstätigkeiten nicht gefunden werden könnten. Auf Grund seiner besonderen Zusammensetzung komme das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, daß den Ausführungen des berufskundlichen Sachverständigen nicht gefolgt werden könne. Bereits in zahlreichen Entscheidungen sei ausgeführt worden, daß Versicherte mit einem vergleichbaren Leistungskalkül zumindest auf die Tätigkeit eines Portiers bzw Wacheorgans, Dorotheumaufsehers oder Botengängers verweisbar wären. So sei es beispielsweise bei einer ausreichenden Zahl von Portiersarbeitsplätzen nicht erforderlich, Geschäftspost und ähnliches zu übernehmen oder zu übergeben; dafür seien vielmehr innerbetriebliche Post- und Zustelldienste zuständig. Hiezu komme, daß bei dem verhältnismäßig jungen Kläger sehr rasch, also innerhalb weniger Monate, eine Gewöhnung an den Zustand der Einarmigkeit eingetreten sei, sodaß für viele Verrichtungen das Vorhandensein eines Armes als ausreichend empfunden werde.
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Stattgebung der Klage, hilfsweise Aufhebung und Zurückverweisung.
Die beklagte Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Dem Erstgericht ist zunächst darin beizupflichten, daß § 254 Abs 1 ASVG in der Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991, BGBl 157, mit Rücksicht auf den vor dem 31.März 1991 liegenden Stichtag auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden ist. Die Pflichtversicherung des Klägers nach dem GSVG würde daher einer Stattgebung des auf Invaliditätspension gerichteten Begehrens nicht entgegenstehen.
Der Kläger weist darauf hin, daß er den Beruf eines Kellners erlernt, die Lehrabschlußprüfung abgelegt und den Kellnerberuf "auch jahrelang bis zum Unfall" ausgeübt habe, weshalb er Berufsschutz gemäß § 255 Abs 1 ASVG genieße und es ihm nicht zugemutet werden könne, auf einen fremden Beruf verwiesen zu werden, der seinen erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht entspreche oder für den er umgeschult werden müßte. Das Berufungsgericht habe sich mit der Frage des Berufsschutzes nicht auseinandergesetzt, sondern den Kläger in Anwendung des § 255 Abs 3 ASVG auf ungelernte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen.
Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis insoweit beizustimmen, als der Kläger keinen Berufsschutz als gelernter Kellner beanspruchen kann. Dies würde nach § 255 Abs 1 ASVG erfordern, daß er überwiegend in seinem erlernten Beruf tätig gewesen wäre; als überwiegend gelten nach § 255 Abs 2 ASVG solche erlernte Berufstätigkeiten, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübt wurden. Der Kläger, der 57 Beitragsmonate innerhalb der letzten 15 Jahre erworben hat, müßte daher, um Berufsschutz zu genießen, wenigstens 29 Monate als Kellner tätig gewesen sein. Da eine Tätigkeit in einem erlernten Beruf erst nach abgeschlossener Ausbildung ausgeübt werden kann, ist, wie der Oberste Gerichtshof schon ausgesprochen hat, ein Lehrling nicht im (noch nicht) erlernten Beruf tätig; Lehrlinge üben keine Berufstätigkeit im Sinn des § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG aus (SSV-NF 4/27 = SZ 63/33, zustimmend Heider DRdA 1991, 252). Da auf die 57 Beitragsmonate des Klägers 36 Beitragsmonate der Lehrzeit fallen, verbleiben lediglich 21 Beitragsmonate, wovon allein 16 Monate auf die Tätigkeit als Portier entfallen. Deshalb kann von einer überwiegenden Ausübung des Kellnerberufes nicht gesprochen werden, sodaß sich der Kläger im Sinn des § 255 Abs 3 ASVG auf den gesamten Arbeitsmarkt verweisen lassen muß. Dem Berufungsgericht ist auch darin beizupflichten, daß die festgestellte komplette schlaffe Lähmung des linken Armes den Kläger nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließt, weil als allgemein bekannt angesehen werden kann, daß einarmige Personen in vielen Berufstätigkeiten verwendet werden, etwa im Postein- und -auslauf, vor allem bei Behörden und Ämtern (15.Dezember 1992, 10 Ob S 299/92). Entgegen den Revisionsausführungen gibt es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch eine ausreichende Anzahl von Portieren, die bei ihrer Tätigkeit weder Aufzüge zu betreiben noch Feuerlöscher oder sonstige Brandbekämpfungsanlagen zu betätigen haben. Es ist auch nicht einsichtig, daß einarmige Wacheorgane deshalb nicht beschäftigt würden, weil sie keine Funkgeräte bedienen oder kein Kraftfahrzeug lenken könnten. Auch einer Verwendung als Botengänger steht die Einarmigkeit grundsätzlich nicht entgegen, weil die Verwendung einer Aktentasche mit über die Schulter gelegten Tragriemen zugemutet werden kann. Diese Erwägungen zeigen, daß das Erstgericht zu Unrecht davon ausging, dem Kläger sei allein wegen der funktionellen Einarmigkeit jedwede Berufstätigkeit verschlossen. Sind die Anforderungen in den Verweisungsberufen offenkundig - und dies muß auf Grund der besonderen Zusammensetzung der Sozialgerichte bei weit verbreiteten Tätigkeiten, deren Anforderungen allgemein bekannt sind, angenommen werden, dann bedarf es keiner Feststellungen über die Anforderungen in den Verweisungsberufen (SSV-NF 2/77 uva). Deshalb bedurfte es auch nicht eines weiteren berufskundlichen Gutachtens, sodaß die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht vorliegt. Der erkennende Senat hat auch wiederholt ausgesprochen, daß es den Tatsacheninstanzen nicht verwehrt ist, in freier Beweiswürdigung einem Sachverständigengutachten keinen Glauben zu schenken und von der Einholung eines weiteren Gutachtens Abstand zu nehmen, wenn die eigenen Fachkenntnisse - insbesondere im Senatsprozeß, der unter Beiziehung fachkundiger Laienrichter stattfindet - oder gar schon die allgemeine Lebenserfahrung zur Beurteilung ausreichen (SSV-NF 2/59, 3/14, 5/47). Ob das Berufungsgericht berechtigt war, von den erstgerichtlichen Feststellungen ohne Beweiswiederholung in mündlicher Berufungsverhandlung abzuweichen, ist hier nicht zu erörtern, weil die Nichtdurchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung in diesem Zusammenhang nicht als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens gerügt wurde (vgl. SSV-NF 5/137).
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an den unterlegenen Kläger aus Billigkeit sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht dargetan.
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