OGH 10ObS23/17f

OGH10ObS23/17f25.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Schramm und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Hannes Schneller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch den Sachwalter Dr. Herbert Kaspar, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ausgleichszulage, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. November 2016, GZ 9 Rs 52/16 g‑11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 15. Dezember 2015, GZ 28 Cgs 122/15h‑7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E118066

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger bezieht seit 1. 8. 2005 eine Invaliditätspension. Deren Höhe betrug von 1. 5. 2010 bis 31. 12. 2010 monatlich 690,09 EUR, und von 1. 1. 2011 bis 30. 9. 2011 monatlich 698,37 EUR. Strittig ist im Verfahren, ob dem Kläger für den Zeitraum von 1. 5. 2010 bis 30. 9. 2011 zu dieser Invaliditätspension eine Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren ist.

Für den Kläger ist seit 2005 ein Sachwalter für finanzielle Angelegenheiten bestellt. Aufgrund seiner Erkrankung fehlt dem Kläger die Kritikfähigkeit in Bezug auf finanzielle Angelegenheiten.

Von Mai 2010 bis September 2011 ging der Kläger ohne Kenntnis des Sachwalters immer wieder Dienstverhältnisse ein. Seinen jeweiligen Dienstgebern teilte der Kläger nicht mit, dass er einen Sachwalter hat. Der Kläger erhielt aus diesen Dienstverhältnissen von Mai 2010 bis September 2011 monatlich Entgelte ausgezahlt, deren Höhe gemeinsam mit der Invaliditätspension den für den Kläger zur Anwendung gelangenden Richtsatz des § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG unstrittig überstiegen. Die im genannten Zeitraum vom Kläger eingegangenen Dienstverhältnisse wurden pflegschaftsgerichtlich nicht genehmigt.

Der Sachwalter des Klägers wusste weder, welche Dienstverträge der Kläger abschloss, noch, welches Entgelt der Kläger daraus bezog und was er damit machte. Der Sachwalter hatte auch keinen Zugriff auf diese Entgelte.

Der Kläger hatte über die Invaliditätspension und die aus den von ihm abgeschlossenen Dienstverhältnissen erzielten Entgelte hinaus kein Einkommen. Er lebte bei seinen Eltern, die dafür vom Sachwalter ein Kostgeld erhielten.

Die aus den Dienstverhältnissen erzielten Einkünfte gab der Kläger im Wesentlichen zum Vergnügen aus, zB für Discobesuche, zum Ausgehen und für einen Urlaub in der Türkei. Abgesehen davon zahlte der Kläger von diesen Einkünften zu nicht feststehenden Zeitpunkten einmal 400 EUR an seine Eltern „für die Miete“ und 500 EUR für ein Fernsehgerät.

Mit Bescheid vom 19.5. 2015 lehnte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Ausgleichszulage für die Zeit von 1. 5. 2010 bis 30. 9. 2011 ab.

Der Kläger begehrt mit seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Klage die Zuerkennung einer Ausgleichszulage für den genannten Zeitraum. Ein einrechenbares Erwerbseinkommen aus eigener, unselbständiger Tätigkeit liege nicht vor, weil der Kläger geschäftsunfähig gewesen sei.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass es nach dem im Ausgleichszulagenrecht geltenden Nettoeinkommensprinzip ohne Rücksicht auf den zugrundeliegenden Titel auf die dem Pensionsbezieher tatsächlich zugeflossenen Einkünfte ankomme. Der Frage, ob die vom Kläger eingegangenen Dienstverhältnisse rechtswirksam vereinbart worden seien, komme daher keine Erheblichkeit zu.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Im Ausgleichszulagenrecht komme es auf das Nettoeinkommen an, das dem Pensionsberechtigten real zur Verfügung stehe, nicht aber auf seine gesetzlichen oder vertraglichen Ansprüche. Dem Kläger seien aus den von ihm abgeschlossenen Dienstverhältnissen die festgestellten Einkünfte tatsächlich zugeflossen. Daran ändere die fehlende Geschäftsfähigkeit des Klägers nichts. Tatsächlich dem Versicherten zugeflossene und von ihm verbrauchte Einkünfte seien nicht von der Versichertengemeinschaft bis zur Grenze des Ausgleichszulagenrichtsatzes noch einmal zu gewähren.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts. Ergänzend führte es aus, dass die aus öffentlichen Mitteln finanzierte Ausgleichszulage aufgrund ihres subsidiären Charakters nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht dazu diene, nach bürgerlichem Recht verpflichtete und finanziell leistungsfähige Dritte zu entlasten. Daher müssten die unwirksam an den Kläger geleisteten Lohnzahlungen den Anspruch auf Ausgleichszulage mindern bzw beseitigen und es dürfe nicht umgekehrt der Anspruch auf Ausgleichszulage Dritte von ihrer Verpflichtung zur Befriedigung der Ansprüche des Klägers aus erbrachten Leistungen befreien. § 1424 Satz 2 ABGB finde auch analoge Anwendung bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus der Rückabwicklung von Rechtsgeschäften, die wegen Geschäftsunfähigkeit eines Teils nicht wirksam zustandegekommen seien. Im Fall der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung der Dienstver-hältnisse habe der Kläger einen Anspruch auf einen gemäß § 1431 ABGB dem verschafften Nutzen angemessenen Lohn. Damit lasse sich die vom Kläger behauptete wirtschaftliche Lücke schließen, die dadurch entstehe, dass der Kläger durch das tatsächliche Zufließen von Einkommen zwar des Anspruchs auf Ausgleichszulage verlustig gehe, das Erworbene aber nicht für seinen Lebensunterhalt eingesetzt worden sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob Leistungen, die unmittelbar an zur selbständigen Vermögensverwaltung Unfähige erbracht werden, unter den Einkommensbegriff des § 292 Abs 3 ASVG fallen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Zuerkennung der Ausgleichszulage für den im Verfahren zu behandelnden Zeitraum begehrt.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

1.1 Die Ausgleichszulage ist eine Leistung der gesetzlichen Pensionsversicherung. Sie hat Fürsorgecharakter (RIS‑Justiz RS0085127) und soll das Existenzminimum des Pensionsberechtigten sichern (RIS‑Justiz RS0084847). Dies ist nur möglich, wenn er über allfällige Einkünfte verfügen kann, sodass solche nur dann berücksichtigt werden können, wenn sie tatsächlich zugeflossen sind (10 ObS 132/87, SSV‑NF 2/48; RIS‑Justiz RS0085181 [T1]).

1.2 Das Ausgleichszulagenrecht geht von einem umfassenden Einkommensbegriff aus (10 ObS 9/16w mwH). Bei der Feststellung des Anspruchs auf Ausgleichszulage sind grundsätzlich sämtliche Einkünfte des Pensionsberechtigten in Geld oder Geldeswert (§ 292 Abs 3 ASVG) zu berücksichtigen. Es kommt nicht darauf an, aus welchem Titel und von wem die Einkünfte zufließen, ob sie dem Empfänger für oder ohne eine Gegenleistung zufließen und ob sie allenfalls der Steuerpflicht unterliegen (RIS‑Justiz RS0085296). Von der Berücksichtigung sämtlicher Einkünfte des Pensionsberechtigten sind nur die in § 292 Abs 4 ASVG taxativ aufgezählten Einkünfte ausgenommen; ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

1.3 Die Ausgleichszulage ist ausgehend von den jeweils tatsächlich zugeflossenen Einkünften für jeden einzelnen Monat des fraglichen Zeitraums – hier daher von 1. 5. 2010 bis 30. 9. 2011 – zu prüfen (10 ObS 312/91, SSV‑NF 6/18; RIS‑Justiz RS0084844).

2.1 Ausgehend von dieser von den Vorinstanzen zutreffend angewandten Rechtslage kommt dem Argument des Revisionswerbers, dass Geldzuflüsse aus unwirksamen Rechtsgeschäften nicht „Einkommen“ im Sinn des § 292 Abs 3 ASVG darstellen könnten, weil die Ausgleichszulage Fürsorgecharakter besitzt, keine Berechtigung zu. Maßgeblich für die Bemessung der Ausgleichszulage ist im Sinn des § 292 Abs 3 ASVG vielmehr allein, welche Einkünfte dem Pensionsberechtigten tatsächlich zugekommen sind und real zur Verfügung stehen. Fließen Einkünfte tatsächlich zu, kommt es allein darauf und nicht auf die Höhe eines gesetzlichen oder vertraglichen Anspruchs auf Zahlung an (10 ObS 168/03h, SSV‑NF 17/83; Pfeil in SV‑Komm § 292 ASVG [38. Lfg] Rz 18 mwH; jüngst ebenfalls in Bezug auf eine Ausgleichszulagenwerberin, für die ein Sachwalter bestellt war 10 ObS 136/16x).

2.2 Die vom Kläger aus den von ihm eingegangenen Dienstverhältnissen erzielten Entgelte sind ihm nach den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen tatsächlich zugeflossen. Dass einer dieser Dienstverträge rückabgewickelt worden wäre, oder dass der Kläger daraus von ihm erzielte Entgelte zurückzahlen hätte müssen, hat er im Verfahren nicht behauptet. Schon daher bedarf es im konkreten Fall keiner Auseinandersetzung mit der Ansicht des Berufungsgerichts, dass dem Kläger selbst bei Rechtsunwirksamkeit des Dienstvertrags und dessen Rückabwicklung ein dem verschafften Nutzen angemessenes Entgelt zu zahlen wäre (Rummel in Rummel, ABGB³ § 1431 Rz 9 mwH; vgl auch Rebhahn/Kietaibl in ZellKomm² § 1152 ABGB Rz 92).

3.1 Der Kläger macht weiters geltend, dass die aus den Dienstverhältnissen erzielten Entgelte nicht als zugeflossen im Sinn des § 292 Abs 3 ASVG gelten könnten, weil er geschäftsunfähig sei und den Empfang solcher Entgelte nicht „quittieren“ könne. Dass Geschäftsunfähige vor den Wirkungen, die unüberlegte Geldflüsse haben könnten, geschützt werden müssten, zeige sich auch in anderen gesetzlichen Bestimmungen. So ordne etwa § 224 ABGB an, dass die Annahme eines Geldvermögens von mehr als 10.000 EUR der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedürfe.

3.2 Erkennbar beruft sich der Kläger in der Revision damit auf die – auch von den Vorinstanzen zitierte – Norm des § 1424 Satz 2 ABGB: „Was jemand an eine Person bezahlt hat, die ihr Vermögen nicht selbst verwalten darf, ist er insoweit wieder zu zahlen verbunden, als das Bezahlte nicht wirklich vorhanden, oder zum Nutzen des Empfängers verwendet worden ist.“ Entsprechend dem Schutzzweck des § 1424 Satz 2 ABGB, den nicht (voll) Geschäftsfähigen vor einer aus seinem Unvermögen resultierenden unzweckmäßigen Verwendung des Erlangten zu bewahren (5 Ob 22/02z; 7 Ob 228/08t; W. Faber in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1424 Rz 4 aE), wirkt die Zahlung des Schuldners an den geschäftsunfähigen Gläubiger daher nur insofern schuldbefreiend, als das Bezahlte wirklich vorhanden ist oder zum Nutzen des Empfängers verwendet wurde (Rummel in Rummel, ABGB³ § 1434 Rz 9; Koziol/Spitzer in KBB5 § 1424 Rz 2 mwH).

3.3 § 1424 Satz 2 ABGB bezweckt damit (nur) den Schutz des geschäftsunfähigen Gläubigers gegenüber seinem Schuldner, von dem der gesetzliche Vertreter des geschäftsunfähigen Gläubigers bei Vorliegen der sonstigen genannten Voraussetzungen eine Zahlung neuerlich fordern kann (vgl dazu Stabentheiner in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 1424 Rz 9, mit Beispielen aus der Rechtsprechung). Gegenüber der Beklagten, die nicht seine privatrechtliche Gläubigerin ist, kann sich der Kläger schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht auf § 1424 Satz 2 ABGB berufen. So wie die aus öffentlichen Mitteln finanzierte und subsidiären Charakter aufweisende Ausgleichszulage nicht dazu dient, nach bürgerlichem Recht zum Schadenersatz verpflichtete und finanziell leistungsfähige Schädiger zu entlasten (10 ObS 278/99a, SSV‑NF 13/126), dient sie, worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat, auch nicht dazu, Dritte von ihren vertraglichen Pflichten gegenüber dem Kläger als ihrem – hier gemäß § 1424 Satz 2 ABGB besonders geschützten – Gläubiger zu entlasten.

Der Revision war deshalb nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage (RIS‑Justiz RS0085829 [T1]).

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