OGH 10ObS213/94

OGH10ObS213/9427.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Heinrich Matzke (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Herbert Lohr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Alfred H*****, vertreten durch Dr.Heinz Stöger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA), 1081 Wien, Josefstädter Straße 80, vertreten durch Dr.Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Höhe der Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7.Juni 1994, GZ 34 Rs 56/94-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 21.Jänner 1994, GZ 7 Cgs 200/93g-8, bestätigt wurde in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1. Der Antrag des Klägers, der Oberste Gerichtshof möge beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung des § 89 Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz stellen, wird zurückgewiesen.

2. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens und der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

(Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche des Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes - B-KUVG.)

Der bei der beklagten Versicherungsanstalt ua in der Unfallversicherung nach dem B-KUVG versicherte Kläger erlitt am 20.11.1974 einen Unfall. Dieser wurde mit Bescheid der Beklagten vom 22.5.1975 als Dienstunfall nach § 90 anerkannt. Im selben Bescheid fand die Beklagte den Versehrten gemäß § 107 Abs 2 durch eine Gesamtvergütung in der Höhe des voraussichtlichen Rentenaufwandes für die Zeit vom 10.2. bis 30.11.1975 ab. Die Gesamtvergütung betrug unter Zugrundelegung einer Teilrente von 20 vH der Vollrente 8.789 S. Als Bemessungsgrundlage zum 20.11.1974 wurde nach § 93 Abs 1 bzw Abs 3 ein Betrag von 5.322 S, unter Berücksichtigung von Bezugserhöhungen seit dem Eintritt des Versicherungsfalles derzeit von 5.950 S festgestellt.

Mit Bescheid vom 9.3.1992 lehnte die Beklagte den wegen Verschlimmerung der Unfallfolgen am 17.5.1991 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung der Versehrtenrente ab. Das Erstgericht gab dem auf eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß ab 17.5.1991 gerichteten Klagebegehren mit rechtskräftigem Urteil vom 26.3.1993, 7 Cgs 82/92-21 teilweise statt. Es verurteilte die Beklagte, dem Kläger ab 17.5.1991 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 30 vH der Vollrente zu gewähren, trug aber dem Versicherungsträger nicht auf, dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung zu erbringen.

Mit einem Schreiben vom 13.7.1993 teilte die Beklagte dem Kläger nicht nur mit, daß ihm auf Grund des genannten Urteils ab 17.5.1991 eine Dauerrente im Ausmaß von 30 vH der Vollrente gebühre. Sie stellte auch als Bemessungsgrundlage zum 20.11.1974 gemäß § 93 Abs 1 bis 4 auf Grund der Bestätigung des Dienstgebers den Betrag von 5.322 S (Verwendungsgruppe D, Dienstklasse I, Gehaltsstufe 5, einschließlich anrechenbarer Zulagen) fest. Diese Bemessungsgrundlage ändere sich gemäß Abs 4 leg cit jeweils um den auf eine Dezimalstelle gerundeten Hundertsatz, um den sich bei Bundesbeamten des Dienststandes das Gehalt der Gehaltsstufe 2, Dienstklasse V nach dem Gehaltsgesetz 1956 ändere. Sie betrage daher ab 17.5.1991 12.218 S, ab 1.1.1992 12.743 S und ab 1.1.1993 13.253 S.

Innerhalb von vier Wochen nach Zustellung dieses Schreibens der Beklagten brachte der Kläger bei dieser eine Eingabe ein. Darin vertrat er im wesentlichen die Meinung, daß für die Bemessungsgrundlage nicht der 20.11.1974, sondern der 17.5.1991 als Eintritt des Versicherungsfalles heranzuziehen wäre. Er ersuchte, die Versehrtenrente unter Berücksichtigung dieser Rechtsansicht neu zu berechnen oder sie bescheidmäßig festzustellen.

Die Beklagte faßte dieses Schreiben als Klage gegen das von ihr als Bescheid gewertete Schreiben vom 13.7.1993 auf und leitete es mit einer Klagebeantwortung an das Erstgericht weiter. Darin beantragte sie, das Klagebegehren abzuweisen. Die dem Verschlimmerungsantrag zugrundeliegenden Krankheitserscheinungen (Beinvenenthrombose und Lungenembolie) seien keine Berufskrankheit und hätten auch keinen neuen Versicherungsfall ausgelöst. Sie seien Folgen des Dienstunfalles vom 20.11.1974. Dieser Tag sei auch der Stichtag für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach § 93 Abs 1 iVm Abs 4.

Das Erstgericht schloß sich ausdrücklich, der Kläger und das Berufungsgericht schlossen sich stillschweigend der zutreffenden Ansicht der Beklagten an, daß es sich bei der Eingabe des Klägers um eine Klage gegen das als Bescheid zu wertende Schreiben der Beklagten vom 13.7.1993 handle. Der Kläger ergänzte seine Klage in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 21.1.1994 um das Urteilsbegehren: "Die beklagte Partei sei schuldig, bei der Bemessung der mit Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgerichtes zu 7 Cgs 82/92 zugesprochenen Versehrtenrente als Stichtag den 17.5.1991 zugrundezulegen".

Das Erstgericht wies dieses Begehren ab. Bemessungsgrundlage sei nach § 93 Abs 1 das Gehalt des Versicherten im Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles. Dieser gelte bei Dienstunfällen nach § 89 Z 1 mit dem Unfallergebnis als eingetreten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und bestätigte das erstgerichtliche Urteil mit der Maßgabe, daß es ihm folgenden Satz anfügte. "Die beklagte Partei ist schuldig, bei der mit Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 26.3.1993, 7 Cgs 82/92 der klagenden Partei zuerkannten Versehrtenrente für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage den Stichtag 20.11.1974 heranzuziehen."

Wann der Versicherungsfall als eingetreten gilt, sei im § 89 Z 1 für Dienstunfälle, in der Z 2 leg cit für Berufskrankheiten ausdrücklich geregelt. Es liege kein sachlicher Grund vor, einen Versicherten, dessen Erwerbsfähigkeit erst längere Zeit nach dem Unfall gemindert wurde, in analoger Anwendung der zit Z 2 besser zu stellen als einen, bei dem diese Minderung unmittelbar mit dem Dienstunfall begonnen habe.

In der Revision macht der Kläger unrichtige rechtliche Beurteilung (der Sache) geltend. Er beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es, allenfalls auch das der ersten Instanz, aufzuheben, eventuell beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung des angeblich verfassungwidrigen § 89 zu beantragen.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte erstattete eine Revisionsbeantwortung. Sie beantragt, der Revision nicht Folge zu geben und den letztgenannten Eventualantrag des Revisionswerbers abzuweisen.

Hat der Oberste Gerichtshof gegen die Anwendung eines Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken, so hat er nach Art 89 Abs 2 B-VG (von Amts wegen) den Antrag auf Aufhebung dieses Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof zu stellen. Die Parteien können beim Obersten Gerichtshof eine solche Antragstellung anregen, haben jedoch nicht das Recht, einen formellen Antrag zu stellen. Der diebezügliche Antrag in der Revision ist daher zurückzuweisen (zB SSV-NF 4/153 mwN; 6/51).

Die Revision ist nach § 46 Abs 3 ASGG zulässig. Sie ist auch iS des Aufhebungsantrages im Ergebnis berechtigt.

Bemessungsgrundlage ist unbeschadet der - im vorliegenden Fall nicht

anzuwendenden - Bestimmungen der Abs 2 und 3 das Gehalt (der sonstige

monatliche Bezug) ... des Versicherten im Zeitpunkt des Eintrittes

des Versicherungsfalles ... (§ 93 Abs 1 ). Die Bemessungsgrundlage

nach Abs 1 ... ändert sich jeweils um den auf eine Dezimalstelle

gerundeten Hundertsatz, um den sich bei Bundesbeamten des Dienststandes das Gehalt der Gehaltsstufe 2 der Dienstklasse V nach dem Gehaltsgesetz 1956 einschließlich einer allfälligen Teuerungszulage ändert. Die Renten sind unter Berücksichtigung der neuen Bemessungsgrundlage von Amts wegen neu festzustellen (Abs 4 leg cit).

Der Versicherungsfall gilt als eingetreten:

1. bei Dienstunfällen mit dem Unfallereignis;

2. bei Berufskrankheiten mit dem Beginn der Krankheit (§ 53 Abs 1 Z 1) oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, mit dem Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit (§ 101) (§ 89), und zwar im rentenbegründenden Mindestausmaß (SSV-NF 5/43; Tomandl in Tomandl, SV-System 7. ErgLfg 319 f FN 1 und 1a).

Der Text der letztgenannten Gesetzesstelle entspricht im wesentlichen dem des § 174 ASVG. Dort heißt es nur statt "Dienstunfällen" "Arbeitsunfällen"; in den Klammern sind die entsprechenden Paragraphen des ASVG zitiert.

Die RV zur Stammfassung des ASVG 599 BlgNR 7. GP 62 führt zu § 174 ASVG aus: "Die Präzisierung des Begriffes 'Eintritt des Versicherungsfalles' ist wegen der Alternative der Berufskrankheiten notwendig und erleichtert die Fassung der folgenden Bestimmungen, für die dieser Begriff von Bedeutung ist."

Während bei Arbeits- oder Dienstunfällen das Unfallsereignis ein örtlich und zeitlich genau zu erfassendes, zeitlich begrenztes schädigendes Ereignis darstellt, handelt es sich bei den Berufskrankheiten um die Folgen längerdauernder gesundheitsschädlicher Einwirkungen der Erwerbsarbeit. Wegen der längeren Dauer der Einwirkung ist der für den Versicherungsschutz erforderliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bei den Berufskrankheiten (in der Regel) schwerer nachzuweisen als bei einem Unfallereignis (sa Tomandl aaO 271 f).

Diese wesentlichen tatsächlichen Unterschiede rechtfertigen nicht nur die Schaffung zweier Versicherungsfälle, nämlich Arbeits- und Dienstunfälle einerseits und Berufskrankheiten andererseits (vgl auch Tomandl aaO 141), sondern auch die verschiedenartigen gesetzlichen Regelungen in den Z 1 und 2 des § 174 ASVG und des § 89 B-KUVG.

Der Oberste Gerichtshof hat deshalb aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit (Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz) gegen die Anwendung der letztgenannten Gesetzesstelle keine Bedenken.

Daß die Bemessungsgrundlage nach § 93 Abs 1 das Gehalt im Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles, im vorliegenden Fall also des Dienstunfalles vom 20.11.1974, ist, entspricht dem auch der Regelung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für die Geldleistungen im § 179 ASVG zugrundeliegenden Prinzip der Äquivalenz zwischen Beiträgen und (Geld)Leistungen, also dem auch für die Geldleistungen der Unfallversicherung geltenden Versicherungsprinzip (RV zur Stammfassung des ASVG aaO 64; Seitler, Die Bemessungsgrundlagen in der gesetzlichen Unfallversicherung SozSi 1974, 563). Auf dieser im wesentlichen der Beitragsgrundlage entsprechenden Basis und nicht auf der Basis eines etwa zwei Jahrzehnte nach dem Dienstunfall erzielten Einkommens war der Kläger im Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles, also zur Zeit des Arbeitsunfalles, gegen die Minderung seiner Erwerbsfähigkeit in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert.

Den Vorinstanzen ist daher zuzustimmen, daß Bemessungsgrundlage nach § 93 Abs 1 das Gehalt des Klägers im Zeitpunkt des Dienstunfalles vom 20.11.1974 einschließlich allfälliger in dieser Gesetzesstelle aufgezählten Zulagen ist.

In diesem Sinn wurde die Bemessungsgrundlage im offenbar nicht bekämpften Bescheid der Beklagten vom 22.5.1975 festgestellt.

Dennoch ist die Sache noch nicht spruchreif.

Die Klage richtet sich gegen eine als Bescheid zu wertende Erledigung des Versicherungsträgers, mit der die Höhe der im Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 26.3.1993, 7 Cgs 82/92-21 ab dem 17.5.1991 in einer zahlenmäßig noch nicht bestimmten Höhe zuerkannten Versehrtenrente im Ausmaß von 30 vH der Vollrente auf einer gemäß § 93 Abs 4 geänderten Bemessungsgrundlage zum 20.11.1974 ab 17.5.1991 mit 12.218 S, ab 1.1.1992 mit 12.743 S und ab 1.1.1993 mit 13.253 S festgesetzt wurde. Deshalb kann sich auch das Klagebehren richtigerweise nur mehr auf Leistung einer höheren Versehrtenrente richten. Es wäre auch dann hinreichend bestimmt, wenn es auf Leistung einer Versehrtenrente von 30 vH der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß ab 17.5.1991 lautete (§ 82 Abs 1 bis 4 ASGG). In diesem Sinn wird das in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 21.1.1994 formulierte Begehren, nach dem die Beklagte schuldig erkannt werden soll, bei der Bemessung dieser Versehrtenrente "als Stichtag den 17.5.1991 zugrunde zu legen", umzuformulieren sein.

Diese Rechtsstreitigkeit, deren richtigerweise auf eine Geldleistung gerichtetes Klagebegehren nur der Höhe nach bestritten ist, darf nicht iS des § 89 Abs 2 ASGG erledigt werden. Das Urteil muß vielmehr eine ziffernmäßig bestimmte monatliche Leistung auferlegen und dafür eine Leistungsfrist bestimmen (§ 89 Abs 3 ASGG) und ein allfälliges Mehrbegehren abweisen (SSV-NF 4/88, 116 und 5/43 mwN).

Da die für die Rentenhöhe maßgebenden Umstände abgesehen von dem für die Bemessungsgrundlage zu berücksichtigenden Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles bisher nicht erörtert wurden, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben; die Sozialrechtssache war zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§§ 496, 503 Z 4, 511 und 513 ZPO).

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens und der Revision beruht auf dem gemäß § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.

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