OGH 10ObS250/98g

OGH10ObS250/98g18.8.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und HonProf.Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Fritz Miklau (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Scharinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Stadtgemeinde Salzburg, Stadtjugendamt-Magistratsabteilung 3, 5020 Salzburg, St.Julien-Straße 20, vertreten durch Dr.Buchner und Mag.Ingeborg Haller, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen, 1061 Wien, Linke Wienzeile 48-52, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Gewährung eines Kostenzuschusses, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8.April 1998, GZ 11 Rs 11/98m-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 17.September 1997, GZ 18 Cgs 81/97p-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die beklagte Partei ist Versicherungsträger ihres Versicherungsnehmers Gerhard M*****, welcher der Vater seines minderjährigen Sohnes Christian M*****, geboren am 13.10.1983, ist. Dieser Minderjährige weist seit Kindheit eine kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen auf. Es handelt sich hiebei um einen Krankheitszustand im Sinne einer Entwicklungsstörung und entspricht diese aufgrund ihrer Ausprägung gemäß der internationalen Klassifikation einer psychischen Störung mit Krankheitswert. Durch die bereits durchgeführte und auch weiterhin durchzuführende Therapie ist es zu einer Milderung derselben gekommen; mit einer Beseitigung der derzeit vorliegenden gestörten Verhaltensweisen kann gerechnet werden. Aufgrund der schweren Störungen ist davon auszugehen, daß eine psychotherapeutische Behandlung zumindest bis zur Vollendung der Volljährigkeit erfolgen sollte, sofern nicht bereits vorher ein entsprechender Therapieerfolg eintritt. Neben dem Erfordernis einer Verhaltenstherapie ist beim Minderjährigen auch eine psychotherapeutische Stützung im emotionalen Bereich erforderlich. Würde die Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen nicht behandelt werden, würde sich daraus eine Dissozialität (nach der alten Nomenklatur Psychopathie genannt) ergeben. Ein Psychopath ist ein völlig emotionsloser Mensch, der sich nicht an gesellschaftliche Normen halten, in die Kriminalität abgleiten und keine engen Beziehungen eingehen kann.

Beim Krankheitsbild der kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen handelt es sich nicht um ein körperliches Krankheitsbild, sondern um eine seelische Erkrankung im weiteren Sinne. Dies bedeutet, daß Defizite im seelisch-emotionalen Bereich vorliegen, aufgrund welcher es zu den beschriebenen sozialen Auffälligkeiten kommt. Diese seelischen psychischen bzw psychiatrischen Defizite sind die Krankheit; die Psychotherapie hat die Aufgabe, diese fehlenden Mechanismen (Defizite) zu fördern, um so die sozialen Auffälligkeiten zu verhindern.

Aufgrund dieser Umstände wurde hinsichtlich des Minderjährigen gemäß § 41 der Salzburger Kinder- und Jugendwohlfahrtsordnung (JWO) 1992 LGBl 83 eine freiwillige Erziehungshilfe veranlaßt, im Rahmen derer es zu psychotherapeutischen Betreuungsleistungen für den Genannten kam. Die Therapiekosten hiefür wurden von der klagenden Partei aus Mitteln der Jugendwohlfahrt bevorschußt. Der Vater des Minderjährigen trat seine Ansprüche als Versicherter der beklagten Partei aufgrund dieser Bevorschussung gegenüber der Klägerin mit Abtretungserklärung vom 27.1.1997 ab.

Mit Bescheid vom 20.2.1997 lehnte die beklagte Partei gegenüber der Klägerin deren Antrag auf Gewährung eines Kostenzuschusses für die aus Mitteln der Jugendwohlfahrt bevorschußten psychotherapeutischen Behandlungen ab 6.3.1996 für Christian M***** ab.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage stellte die Klägerin das später modifizierte Begehren, daß die beklagte Partei schuldig erkannt werde, der Klägerin einen Kostenzuschuß für die aus Mitteln der Jugendwohlfahrt bevorschußten psychotherapeutischen Behandlungen ab 6.3.1996 für den mj. Christian M***** zu gewähren und die Prozeßkosten zu ersetzen. Die vom Stadtjugendamt Salzburg bisher getragenen Kosten von S 15.504 seien im Rahmen der Erziehungshilfe des Landes samt erstelltem Hilfeplan, der eine umfassende psychologische Betreuung des Minderjährigen mit ärztlichen Verschreibungen und Begutachtungen erforderlich gemacht habe, aufgelaufen und daher von der beklagten Partei als Pflichtleistung gemäß § 135 Abs 1 Z 2 ASVG zu tragen.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren mit der - zusammengefaßten - Begründung, daß sie nur für die Kosten einer psychotherapeutischen Krankenbehandlung im Sinne des § 120 Abs 1 Z 1 iVm § 133 Abs 2 ASVG, nicht aber für eine psychosoziale Behandlung einer im Sozialverhalten gestörten Person aufzukommen habe.

Das Erstgericht erkannte im Sinne des modifizierten Klagebegehrens. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, daß die gesetzliche Krankenversicherung auch die Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung, also für die Behandlung von Störungen mit Krankheitswert im Sinne des § 120 Abs 1 Z 1 iVm § 133 Abs 2 ASVG zu übernehmen habe, weil im vorliegenden Fall eine Störung mit Krankheitswert vorliege, die durch psychotherapeutische Krankenbehandlungen gemildert, wenn nicht sogar beseitigt werden könne.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei erhobenen Berufung nicht Folge und bestätigte das angefochtene Urteil mit der Maßgabe, daß die beklagte Partei schuldig erkannt wurde, der Klägerin einen Kostenzuschuß im satzungsgemäßen Ausmaß für die aus den Mitteln der Jugendwohlfahrt bevorschußten psychotherapeutischen Behandlungen des mj. Christian M***** zu gewähren und die Prozeßkosten zu ersetzen. Weiters wurde ausgesprochen, daß die ordentliche Revision gemäß § 46 Abs 1 ASGG zulässig ist.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und bejahte ebenso wie das Erstgericht das Vorliegen des Versicherungsfalles der Krankheit. Gemäß §§ 131 b iVm 131 a ASVG habe der Versicherungsträger dem Versicherten daher die in der Satzung festgesetzten Kostenzuschüsse zu leisten, wobei das Klagebegehren allerdings in Form einer Maßgabebestätigung dem Ausmaß nach auf den satzungsmäßigen Kostenzuschuß zu präzisieren gewesen sei. Die Revisionszulassung wurde mit dem Fehlen oberstgerichtlicher Judikatur zu einem vergleichbaren Sachverhalt begründet.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, das angefochtene Berufungsurteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Die klagende Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie primär die Zurückweisung der Revision wegen Unzulässigkeit mangels Vorliegens einer revisiblen Rechtsfrage beantragt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem Standpunkt der klagenden Partei aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig und im Sinne des jedem Abänderungsantrag immanenten Aufhebungsantrages (MGA ZPO14 E 12 zu § 467) auch berechtigt.

Die beklagte Partei vertritt in ihrem Rechtsmittel den auch in den Vorinstanzen bereits vertretenen Standpunkt, daß es sich im gegenständlichen Fall nicht um einen solchen von Krankheit samt Krankenbehandlung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne, sondern um eine bloße "Milieuproblematik" mit dem Schwerpunkt der Hintanhaltung von Kriminalität eines Minderjährigen handle, welche nicht der Leistungszuständigkeit der sozialen Krankenversicherung zugeordnet werden könne.

Dabei übergeht die Revisionswerberin jedoch die als Ergebnis der Beweiswürdigung der Vorinstanzen getroffenen Tatsachenfeststellungen derselben, wonach es sich bei den schweren Entwicklungsdefiziten und Verhaltensstörungen des mj. Christian M***** um seelische Erkrankungen mit Krankheitswert, also Krankheitszustände handelt, deren Bekämpfung psychotherapeutische Behandlungen erforderte und auch weiterhin (vorerst jedenfalls bis zu dessen Volljährigkeit) erfordern wird. Soweit die beklagte Partei daher diese Feststellungsergebnisse nach wie vor negiert, bringt sie ihre Rechtsrüge nicht zur gesetzmäßigen Darstellung. Von dieser Feststellungslage hat jedoch der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsachen-, sondern ausschließlich Rechtsinstanz ist, auszugehen.

Dies beachtend, hat aber folgendes zu gelten:

Nach § 116 Abs 1 Z 2 ASVG trifft die gesetzliche Krankenversicherung ua Vorsorge für den Versicherungsfall der Krankheit; aus diesem Versicherungsfall nennt § 117 Z 2 ASVG als zu erbringende Leistungen der Krankenversicherung ua die Krankenbehandlung, wobei der Versicherungsfall der Krankheit nach § 120 Abs 1 Z 1 ASVG mit dem Beginn derselben, di des regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes, der die Krankenbehandlung notwendig macht, als eingetreten gilt. Die Krankenbehandlung umfaßt dann gemäß § 133 Abs 1 ASVG ärztliche Hilfe, Heilmittel und Heilbehelfe. Nach Abs 2 leg cit muß sie ausreichend und zweckmäßig sein, darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (vgl hiezu jüngst SSV-NF 10/95 = SZ 69/209); durch die Krankenbehandlung sollen die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wieder hergestellt, gefestigt oder gebessert werden; die Leistungen der Krankenversicherung werden, soweit nichts anderes bestimmt ist, als Sachleistung erbracht. Durch die am 1.1.1992 in Kraft getretene 50.Novelle zum ASVG wurde schließlich dessen § 135 Abs 1 zweiter Satz (durch Art 2 Z 16) dahingehend neu gefaßt, daß nunmehr im Rahmen der Krankenbehandlung (§ 133 Abs 2 ASVG) der ärztlichen Hilfe gleichgestellt auch "eine psychotherapeutische Behandlung durch Personen, die gemäß § 11 des Psychotherapiegesetzes BGBl 1990/361 zur selbständigen Ausübung der Psychotherapie berechtigt sind", ist (Z 3); dies allerdings nur, wenn nachweislich vor oder nach der ersten, jedenfalls vor der zweiten psychotherapeutischen Behandlung innerhalb desselben Abrechnungszeitraumes eine ärztliche Untersuchung stattgefunden hat.

Nach § 131 b ASVG (ebenfalls in der Fassung der 50.Novelle [Art 2 Z 15]) betreffend Kostenzuschüsse bei Fehlen vertraglicher Regelungen gilt dann, wenn andere Vertragspartner infolge Fehlens von Verträgen nicht zur Verfügung stehen, § 131 a ASVG mit der Maßgabe, daß in jenen Fällen, in denen noch keine Verträge für den Bereich einer Berufsgruppe bestehen, der Versicherungsträger den Versicherten die in der Satzung festgesetzten Kostenzuschüsse zu leisten hat. Der Versicherungsträger hat das Ausmaß dieser Zuschüsse unter Bedachtnahme auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit und das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten festzusetzen. Damit trifft der neue § 131 b ASVG Vorsorge für die Fälle, in denen für den Bereich einer Berufsgruppe (zB Psychotherapeuten) noch keine Verträge bestehen und keine derartigen Verträge zustande kommen. Die Neuregeung eröffnet der Satzung die Möglichkeit, Kostenzuschüsse für den Versicherten unter Bedachtnahme auf dessen wirtschaftliches Bedürfnis bzw auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Versicherungsträgers festzusetzen (RV 1256 BlgNR 17.GP, 30). Hinsichtlich der Höhe des Kostenzuschusses hat der Gesetzgeber damit keine Festlegung getroffen, sondern es der Verantwortung der Versicherungsträger überlassen, die entsprechende Höhe des Kostenzuschusses satzungsmäßig festzulegen (SSV-NF 10/95 = SZ 69/209).

Ausgehend von dieser - so auch bereits im wesentlichen von den Vorinstanzen zur Anwendung gebrachten - Rechtslage ist (unter Beachtung des nach dem Vorgesagten für den Obersten Gerichtshof maßgeblichen Sachverhaltes) davon auszugehen, daß die beim mj. Christian M***** vorgenommenen Therapien (nach den Behauptungen in der Klage durch einen mit den "vorbezeichneten gesetzlichen Befugnissen" ausgestatteten "klinischen Psychologen und Psychotherapeuten"; Feststellungen hiezu fehlen allerdings im Ersturteil) grundsätzlich als Maßnahmen der Krankenbehandlung zu qualifizieren sind, weil nach diesen maßgeblichen Feststellungen beim genannten Minderjährigen der Versicherungsfall der Krankheit im Sinne eines regelwidrigen Geisteszustandes (§ 120 Abs 1 Z 1 ASVG) vorlag (vorliegt). Daß dabei diese Leistungen auf einer Maßnahme nach der Salzburger JWO 1992 (hier konkret § 41 derselben) beruhten, ist hiefür deshalb nicht weiter entscheidungsrelevant, weil mit der Klage nicht die Kosten für die Erziehungshilfe an sich begehrt werden, sondern der Ersatz für im Rahmen der Erziehungshilfe erfolgte medizinische Therapien. Außerdem beachten die Revisionsausführungen, die klagende Partei versuche Kosten der ihr obliegenden und von ihr zu finanzierenden Erziehungshilfe unzulässigerweise auf die gesetzliche Krankenversicherung zu verlagern, nicht den geltend gemachten Anspruchsgrund: Die klagende Partei macht mit der Klage nämlich nicht eine eigene (allenfalls aus Erziehungshilfemaßnahmen abgeleitete) Forderung geltend, sondern (bloß) den zufolge Zession (§ 98 Abs 1 Z 1 ASVG) auf sie übergegangenen Anspruch des Versicherten für die Krankenbehandlung seines Sohnes. Auch wenn die Wurzel des beim Behandelten vorliegenden Zustandes in einer Milieuproblematik liegt, ändert dies nichts daran, daß nach den Feststellungen im Zeitpunkt, in dem die strittigen Behandlungen durchgeführt wurden (nach dem modifizierten Klagebegehren, ohne daß freilich hiezu konkrete Feststellungen getroffen wurden, soll dies ab dem 6.3.1996 der Fall gewesen sein), eine seelische Störung mit Krankheitswert vorlag, welche die psychotherapeutische Behandlung notwendig machte. Als solche definiert § 1 Abs 1 des am 1.1.1991 in Kraft getretenen Psychotherapiegesetzes BGBl 1990/361 die "umfassende, bewußte und geplante Behandlung von psychosozial oder auch psychosomatisch bedingten Verhaltensstörungen und Leidenszuständen mit wissenschaftlich-psychotherapeutischen Methoden in einer Interaktion zwischen einem oder mehreren Behandelten und einem oder mehreren Psychotherapeuten mit dem Ziel, bestehende Symptome zu mildern oder zu beseitigen, gestörte Verhaltensweisen und Einstellungen zu ändern und die Reifung, Entwicklung und Gesundheit des Behandelten zu fördern." Wenn - wie ausgeführt nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen - es sich um Störungen mit Krankheitswert im Sinne des § 120 Abs 1 Z 1 iVm § 133 Abs 2 ASVG handelt, dann hat die soziale Krankenversicherung die Kosten für deren Behandlung bzw Diagnostik als Maßnahme der Krankenbehandlung (§ 133 Abs 2 ASVG) nach dem durch die 50.Novelle zum ASVG BGBl 1991/676 neu eingeführten § 135 Abs 1 zweiter Satz Z 3 ASVG (freilich mit den in dieser Gesetzesstelle näher umschriebenen Einschränkungen) zu übernehmen (RV 284 BlgNR 18.GP, 29 f).

Die beklagte Partei argumentiert nun im weiteren damit, daß bei der Anwendung des sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriffes auf jene Wertungen abzustellen sei, "die den sozialpolitischen Wurzeln der sozialen Krankenversicherung entsprechen und auch punktuellen Niederschlag im Leistungsrecht gefunden haben"; bei der Schaffung der sozialen Krankenversicherung sei "der enge Bezug zur Erwerbstätigkeit im Vordergrund gestanden". Daraus ergebe sich, daß eine "psychotherapeutische Stützung mit dem Zweck der Milderung der Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen nicht als versichertes Risiko bewertet werden könne". Hiezu ist folgendes zu erwidern:

Im bereits mehrfach zitierten § 133 Abs 2 ASVG umschreibt der Gesetzgeber die Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung; danach soll durch diese die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wieder hergestellt, gefestigt oder gebessert werden. Mit dieser Regelung steht somit die in den Revisionsausführungen zum Ausdruck kommende Ansicht, daß praktisch nur die Erwerbstätigkeit beeinträchtigende gesundheitliche Störungen vom Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung umfaßt seien, in Widerspruch. Eine derartige (enge) Auslegung des Krankheitsbegriffes ist verfehlt und mit der heute allgemein anerkannten und vom Gesetzgeber in der zitierten Gesetzesstelle auch eindeutig umschriebenen Ansicht über die (umfassende) Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung unvereinbar; dies ganz abgesehen davon, daß die Beseitigung von bei einem Jugendlichen vorliegenden psychischen Störungen mit Krankheitswert letztlich ja auch die Möglichkeit seiner späteren Eingliederung in das Berufsleben ermöglicht und damit auch positive Auswirkungen auf seine als Schutzgut der Krankenbehandlung nach § 133 Abs 2 ASVG genannte Arbeitsfähigkeit hat, deren Erhaltung oder Besserung die beklagte Partei selbst in den Mittelpunkt der Aufgaben der Krankenversicherung zu stellen versucht. In diesem Zusammenhang ist auch auf den in der Regierungsvorlage zum Psychotherapiegesetz (1256 BlgNR 17.GP, 12) vom Gesetzgeber selbst als anerkennens- und erstrebenswert wiedergegebenen Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hinzuweisen, der den Menschen in seiner gesamten Persönlichkeit und Lebenssituation berücksichtigt, also ebenfalls die vom österreichischen Gesetzgeber in § 133 Abs 2 ASVG genannten Faktoren Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse sorgen zu können, im körperlichen wie auch psychosozialen Bereich einschließt und umfassend betont.

Nicht ganz verständlich erscheint es auch, wenn sich die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang darauf beruft, daß der erhobene Anspruch schon deshalb nicht zu Recht bestehe, weil die beim behandelten Minderjährigen aufgetretenen Störungen keine somatischen Auswirkungen haben, sondern sich vielmehr nur auf seinen "emotionalen Bereich" beschränken. Die Meinung, daß nur körperliche Leidenszustände (somatisch = körperlich: Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch255, 1561) vom Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung umfaßt seien, kann nämlich schon im Hinblick auf die durch die 50. ASVG-Novelle eingeführte Bestimmung des § 135 Abs 1 Z 3 ASVG nicht ernstlich vertreten werden, haben doch psychotherapeutische Behandlungen im seelischen Bereich liegende Leidenszustände zum Gegenstand (vgl hiezu nochmals die bereits wörtlich wiedergegebene Berufsumschreibung im § 1 Abs 1 Psychotherapie G).

Unzutreffend ist schließlich aber auch die Auffassung der beklagten Partei, daß der Anspruch nicht zu Recht bestehe, weil es nicht ihre (der Krankenversicherung) Aufgabe sein könne, Kriminalität hintanzuhalten. Dabei wird nämlich übersehen, daß die Gefahr des Abgleitens in die Kriminalität gerade in der bestehenden psychischen Störung begründet ist. Die Behandlung dient nicht unmittelbar der Hintanhaltung von kriminellen Handlungen, sondern es stehen die psychischen Störungen mit Krankheitswert durch psychotherapeutische Behandlung im Mittelpunkt. In diesem Umfang besteht aber die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund der Bestimmung des § 135 Abs 1 Z 3 ASVG.

Trotzdem ist die vorliegende Sozialrechtssache damit noch nicht entscheidungsreif im Sinne einer Bestätigung des angefochtenen Berufungsurteiles. Das Klagebegehren besteht zwar insoweit, als eine Verpflichtung der beklagten Partei als Krankenversicherer aus dem Versicherungsfall der Krankheit zu bejahen ist, dem Grunde nach zu Recht, allerdings ist das Klagebegehren zur Höhe auch in seiner modifizierten Fassung zu unbestimmt. Aus der Bestimmung des § 82 ASGG geht wohl hervor, daß in Sozialrechtssachen ein von einem Versicherten erhobenes Klagebegehren auch dann hinreichend bestimmt ist, wenn es auf Leistungen "im gesetzlichen Ausmaß" gerichtet ist; die Anführung eines bestimmten Geldbetrages bei einem auf Leistung gerichteten Begehren ist daher nicht erforderlich (SSV-NF 7/73 uam). Insoweit hat der Oberste Gerichtshof in dieser auch vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung ein auf Leistungszuschuß "im gesetz- und satzungs- bzw richtlinienmäßigen Umfang" gerichtetes Leistungsbegehren nicht beanstandet. Dies enthebt jedoch das Gericht nicht der Verpflichtung, ein derartiges Begehren in einen ziffernmäßig bestimmten und damit erst exekutionsfähigen (§ 1 Z 11 EO) Titel zu kleiden, mit anderen Worten entsprechend den einen Zuspruch rechtfertigenden Feststellungen ziffernmäßig zu präzisieren. Dies wurde aber weder vom Erstgericht noch vom Berufungsgericht im Rahmen seiner vorgenommenen Modifizierung beachtet; die ziffernmäßige Höhe wurde auch vom Erstgericht mit den Parteien, speziell der klagenden Partei anläßlich ihrer eigenen Modifizierung des Klagebegehrens in der letzten Streitverhandlung, nicht erörtert. Die klagende Partei hatte auch ihren zunächst nur pauschal begehrten Ersatzbetrag von S 15.504 für die Leistungen des klinischen Psychologen und Psychotherapeuten Dr.O***** in Salzburg nicht aufgeschlüsselt, sodaß nicht einmal feststeht, seit wann und wieviele Sitzungen dieser mit dem Minderjährigen bis Schluß der Verhandlung erster Instanz vorgenommen hatte und welche therapeutischen Verfahren (Leistungen) konkret angewendet (erbracht) worden sind. Gerade bei therapeutischen Verfahren ist aber nach der Zweckmäßigkeitsregel des § 133 Abs 2 ASVG im Falle der Wirkungsgleichheit die jeweils billigere Variante zu wählen (SSV-NF 9/B 8).

All dies wird daher nachzuholen sein, denn nur so läßt sich der Umfang der von der beklagten Partei tatsächlich geschuldeten Leistung (§ 7 Abs 1 EO) verläßlich feststellen. Hiebei ist auch zu beachten, daß nach § 135 Abs 2 Z 3 letzter Halbsatz ASVG für die (kostenmäßige) Gleichstellung psychotherapeutischer Behandlungen gegenüber ärztlicher Hilfe im Rahmen der Krankenbehandlung statuiert ist, daß in jeder Abrechnungsperiode eine ärztliche Untersuchung zu erfolgen hat; weder aus dem Akt (geschweige denn aus den vom Erstgericht getroffenen unvollständigen Feststellungen) ergibt sich, für welchen Zeitraum die Kostenerstattung (der Kostenzuschuß) begehrt wird, doch läßt sich aus der Behauptung, daß die erste Behandlung am 6.3.1996 erfolgte und der Antrag auf Kostenzuschuß vom 30.10.1996 (Beilage 1) stammt, ableiten, daß offenbar zumindest zwei Abrechnungsperioden betroffen sind (wobei aus eben dieser Beilage 1 hervorgeht, daß bis 26.6.1996 S 11.424 aufliefen, trotzdem später jedoch S 15.504 begehrt wurden). Das Erfordernis einer entsprechenden ärztlichen Untersuchung im Hinblick auf § 135 Abs 1 Z 3 ASVG wird als eine von Amts wegen zu prüfende Anspruchsvoraussetzung dabei vom Erstgericht im weiteren Rechtsgang gleichfalls zu erheben und festzustellen sein.

Die Sozialrechtssache ist daher aus allen diesen Erwägungen noch nicht entscheidungsreif. Das Erstgericht wird die für die Höhe der Leistung erforderlichen und wesentlichen Voraussetzungen der beklagten Partei) zu erörtern und sodann in exakter Form festzustellen haben. Hiebei wird auch der Nachweis einer Zahlung dieser Kosten durch das nunmehr anspruchsberechtigte Land zu erbringen sein (SSV-NF 10/48, 10/95), zumal zwar die (ursprüngliche) Höhe der Klagsforderung von der beklagten Partei nie dezidiert bestritten, aber auch nie (insbesondere auch nicht deren Begleichung durch die Klägerin in der verfahrensgegenständlichen Höhe vor Modifizierung des Klagebegehrens) außer Streit gestellt worden ist. Daß nach § 131 b ASVG im Falle des Fehlens von Verträgen für den Bereich einer Berufsgruppe (hier mit Psychotherapeuten) der Versicherungsträger einem Versicherten (bzw hier dessen Zessionar) die in der Satzung festgesetzten Kostenzuschüsse zu leisten hat, wurde bereits vom Berufungsgericht an sich zutreffend hervorgehoben. Da derzeit - nicht bloß bezogen auf die hier beklagte Partei - noch keine (Gesamt-)Verträge für den Bereich der Berufsgruppe der Psychotherapeuten bestehen, hat die beklagte Partei - worauf auch das modifizierte Klagebegehren zutreffend Bezug nimmt - Kostenzuschüsse in dem in der Satzung festgesetzten Ausmaß zu leisten. Diesbezüglich gilt derzeit § 20 der Satzung 1996 der Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen in Verbindung mit Anhang 1 Z 1 zur Satzung, kundgemacht in SozSi 1996, 270 ff (Amtliche Verlautbarung Nr 43/1996). Da allerdings diese Satzung gemäß § 31 Abs 9 ASVG iVm § 45 der Satzung erst mit 1.4.1996 in Kraft trat, ist gemäß § 45 Abs 2 der (neuen) Satzung die aufgehobene Satzung 1993 SozSi 1993, 719 (Amtliche Verlautbarung Nr 101/1993) in der Fassung der ersten Änderung der Satzung 1993 SozSi 1994, 327 (Amtliche Verlautbarung Nr 43/1994) auf eingetretene Versicherungsfälle, die vor ihrer Aufhebung verwirklicht wurden, weiterhin anzuwenden. Dies ist hier deshalb zu beachten, weil nach der Aktenlage die erste verfahrensgegenständliche psychotherapeutische Behandlung am 6.3.1996 und damit knapp vor Inkrafttreten der aktuellen Satzung 1996 der beklagten Partei erfolgte. Abschließend verbleibt noch darauf hinzuweisen, daß eine Entscheidung im Sinne des § 89 Abs 2 ASGG (Auferlegung einer vorläufigen Zahlung bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides) hier deshalb nicht möglich ist, weil der begehrte Kostenzuschuß pro Behandlung in der Satzung mit einem Fixbetrag bestimmt ist und der Gesamtbetrag ausgehend von der Zahl der Behandlungen daher unmittelbar zu ermitteln ist (vgl 10 ObS 127/97t, 10 ObS 108/98z).

Da es zur Abklärung aller dieser Punkte einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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