OGH 10ObS2249/96z

OGH10ObS2249/96z20.8.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Theodor Zeh (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mario Medjimorec (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr.Karin I*****, vertreten durch Winkler/Reich-Rohrwig/Elsner/Illedits, Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, wider die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1101 Wien, vertreten durch Dr.Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wochengeld-Dauer, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.April 1996, GZ 10 Rs 44/96f-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 7.November 1995, GZ 5 Cgs 110/95t-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.058,88 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 676,48 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war zuletzt seit 6.7.1992 aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses als Angestellte bei der Beklagten zur Krankenversicherung gemeldet. Der voraussichtliche Entbindungstermin für die Klägerin war der 17.5.1995. Der Tag des Eintrittes des Versicherungsfalls der Mutterschaft war demnach der 22.3.1995. Tatsächlich hat die Klägerin am 2.5.1995 durch Kaiserschnitt entbunden. Sie bezog von der Beklagten Wochengeld für den Zeitraum 22.3.1995 bis 25.7.1995 insgesamt daher 18 Wochen.

Mit Bescheid der Beklagten vom 6.7.1995 wurde der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Wochengeld über den 25.7.1995 hinaus bis 9.8.1995 gemäß § 162 Abs 2 ASVG abgelehnt. Die Beklagte begründete dies damit, daß der Klägerin ohnehin die im Mutterschutzgesetz (MSchG) vorgesehene Insgesamtschutzfrist von 16 Wochen zugekommen sei. Auch die bei Kaiserschnittentbindungen zu gewährende Frist von 12 Wochen nach der Entbindung sei eingehalten worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage auf Gewährung des Wochengeldes auch für den Zeitraum vom 26.7. bis 9.8.1995. Das Klagebegehren wird auf die Rechtsansicht gestützt, daß nicht von einer Insgesamtdauer von 16 Wochen auszugehen sei, sondern vielmehr von einer Verlängerung auf höchstens 16 Wochen nach der Entbindung im Ausmaß der Verkürzung der Achtwochenfrist vor der Entbindung.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wiederholte ihren im Bescheid eingenommenen Rechtsstandpunkt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und schloß sich der Rechtsauffassung der Beklagten an. Schutzfristverlängerungen seien nicht zu kumulieren sondern zu absorbieren.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge. Im Normalfall betrage die Schutzfrist und der nach § 162 Abs 2 ASVG davon abhängige Wochengeldbezug vor und nach der Entbindung insgesamt 16 Wochen. Bei Kaiserschnittentbindungen bleibe jedenfalls die 12wöchige Schutzfrist nach der Entbindung gewahrt. Im Falle einer Verkürzung der achtwöchigen Schutzfrist vor der Geburt verlängere sich die Schutzfrist nach der Geburt auf höchstens 16 Wochen. Der Klägerin stehe daher in Abänderung des erstgerichtlichen Urteiles über den 25.7.1995 hinaus im Ausmaß der Verkürzung der vorgeburtlichen Schutzfrist ein Anspruch auf Wochengeld bis zum 9.8.1995 zu. Das Berufungsgericht trug der Beklagten die Erbringung einer vorläufigen Leistung von S 200,- täglich für diesen Zeitraum auf.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil von der Beklagten erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Weiblichen Versicherten gebührt nach § 162 Abs 1 ASVG für die letzten acht Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung, für den Tag der Entbindung und für die ersten acht Wochen nach der Entbindung ein tägliches Wochengeld. Weibliche Versicherte nach Frühgeburten, Mehrlingsgeburten oder Kaiserschnittentbindungen erhalten das Wochengeld nach der Entbindung durch 12 Wochen. Über die vorstehenden Fristen vor und nach der Entbindung hinaus gebührt das Wochengeld ferner für jenen Zeitraum, während dessen Dienstnehmerinnen und Bezieherinnen einer Leistung nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 aufgrund besonderer Vorschriften des Mutterschutzrechtes im Einzelfall aufgrund des Zeugnisses eines Arbeitsinspektionsarztes oder eines Amtsarztes nicht beschäftigt werden dürfen, weil Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung oder Aufnahme einer Beschäftigung gefährdet wäre. Nach § 162 Abs 2 ASVG wird die Achtwochenfrist vor der voraussichtlichen Entbindung aufgrund eines ärztlichen Zeugnisses berechnet. Erfolgt die Entbindung zu einem anderen als den vom Arzt angenommenen Zeitpunkt, so verkürzt oder verlängert sich die im Abs 1 vorgesehene Frist vor der Entbindung entsprechend. Die Frist nach der Entbindung verlängert sich jedoch in jedem Fall bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Beschäftigungsverbot nach den Vorschriften des Mutterschutzrechtes endet.

Werdende Mütter dürfen nach § 3 Abs 1 MSchG in den letzten acht Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung (Achtwochenfrist) nicht beschäftigt werden. Die Beschäftigungsverbote nach der Entbindung sind im § 5 MSchG geregelt. § 5 Abs 1 MSchG hatte in der Fassung vor dem arbeitsrechtlichen Begleitgesetz (ArbBG, BGBl 1992/833) folgenden Wortlaut:

"Dienstnehmerinnen dürfen bis zum Ablauf von acht Wochen nach ihrer Entbindung nicht beschäftigt werden. Bei Frühgeburten, Mehrlingsgeburten oder Kaiserschnittentbindungen beträgt diese Frist 12 Wochen. Ist eine Verkürzung der Achtwochenfrist vor der Entbindung eingetreten, so verlängert sich die achtwöchige Schutzfrist nach der Entbindung im Ausmaß dieser Verkürzung, höchstens jedoch auf 12 Wochen."

Durch Art I Z 7 ArbBG enthielt § 5 Abs 1 folgenden Wortlaut:

"Dienstnehmerinnen dürfen bis zum Ablauf von acht Wochen nach ihrer Entbindung nicht beschäftigt werden. Bei Frühgeburten, Mehrlingsgeburten oder Kaiserschnittentbindungen beträgt diese Frist mindestens 12 Wochen. Ist eine Verkürzung der Achtwochenfrist (§ 3 Abs 1) vor der Entbindung eingetreten, so verlängert sich die Schutzfrist nach der Entbindung im Ausmaß dieser Verkürzung, höchstens jedoch auf 16 Wochen."

Dazu führten die Gesetzesmaterialien (735 BlgNR 18.GP 22) folgendes aus:

"Gemäß §§ 3 Abs 1 und 5 Abs 1 dauert die Schutzfrist und damit der Wochengeldbezug vor und nach der Entbindung im Normalfall insgesamt 16 Wochen. Bei Frühgeburten, Mehrlingsgeburten und Kaiserschnittentbindungen, auch wenn sie zwischen der 36. und 40. Schwangerschaftswoche erfolgen, bleibt jedenfalls die 12wöchige Schutzfrist nach der Entbindung gewahrt. Erfolgt die Geburt vor der Schutzfrist (7-Monats-Kind) bzw zwischen Beginn der Schutzfrist und vier Wochen vor dem voraussichtlichen Geburtstermin, verlängert sich zwar die Schutzfrist nach der Geburt, höchstens jedoch auf 12 Wochen. Dies wurde von jenen Frauen, die davon betroffen sind, als sozialpolitisch verfehlte Regelung empfunden, da gerade sie die Problemfälle darstellen, etwa im Hinblick auf ihre eigene angegriffene Gesundheit oder die besondere Pflegebedürftigkeit von extremen Frühgeburten, insbesondere wenn es sich um Mehrlinge handelt. Der Entwurf sieht daher nunmehr für alle Fälle der Verkürzung der Schutzfrist vor der Entbindung ebenso wie für den Normalfall eine Insgesamtdauer von 16 Wochen vor, um auch diese besonders gravierenden Fälle nicht schlechter zu behandeln als die Normalfälle."

Während also der Text des novellierten § 5 Abs 1 Satz 3 MSchG dahin lautet, daß sich die Schutzfrist nach der Entbindung im Ausmaß einer vor der Entbindung eingetretenen Verkürzung der Achtwochenfrist höchstens auf 16 Wochen verlängert, also auf 16 Wochen nach der Entbindung (wofür auch die Überschrift des § 5 MSchG "Beschäftigungsverbote nach der Entbindung" spricht), könnten die zitierten Gesetzesmaterialien dahin verstanden werden, daß § 5 Abs 1 Satz 3 MSchG der Frau im Falle einer Verkürzung der Schutzfrist vor der Geburt höchstens eine gesamte Schutzfrist (vor und nach der Geburt) von 16 Wochen einräumt. Nach ständiger Rechtsprechung kann jedoch ein Rechtssatz, der im Gesetz nicht einmal angedeutet ist, sondern nur in den Materialien steht, nicht durch Auslegung Geltung erlangen (Judikaturnachweise bei Bydlinski in Rummel ABGB Rz 25 zu § 6). Nach Wortlaut und Normzweck ist § 5 Abs 1 Satz 3 MSchG vielmehr so auszulegen, daß die Schutzfrist nach der Entbindung seit 1.1.1993 (Novellierung durch das ArbBG) höchstens 16 Wochen beträgt und insgesamt, also unter Einbeziehung der Schutzfrist vor der Entbindung, länger als 16 Wochen sein kann. Nach der bis 31.12.1992 geltenden Regelung war die Höchstdauer der Schutzfrist nach der Entbindung mit 12 Wochen begrenzt. Dies wurde aber von Frauen, deren Kind vor der Schutzfrist oder in der ersten bis vierten Woche der Schutzfrist geboren wurde, als sozialpolitisch verfehlte Regelung empfunden, insbesondere deswegen, weil im Normalfall der Mutter insgesamt 16 Wochen Schutzfrist zustehen. Bei Frühgeburten, Mehrlingsgeburten oder Kaiserschnittentbindungen wurde die zwölfwöchige Frist auf eine "mindestens" zwölfwöchige Frist geändert; die Schutzfrist nach der Entbindung wurde von bisher höchstens 12 Wochen auf nunmehr höchstens 16 Wochen verlängert. Die Berechnung ist jeweils so vorzunehmen, daß die Verkürzung der Schutzfrist vor der Geburt (§ 3 Abs 1) zu den in § 5 Abs 1 Sätze 1 und 2 MSchG angeführten Fristen hinzuzurechnen ist, wobei die Höchstdauer nach der Entbindung mit 16 Wochen begrenzt ist. Dem Ausgleich für eine nicht konsumierte Schutzfrist vor der Entbindung liegt der Gedanke zugrunde, der besonderen physischen und psychischen Situation Rechnung zu tragen, der die Arbeitnehmerin vor und nach der Entbindung ausgesetzt ist (Knöfler, MSchG11 [1996] 135 f Erl.3 zu § 5 mit zahlreichen Beispielen). Demnach ist also nicht eine Gesamtdauer des Wochengeldbezuges von 16 Wochen maßgeblich, sondern es ist entscheidend, daß die Verlängerung der nach der Geburt liegenden Schutzfrist nur im Ausmaß der durch die Geburt stattgefundenen Verkürzung der Achtwochenfrist des § 3 Abs 1 MSchG höchstens auf 16 Wochen erfolgen darf (ebenso 10 ObS 2248/96b). Erfolgt also etwa eine Kaiserschnittentbindung drei Wochen vor dem errechneten Termin, beträgt die Schutzfrist nach der Entbindung 12 + 3, also 15 Wochen. Erfolgt die Kaiserschnittentbindung hingegen sieben Wochen vor dem errechneten Termin, beträgt die Schutzfrist nach der Entbindung allerdings nur 16 und nicht 19 Wochen, weil eben die Höchstgrenze der Schutzfrist nach der Entbindung mit 16 Wochen festgelegt wurde und in diesem Fall nicht die volle Verkürzung vor der Geburt nach der Geburt "nachgeliefert" wird (Knöfler aaO 136).

Mit diesem Auslegungsergebnis steht auch die bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht im Widerspruch. In mehreren Entscheidungen (SSV-NF 3/85 = DRdA 1990, 218, SSV-NF 6/32, 8/97 = DRdA 1995, 327; 10 ObS 260/94, 10 ObS 50/95) wurde ausgesprochen, daß nur die Verkürzung des absoluten Beschäftigungsverbotes des § 3 Abs 1 MSchG zu einer Verlängerung der Schutzfrist nach der Entbindung führe, nicht jedoch eine Verkürzung des individuellen Beschäftigungsverbotes des § 3 Abs 3 MSchG, wenn damit nicht auch die Achtwochenfrist des § 3 Abs 1 MSchG verkürzt worden sei. Die im vorliegenden Fall zu lösende Rechtsfrage stand in all den früheren Entscheidungen nicht zur Diskussion. Soweit sich aus den Begründungen der zitierten Entscheidungen eine andere Rechtsauffassung ableiten ließe, könnte diese nicht aufrecht erhalten werden.

Bezogen auf den vorliegenden Fall ergibt sich, daß eine Verkürzung der Achtwochenfrist des § 3 Abs 1 MSchG vor der Entbindung um zwei Wochen und einem Tag eingetreten ist, weil die Entbindung bereits am 2.5. und nicht wie erwartet am 17.5.1995 erfolgte. Die Schutzfrist von 12 Wochen nach der Entbindung wegen der Kaiserschnittgeburt verlängerte sich im Ausmaß dieser Verkürzung. Der letzte Tag des Anspruches auf Wochengeld aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft ist somit der 9.8.1995. Da der Klägerin bisher Wochengeld nur bis zum 25.7.1995 zuerkannt wurde, hat das Berufungsgericht ihrem Klagebegehren in Abänderung des Urteiles des Erstgerichtes zutreffend stattgegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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