OGH 10ObS2/25d

OGH10ObS2/25d14.1.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Arno Sauberer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Robert Brunner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei O*, vertreten durch die Schneider Rechtsanwalts KG in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hille-geist-Straße 1, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. November 2024, GZ 10 Rs 100/24 k‑71, in nicht-öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:010OBS00002.25D.0114.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist die begehrte Feststellung von Schwerarbeitszeiten während der Tätigkeit des Klägers als Anlagenmonteur im Zeitraum von 1. Juli 2005 bis 31. Mai 2020.

[2] Dass der Kläger während seiner Tätigkeit im Antennenbau und Funkanlagenbau – zeitübergreifend oder in einzelnen Monaten – an mindestens 15 Tagen im Monat schwere körperliche Arbeiten in einem Ausmaß verrichtete, dass er während eines Arbeitstages zumindest 2.000 Arbeitskilokalorien verbrauchte, steht nicht fest.

[3] Die Vorinstanzen wiesen das auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von 1. Juli 2005 bis 31. Mai 2020 (mit Unterbrechungen) gerichtete Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht verneinte den geltend gemachten – in der Nichteinholung weiterer Sach-verständigengutachten liegenden – Mangel des Verfahrens erster Instanz. Gegen die getroffene Negativfeststellung hegte es keine Bedenken. Die versicherte Person, die die Feststellung von Schwerarbeitszeiten begehrt, müsse nachweisen, die von § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV geforderte Mindestanzahl von Arbeitskalorien an jeweils 15 Tagen des Kalendermonats verbraucht zu haben. Für die Anwendung eines Anscheinsbeweises bestehe auch bei Vorliegen einer Meldung gemäß § 5 SchwerarbeitsV kein Raum. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[5] 1.1. Angebliche Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, können in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (RS0042963). Nur wenn das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hat, liegt ein Mangel des Berufungsverfahrens selbst vor (RS0040597 [T3, T4]).

[6] Von einem solchen Mangel des Berufungsverfahrens kann hier nicht ausgegangen werden. Das Berufungsgericht verneinte eine in der Nichteinholung der vom Kläger beantragten Sachverständigengutachten liegende Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz, weil es auf die „üblichen und notwendigen“ Arbeiten im Anlagenbau, auf deren Feststellung der Kläger mit seinem Beweisantrag abziele, nicht ankomme. Diese Beurteilung entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, nach der zur Beurteilung der Frage, ob ein Schwerarbeitsmonat vorliegt, auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit abzustellen ist (RS0130802 [T2]). Dass die vom Kläger vermissten Beweisaufnahmen dazu Aufschlüsse liefern hätten können, behauptet er auch in der Revision nicht.

[7] 1.2. Der Rüge des Klägers, das Erstgericht hätte ihm zu Unrecht vorgeworfen, trotz gerichtlichen Auftrags kein Vorbringen zu den Arbeitszeiten und zur unregelmäßigen Nachtarbeit erstattet zu haben, entgegnete bereits das Berufungsgericht, dass die Abweisung des Klagebegehrens darauf nicht (tragend) gestützt worden sei. Mit der bloßen Wiederholung seiner Berufungsausführungen und der Behauptung, die Entscheidung sei im Wesentlichen damit begründet worden, es liege kein ausreichendes Vorbringen zu den Arbeitszeiten des Klägers vor, setzt er sich mit dieser Argumentation des Berufungsgerichts nicht auseinander. Entgegen der Behauptung des Klägers berücksichtigten die Vorinstanzen das von ihm in erster Instanz erstattete Tatsachenvorbringen – insbesondere auch jenes zur Arbeitszeit – jedenfalls ohnedies (wenngleich sie diesem nicht folgten).

[8] 2. Eine mangelhafte und unzureichende Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren nicht angefochten werden. Ob die auf die Beweisrüge bezügliche Begründung des Berufungsgerichts richtig oder fehlerhaft ist, fällt in den Bereich der irrevisiblen Beweiswürdigung (RS0043371 [T12]). Nur wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisfrage überhaupt nicht befasst hat (RS0043371 [T2]) oder sich mit der Beweisrüge nur unvollständig und sich mit gewichtigen Argumenten gar nicht auseinandersetzte („floskelhafte Scheinbegründung“; RS0043371 [T20, T32]), ist das Berufungsverfahren mangelhaft.

[9] Einen solchen Mangel des Berufungsverfahrens bringt die Revision aber nicht zur Darstellung, wenn sie – ohne auf die (vorhandenen) konkreten beweiswürdigenden Erwägungen des Berufungsgerichts einzugehen – neben der wörtlichen Wiederholung der Beweisrüge der Berufung bloß behauptet, dass sich das Berufungsgericht mit den Argumenten der Beweisrüge des Klägers „nicht erkennbar bzw nur unzureichend auseinandergesetzt“ habe.

[10] 3.1. Nach ständiger Rechtsprechung muss die versicherte Person im Verfahren nach § 247 Abs 2 ASVG nachweisen, die von § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV geforderte Mindestanzahl von Arbeitskilokalorien an jeweils 15 Tagen des Kalendermonats (§ 4 SchwerarbeitsV) verbraucht zu haben (RS0129751 [T2]). Diesen Nachweis hat der Kläger nicht erbracht, weil das Erstgericht dazu eine Negativfeststellung traf. Daran ist der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist (RS0042903 [T7, T10]), gebunden.

[11] 3.2. Zwar ist die Frage, ob in einem konkreten Fall ein Tatbestand vorliegt, der nach den Regeln des Anscheinsbeweises eine Verschiebung des Beweisthemas und der Beweislast zulässt, eine revisible Rechtsfrage (RS0022624; RS0022549 [T3]). Der Lösung dieser Frage kommt allerdings im Hinblick auf die Vielzahl denkbarer Fälle und die jeweils maßgeblichen Umstände des Einzelfalls keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu (RS0022624 [T4, T5]; RS0022549 [T3]).

[12] Der Anscheinsbeweis beruht darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (RS0040266). Es muss ein typischer Erfahrungs-zusammenhang bestehen (RS0040274; RS0039895). Der Anscheinsbeweis darf nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen (RS0040287).

[13] Das Berufungsgericht hat den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten, wenn es einen typischen Erfahrungszusammenhang zwischen der Einschätzung einer Tätigkeit als Schwerarbeit im Sinn des § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV durch einen Dienstgeber im Rahmen einer Meldung nach § 5 Abs 1 SchwerarbeitsV und dem tatsächlichen Vorliegen einer solchen Tätigkeit verneinte. Die vom Kläger behauptete Beweiserleichterung lässt sich auch weder dem Gesetz noch der SchwerarbeitsV entnehmen.

[14] 3.3. Warum dieses Ergebnis – wie der Kläger meint – gegen Unionsrecht verstoßen soll, wird in der Revision nicht nachvollziehbar dargelegt.

[15] Die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (Richt-linie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf) erfasst Diskriminierungen aus bestimmten Gründen. Entgegen der Annahme des Klägers, dass keine andere Berufsgruppe derartige Beweise viele Jahre später erbringen müsse, gelten die dargestellten Regeln der Beweislast aber für alle Berufsgruppen gleichermaßen.

[16] Die weitere Behauptung einer Verletzung der Nachweisrichtlinie (Richtlinie 91/533/EWG des Rates vom 14. Oktober 1991 über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen, nunmehr Richtlinie 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union), weil der Kläger von seinem Dienstgeber über wesentliche Bedingungen für seinen Arbeitsvertrag bzw die aus diesem resultierenden pensionsrechtlichen Ansprüche nicht informiert worden wäre, legt nicht offen, aus welcher Bestimmung er eine solche Informationspflicht des Dienstgebers ableitet und aus welchem Grund ein allfälliger Verstoß des Dienstgebers dagegen einen Einfluss auf das vorliegende Verfahren zur Feststellung von Schwerarbeitszeiten gegenüber der Beklagten haben soll.

[17] 3.4. Soweit sich der Kläger auf die vom Dachverband erstellten Berufslisten bzw die darin genannten Berufsbilder mit – nach seiner Behauptung – geringerem Kalorienverbrauch stützt, steht dem die Rechtsprechung entgegen, dass diese Berufslisten nur als Hilfsmittel zur Verfahrenserleichterung im Pensionsfeststellungsverfahren zu betrachten und für die Gerichte nicht bindend sind (10 ObS 64/22t Rz 20). Mangels normativer Wirkung dieser Berufslisten kommt auch der vom Kläger in diesem Zusammenhang geortete Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz nicht in Betracht.

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