European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:010OBS00029.13G.0319.000
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Rekurskosten selbst zu tragen.
Begründung:
Im wiederaufzunehmenden Verfahren des Erstgerichts begehrte der Kläger mit seiner am 28. 10. 2008 eingebrachten Klage die Gewährung einer Versehrtenrente aus einer von der beklagten Partei anerkannten Berufskrankheit (Lärmschwerhörigkeit) und aus mehreren Dienst‑ bzw Arbeitsunfällen, nachdem die beklagte Partei mit Bescheid vom 7. 10. 2008 die Gewährung einer Versehrtenrente abgelehnt hatte.
Das Erstgericht holte ein HNO‑fachärztliches Gutachten vom 17. 12. 2008 und ein Gutachten aus dem Fachgebiet Orthopädie und Chirurgie ein, wobei sich insgesamt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 10 vH (jeweils 5 % aus beiden Fachgebieten) ergab.
In der Verhandlungstagsatzung vom 15. 4. 2009 zog der von einem Rechtsanwalt vertretene Kläger die Klage zurück.
Mit Bescheid vom 20. 1. 2012 lehnte die beklagte Partei den am 10. 11. 2011 eingelangten Antrag des Klägers auf Gewährung einer Versehrtenrente aufgrund der Folgen der Berufskrankheit ab. Gegenüber dem Vorbefund sei es zu keiner Verschlimmerung der Lärmschwerhörigkeit gekommen.
Mit der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrte der Kläger zu 30 Cgs 18/12g des Erstgerichts, ausgehend von einer behaupteten Zustandsverschlechterung, neuerlich die Gewährung einer Versehrtenrente.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.
In dem daraufhin vom Erstgericht eingeholten HNO‑fachärztlichen Gutachten vom 3. 5. 2012 samt Ergänzung vom 27. 6. 2012 ermittelte der Sachverständige Prim. Prof. Dr. E***** aus seinem Fachgebiet eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 20 vH. Er legte darüber hinaus dar, dass es zwar seit der Begutachtung durch Dr. G***** im Jahr 2008 nicht zu einer relevanten Verschlechterung des Hörvermögens und der Ohrgeräusche gekommen sei, jedoch schon damals eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im auch nun ermittelten Ausmaß bestanden hätte.
Ausgehend von diesem Gutachtensergebnis brachte der Kläger am 24. 7. 2012 eine Wiederaufnahmsklage ein. In dieser begehrt er die Wiederaufnahme des durch die Klagsrücknahme beendeten Verfahrens und den Widerruf seiner Klagsrücknahme zu bewilligen und im wiederaufgenommenen Rechtsstreit dem auf Gewährung einer Versehrtenrente „im Ausmaß von 25 %“ gerichteten Klagebegehren stattzugeben. Der Gutachter im wiederaufzunehmenden Verfahren habe lediglich die Einwirkung eines chronischen Schalltraumas, nicht aber die nach Aktenlage nachgewiesenen wiederholten Knalltraumen berücksichtigt und damit die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers falsch eingeschätzt. Auf Basis dieser falschen Einschätzung habe der Kläger die Klage zurückgezogen, weil ein rentenbegründendes Ausmaß der Minderung der Erwerbsfäigkeit nicht habe erreicht werden können. Somit sei erwiesen, dass die seinerzeit vorgenommene Beurteilung des Sachverständigen auf einer unzulänglichen Grundlage beruht habe. Daher sei der Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gegeben. Ein Widerruf von gesetzlich unwiderruflichen Prozesshandlungen sei bei Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes möglich.
Die beklagte Partei beantragte die Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage, hilfsweise die Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht bewilligte mit Urteil die begehrte Wiederaufnahme. Die rechtzeitig eingebrachte Klage stütze sich zutreffend auf den Wiederaufnahmsgrund gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO. Dass das Verfahren mit Klagsrückziehung geendet habe, hindere die Bewilligung der Wiederaufnahmsklage nicht, vertrete doch die Lehre den Standpunkt, dass ein Widerruf einer Klagsrücknahme wegen eines Wiederaufnahmsgrundes gemäß § 530 ZPO innerhalb der Frist des § 534 ZPO möglich sein müsse.
Aus Anlass der Berufung der beklagten Partei hob das Berufungsgericht das angefochtene Urteil und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Wiederaufnahmsklage zurück. Das Wiederaufnahms-begehren müsse schon daran scheitern, dass das Erstgericht nach der Klagsrücknahme gar keinen Beschluss mehr gefasst habe. Dieses Fehlen der Zulässigkeitsvoraussetzung für das Wiederaufnahmeverfahren führe zur Nichtigkeit des Verfahrens und der Entscheidung.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Beschluss richtet sich der unrichtig als „Revisionsrekurs“ bezeichnete Rekurs des Klägers.
Gegen die Zurückweisung einer Wiederaufnahmsklage durch das Berufungsgericht ist analog § 519 Abs 1 Z 1 ZPO der Rekurs jedenfalls zulässig (RIS‑Justiz RS0043863).
Das Fehlen einer Zulässigkeitsvoraussetzung für das Wiederaufnahmeverfahren führt zur Nichtigkeit des Verfahrens und der Entscheidung, sodass beide als nichtig aufzuheben sind und die Wiederaufnahmsklage zurückzuweisen ist (RIS‑Justiz RS0111400).
Eine Wiederaufnahmsklage setzt voraus, dass ein Verfahren durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist (§ 530 Abs 1 ZPO). Zutreffend ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass diese Voraussetzung fehlt, hat doch das Erstgericht über die Klagsrücknahme keinen Beschluss gefasst.
Der Kläger hat aber in der Wiederaufnahmsklage auch den Widerruf der Klagsrücknahme wegen des behaupteten Wiederaufnahmsgrundes erklärt. Im Fall eines Widerrufs einer den Rechtsstreit beendenden Klagsrücknahme ist ein Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens möglich (vgl 10 ObS 50/03f, SSV‑NF 17/37, wo in einem Fall, in dem in einer Sozialrechtssache die Klagsrücknahme wegen Irrtums widerrufen worden war, nicht nur die Möglichkeit des Widerrufs wegen Irrtums verneint wurde, sondern auch die Fortsetzung des anhängig gewesenen Verfahrens für nicht möglich beurteilt wurde, weil durch die Zurücknahme der Klage der durch die Klage außer Kraft getretene Bescheid nicht wieder in Kraft tritt und der Antrag des Versicherten soweit als zurückgezogen gilt, als der darüber ergangene Bescheid durch die Klage außer Kraft getreten ist (§ 72 Z 1 und Z 2 lit b ASGG), sodass der ursprüngliche Leistungsantrag im Fall einer Klagsrücknahme nach einem den Anspruch ablehnenden Bescheid nicht mehr die Grundlage einer neuen Entscheidung sein kann und es für die Fortsetzung des anhängig gewesenen Verfahrens an der Voraussetzung des § 67 Abs 1 Z 1 ASGG fehlt, dass ein Bescheid des Versicherungsträgers über den Anspruch vorliegt.
Über den Widerruf haben die Vorinstanzen aber nicht entschieden, sodass dieser nicht Gegenstand des Rekursverfahrens ist und die Frage der Möglichkeit des Widerrufs einer wirksamen Klagsrücknahme wegen eines Wiederaufnahmsklagegrundes gemäß § 530 ZPO innerhalb der Frist des § 534 ZPO (bejahend Fasching , Lehrbuch² Rz 764, 1.244; ders in Fasching/Konecny ² II/1 EinlRz 105; unentschieden Lovrek in Fasching/Konecny ² III § 237 ZPO Rz 25) nicht zu erörtern ist.
Dem Rekurs war daher nicht stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Die Entscheidung des Berufungsgerichts im Kostenpunkt ist mangels Erwähnung in § 519 ZPO jedenfalls unanfechtbar (RIS‑Justiz RS0075211). Die in § 528 ZPO zugrunde liegende Wertung gilt auch für Beschlüsse des Berufungsgerichts; demnach dürfen Kostenfragen überhaupt nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RIS‑Justiz RS0043889).
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