European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00031.18H.0417.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Mit Bescheid vom 25. 2. 2016 lehnte die Beklagte den Antrag des 1970 geborenen Klägers auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab und sprach aus, dass vorübergehende Berufsunfähigkeit im Ausmaß von mindestens sechs Monaten nicht vorliege, ein Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation nicht bestehe und Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zweckmäßig seien.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab, stellte fest, dass vorübergehende Berufsunfähigkeit ab 6. 8. 2015 bis 31. 3. 2017 vorgelegen sei, Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zweckmäßig gewesen seien und der Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung im Zeitraum vom 6. 8. 2015 bis 31. 3. 2017 zu Recht bestehe. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren wurde abgewiesen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die Revision nicht zu. Rechtlich ging es davon aus, das Rehabilitationsgeld stelle zwar eine unbefristete Leistung dar. Dies bedeute aber nicht, dass diese Leistung bei Wegfall der Voraussetzungen vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz unbefristet zustehe. Vielmehr habe das Gericht entsprechend dem Grundsatz der sukzessiven Kompetenz nicht die Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, sondern ein eigenes Verfahren durchzuführen, das sich auf den gesamten Zeitraum bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zu erstrecken habe. Dies entspreche der Rechtsprechung zu § 256 ASVG aF, nach der eine Befristung der Invaliditätspension für die Vergangenheit zulässig und geboten gewesen sei, wenn die Anspruchsvoraussetzungen bereits in der Vergangenheit weggefallen gewesen seien.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.
1.1 Für diejenigen Versicherten, die – wie der Kläger – am 1. 1. 2014 das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, wurde mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2012 (SRÄG 2012, BGBl I 2013/3) die befristete Invaliditätspension (Berufsunfähigkeitspension) abgeschafft, aber ein Rechtsanspruch auf medizinische Rehabilitation bei vorübergehender Invalidität/ Berufsunfähigkeit sowie die neuen Leistungen des Rehabilitations- und des Umschulungsgeldes eingeführt (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 2, 24). Personen, für die auf Antrag bescheidmäßig festgestellt wurde, dass die Anspruchsvoraussetzungen nach § 255b (§ 273b, § 280b) ASVG erfüllt sind, haben ab Vorliegen der vorübergehenden Invalidität (Berufsunfähigkeit) für deren Dauer Anspruch auf Rehabilitationsgeld (§ 143a Abs 1 ASVG). Voraussetzungen für den Leistungsanspruch auf Rehabilitationsgeld sind, dass vorübergehende Invalidität bzw Berufsunfähigkeit im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nicht zweckmäßig oder nicht zumutbar sind (§ 255b ASVG).
1.2 Ein eigenständiger Antrag auf Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes ist nicht vorgesehen. Gemäß § 361 Abs 1 Satz 2 ASVG gilt vielmehr ein Antrag auf Gewährung einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit vorrangig als Antrag auf Leistung der medizinischen Rehabilitation und von Rehabilitationsgeld.
1.3 Ist voraussichtlich dauernde Invalidität nicht anzunehmen und liegen die genannten Voraussetzungen für den Anspruch auf Rehabilitationsgeld vor, so hat der Pensionsversicherungsträger gemäß § 367 Abs 4 Z 4 ASVG von Amts wegen festzustellen, ob Anspruch auf Rehabilitationsgeld besteht. Diese Bestimmung gilt auch für das Arbeits- und Sozialgericht, weshalb diese Feststellungen gegebenenfalls auch amtswegig im sozialgerichtlichen Verfahren zu treffen sind (10 ObS 160/16a, DrdA 2018/6, 48 [Schrattbauer]).
1.4 Rehabilitationsgeld gebührt ab Vorliegen der vorübergehenden Invalidität bzw Berufsunfähigkeit (§ 143a Abs 1 ASVG; RIS‑Justiz RS0130706) und wird vom Krankenversicherungsträger – unbefristet – für die Dauer der vorübergehenden geminderten Arbeitsfähigkeit gewährt. Der Krankenversicherungsträger hat das weitere Vorliegen der geminderten Arbeitsfähigkeit im Rahmen des Case Managements zu überprüfen (§ 143a Abs 1 ASVG).
2.1 Mit der Schaffung des Rehabilitationsgeldes wurde vom Konzept der grundsätzlichen Befristung von Leistungen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit wieder abgegangen, indem das Rehabilitationsgeld als de facto unbefristete Dauerleistung ausgestaltet wurde (ErläutRV 321 BlgNR 25. GP 4).
2.2 Aus dem Charakter als Dauerleistung folgt, dass das Rehabilitationsgeld bei Wegfall der Leistungsvoraussetzungen durch Bescheid des Pensionsversicherungsträgers zu entziehen ist (§ 99 Abs 1 und 1a ASVG, § 143a Abs 1 ASVG), wenn eine ursprünglich vorhandene Leistungsvoraussetzung weggefallen ist. Das Rehabilitationsgeld kann daher nur entzogen werden, wenn eine wesentliche, entscheidende Änderung der Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt der ursprünglichen Zuerkennung eingetreten ist (RIS-Justiz RS0106704).
3.1 Mit dem Revisionsvorbringen, aus der in § 99 ASVG angeordneten Entziehung mittels Bescheid des Pensionsversicherungsträgers folge, dass das Gericht dem Kläger das Rehabilitationsgeld nicht nur für die Dauer der vorübergehenden geminderten Arbeitsfähigkeit, sondern ungeachtet der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit auch über den 31. 3. 2017 hinaus (unbefristet) zuzusprechen gehabt hätte, wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt:
3.2 Liegt – wie hier – dauernde Berufsunfähigkeit nicht vor, hat das Gericht gemäß § 367 Abs 4 Z 4 ASVG von Amts wegen festzustellen, ob Anspruch auf Rehabilitationsgeld besteht.
3.3 Entsprechend dem Grundsatz der sukzessiven Kompetenz hat das Gericht ein eigenes Verfahren durchzuführen und aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen vollkommen neu zu entscheiden, wobei sich das Verfahren auf den gesamten Zeitraum bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz zu erstrecken hat und bis zu diesem Zeitpunkt eingetretene Sachverhalts- und Rechtsänderungen zu berücksichtigen sind (RIS‑Justiz RS0053868, RS0106394). Das Gericht hat die Sache nach allen Richtungen selbständig zu beurteilen. Behauptet etwa der Versicherte während des Verfahrens eine Änderung (Verschlechterung) seines Gesundheitszustands, ist das Gericht erster Instanz verpflichtet, das Beweisverfahren in der behaupteten Richtung zu ergänzen. Entscheidend ist der Gesundheitszustand des Versicherten im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung in erster Instanz (vgl RIS‑Justiz RS0085994).
4.1 Im vorliegenden Fall trat durch die Einbringung der Klage der Bescheid der beklagten Partei vom 25. 2. 2016 außer Kraft; es war vom Gericht ein völlig neues Verfahren durchzuführen und gemäß § 406 ZPO die Entscheidung aufgrund der Sachlage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz (2. 5. 2017) zu treffen. Dieses Verfahren hat erbracht, dass der Kläger ab Antragstellung aufgrund seiner leidensbedingten Einschränkungen nicht in der Lage war, einer geregelten Arbeit nachzugehen, aber noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eine wesentliche Verbesserung seines Gesundheitszustands dahingehend eintrat, dass er ab 18. 3. 2017 ihm zumutbare Berufstätigkeiten wieder ausüben konnte.
4.2 In der ebenfalls einen Wegfall der Arbeitsunfähigkeit vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz betreffenden Entscheidung 10 ObS 160/16a, DrdA 2018/6, 48 (Schrattbauer) wurde bereits ausgesprochen, dass der Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung nur für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit zu Recht besteht und das Klagebegehren auf Feststellung des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld über diesen Zeitraum hinaus abzuweisen ist.
5. Mit dieser Entscheidung steht die Rechtsansicht der Vorinstanzen in Einklang. Der vom Revisionswerber vertretene Standpunkt, das Rehabilitationsgeld sei dennoch unbefristet zu gewähren, steht in Widerspruch zu § 143a Abs 1 ASVG, nach dem das Rehabilitationsgeld nur für die Dauer des Vorliegens der vorübergehenden Invalidität/Berufsunfähigkeit zusteht (siehe oben Pkt 1.1). Wäre das Rehabilitationsgeld auch für einen Zeitraum zuzusprechen, in dem die Voraussetzung der vorübergehend geminderten Berufsunfähigkeit nachweislich nicht mehr vorlag, entstünde zudem die Gefahr, dass das Rehabilitationsgeld mangels einer entscheidenden Änderung der Verhältnisse zur nicht mehr entziehbaren „Dauerleistung“ wird (10 ObS 50/15y, SSV-NF 29/48; 10 ObS 131/16m).
6. Die Ansicht der Vorinstanzen, aufgrund der vor dem Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz erfolgten Wiederherstellung der (zuvor vorübergehend geminderten) Arbeitsfähigkeit sei die Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes mit Ablauf des Monats März 2017 zu begrenzen, ist daher nicht korrekturbedürftig. Insbesondere liegt auch kein Fall einer bescheidmäßig unwiderruflich anerkannten Leistungsverpflichtung des Versicherungsträgers (§ 71 Abs 2 ASGG) vor, zumal im angefochtenen Bescheid keine Leistung zugesprochen worden war.
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