OGH 10ObS255/97s

OGH10ObS255/97s9.9.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dipl.Ing.Gustav Poinstingl und Brigitte Augustin (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hubert H*****, Landwirt, ***** vertreten durch Dr.Peter Wagner und andere Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr.Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25.April 1997, GZ 12 Rs 51/97z-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 17.Jänner 1997, GZ 18 Cgs 333/96y-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 4.058,88 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 676,48 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Sozialversicherungs- anstalt der Bauern vom 4.9.1996 wurde der Antrag vom 16.8.1996 auf vorzeitige Alterspension wegen Erwerbs- unfähigkeit nach § 122c BSVG abgelehnt, weil der am 14.8.1941 geborene Kläger am Stichtag 1.9.1996 das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

Der Kläger begehrt die abgelehnte Leistung mit der Begründung, er habe am 14.8.1996 das 55.Lebensjahr vollendet und damit das vor dem 1.9.1996 (Wirksamwerden der Erhöhung des Anfallsalters auf 57 Jahre durch das Strukturanpassungsgesetz 1996) erforderliche Anfallsalter erreicht.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Nach der am Stichtag 1.9.1996 maßgeblichen Rechtslage sei die Vollendung des 57.Lebensjahres An- spruchsvoraussetzung.

Unbestritten ist, daß der Kläger infolge gesundheitlicher Beeinträchtigungen schon zum Zeitpunkt der Vollendung seines 55. Lebensjahres außerstande war, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie jene als Landwirt erfordert, die er zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat und daß seine persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war. Auch das Vorliegen der sonstigen (sekundären) Leistungsvoraussetzungen nach § 122c Abs 1 BSVG steht außer Streit.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und trug der beklagten Partei auf, dem Kläger eine vorläufige Zahlung von monatlich S 11.500,- zu erbringen. Gemäß § 104 Abs 1 Z 1 BSVG gelte bei Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters der Versicherungsfall mit der Erreichung des Anfallsalters als eingetreten, für den Kläger daher mit Vollendung des 55.Lebensjahres am 14.8.1996. Die erst danach erfolgte Anhebung des Anfallsalters auf 57 Jahre sei für ihn nicht wirksam. Da er zum Stichtag 1.9.1996 auch alle sekundären Voraussetzungen erfülle, stehe ihm die eingeklagte Pension zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Durch die Berücksichtigung eines nach früherer Rechtslage bereits eingetretenen Versicherungsfalles bei Prüfung der Anspruchsvoraus- setzungen zum Stichtag werde auch nicht gegen den Grundsatz verstoßen, daß die Rechtslage zum Stichtag maßgeblich sei. Die Bedachtnahme auf ein Tatbestands- merkmal, dessen Verwirklichung nach alter Rechtslage eingetreten ist, widerspreche nicht dem Gebot der Entscheidung nach geltendem Recht.

Die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache ist nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin macht geltend, § 122c Abs 1 BSVG idF Art 36 Z 47 StrukturanpassungsG 1996, BGBl 201, mit einem Anfallsalter von nunmehr 57 Jahren für männliche Versicherte sei auch auf jene Versicherten anzuwenden, die das 55.Lebensjahr vor dem Inkrafttreten dieser Novellierung am 1.9.1996 vollendet haben. An dem nach § 104 Abs 2 BSVG maßgeblichen Stichtag 1.9.1996 habe der Kläger das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt. Das Klagebegehren sei daher nicht berechtigt.

Dem ist folgendes entgegenzuhalten:

Rechtliche Beurteilung

Zufolge Außerstreitstellung beider Parteien im Verfahren erster Instanz ist unstrittig, daß der Kläger für den Fall der Nichtanhebung des Anfallsalters von früher 55 auf nunmehr 57 Jahre mit 1.9.1996 alle Anspruchsvoraus- setzungen für die begehrte vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllen würde. Mit der 18. BSVG-Novelle BGBl 1993/337 wurde die vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit als neue Frühpension und neue Leistung der Pensionsversicherung aus dem Versicherungsfall des Alters, die es früher nicht gab, mit der Bestimmung des § 122c BSVGals Nachfolgebestimmung des § 124 Abs 2 BSVG (10 ObS 2005/96t) - eingeführt (Art I Z 62 leg cit; siehe hierzu auch RV 934 BlgNR 18.GP, 19 und 22 iVm RV 932 BlgNR 18.GP, 49 [zur 51. ASVG-Novelle]). Während durch das Strukturanpassungsgesetz BGBl 1995/297 (Art XXXI 13 und 14) zunächst nur die Wegfallsbestimmun- gen für den Fall der Weiterausübung der bisherigen selbständigen Erwerbstätigkeit verschärft wurden (RV 134 BlgNR 19.GP, 85), erfolgte durch Art 36 Z 47 und 48 des Strukturanpassungsgesetzes 1996 BGBl 201 eine Neufassung dahingehend, daß nunmehr die Anspruchsvoraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Art der Alterspension ua auch durch Anhebung des Pensionsanfallsalters bei Männern verschärft wurden, um - so der Wille des Gesetzgebers (RV 72 BlgNR 20.GP, 247) - "neben arbeitsmarktpolitischen Aktivi- täten einen späteren Pensionsantritt sicherzustellen". Gemäß Art 36 Z 81 leg cit (§ 255 Abs 1 Z 5 BSVG) trat § 122c BSVG in der zuletzt novellierten Fassung am 1.9.1996 in Kraft. Übergangsbestimmungen zu dieser Norm wurden vom Gesetzgeber nicht erlassen.

Der Oberste Gerichtshof hat in der bereits von den Vorinstanzen zitierten Entscheidung 10 ObS 15/94 (veröffentlicht in SSV-NF 8/34) Begriff und Inhalt des für das Zustehen von Sozialversicherungsleistungen maßgeblichen Versicherungsfalles (dort ging es allerdings um eine vorzeitige Alterspension nach § 253 b ASVG) als sog. "sinngebende primäre Leistungsvoraussetzung" einer ausführlichen (auch auf das einschlägige Fachschrifttum Bedacht nehmenden) Untersuchung unterzogen und hierzu - soweit für den vorliegenden Fall relevant - ausgeführt: Besonders deutlich wird die Bezogenheit auf den Versicherungsfall in der sog. Stichtagsregelung der Pensionsversicherung. Die Entscheidung über die Frage, ob eine Leistung der Pensionsversicherung gebührt, ist nach den Verhältnissen an dem durch den Versicherungsfall bzw -antrag ausgelösten Stichtag zu treffen (§ 104 Abs 2 BSVG [dort § 223 Abs 2 ASVG]). Allerdings wird lediglich das Vorliegen der sog. sekundären Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt geprüft. Zwar sieht das Gesetz vor, daß bei bestimmten Leistungen der Stichtag erst durch die Antragstellung fixiert wird, sofern der Antrag nach Eintritt des Versicherungsfalles gestellt wird, am Vorrang der primären Leistungsvoraussetzungen ändert sich dadurch jedoch nichts. Ohne Vorliegen eines Versicherungsfalles kann auch nie ein Stichtag ermittelt werden. Formal gesehen stellt erst der durch den Versicherungsfall ausgelöste Stichtag die konkrete Verknüpfung der sekundären Leistungsvoraussetzungen mit einer bestimmten Leistung her. Es genügt nicht, daß die sekundären Voraussetzungen zu irgendeinem beliebigen Zeitpunkt vorliegen, sie müssen vielmehr an einem ganz bestimmten Tag gegeben sein, der durch die primären Voraussetzungen bestimmt wird (Schrammel in Tomandl, SV-System 7.ErgLfg 142).

Beim Versicherungsfall der vorzeitigen Alters- pension wegen Erwerbsunfähigkeit handelt es sich um einen "zusammengesetzten" Versicherungsfall. Das BSVG spricht zwar, ebenso wie das ASVG, von den Versicherungsfällen des Alters, unterläßt es aber, diese Versicherungsfälle im einzelnen zur Unterscheidung mit Bezeichnungen zu versehen. Besondere Bezeichnungen haben nur die aus diesen Versicherungsfällen des Alters resultierenden Leistungen erhalten (vgl dazu Teschner in Tomandl, SV-System 9.ErgLfg 361 ff). Zum Erfordernis der Erreichung des Anfallsalters tritt im Fall des § 122c BSVG die Erwerbsunfähigkeit als weitere Anspruchsvoraussetzung. In einem solchen Fall müssen beide Voraussetzungen als primäre Leistungsvoraussetzungen gesehen werden. Dieser Ver- sicherungsfall ist danach - in teleologischer Reduktion des § 104 Abs 1 BSVG, wonach der Versicherungsfall bei Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters mit der Erreichung des Anfallsalters als eingetreten gilt - nur dann eingetreten, wenn sowohl das erforderliche Alter erreicht ist als auch die Erwerbsunfähigkeit vorliegt (idS auch Schrammel/Tomandl in Tomandl, SV-System 7. ErgLfg 141 FN 17; ähnlich Teschner aaO; aA Jabornegg, DRdA 1982, 29 f).

Daraus folgt, daß nach der damaligen Gesetzeslage des § 122c Abs 1 BSVG idF vor dem Struktur- anpassungsgesetz 1996 beim Kläger der Versicherungsfall der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit mit Vollendung des 55.Lebensjahres am 14.8.1996, also vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung, eintrat. Der Versicherungsfall hat nach den bisherigen Ausführungen mit dem Stichtag nur insofern zu tun, als er ihn im Hinblick auf den Antrag vom 16.8.1996 auslöste. Da er nicht auf den Monatsersten fiel, war Stichtag der folgende Monatserste, also der 1.9.1996, mit dem die geänderte Bestimmungen des § 122c Abs 1 BSVG in Kraft trat. Mögen auch alle sonstigen auf den Stichtag ausgerichteten sekundären Anspruchs- voraussetzungen nach der zwingenden neuen Rechtslage zu beurteilen sein, so konnte sich hier jedoch an dem bereits vor ihrem Inkrafttreten eingetretenen Versicherungsfall nichts ändern, weil keine Übergangsbestimmungen ihre Einwirkung auf den schon eingetretenen Versicherungsfall regeln. Die neue Regelung konnte daher nur Versicherungsfälle betreffen, die frühestens am 1.9.1996 eingetreten sind und der vollen Einwirkung der durch das StrukturanpassungsG 1996 geschaffenen neuen Rechtslage unterstanden (ebenso 10 ObS 251/97 b und 10 ObS 298/97i).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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