Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird als nichtig aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung
Das in erster Instanz angerufene Schiedsgericht der Sozialversicherung erkannte die beklagte S***
DER G*** W*** schuldig, der Klägerin ab 1. Juni 1985 die Erwerbsunfähigkeitspension in der gesetzlichen Höhe zu bezahlen. Gegen dieses Urteil erhob die beklagte Partei Berufung, die beim Erstgericht am 1. Oktober 1986 einlangte. Die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung wurde von keiner der Parteien beantragt. Das Oberlandesgericht Wien, dem die Berufung vorgelegt wurde, "überwies" das Rechtsmittel gemäß § 101 Abs 1 Z 4 ASVG (richtig: ASGG) an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es entschied in nichtöffentlicher Sitzung, wobei dem erkennenden Senat je ein fachkundiger Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer angehörte.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es als nichtig aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen oder es im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird auch zu den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtigen rechtlichen Beurteilung ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Da das Berufungsgericht über die Berufung nach dem Inkrafttreten des ASGG entschied, hatte es die Vorschriften dieses Gesetzes anzuwenden und zu beachten. Demnach hatte der Senat sich gemäß § 11 Abs 1 dieses Gesetzes aus drei Richtern und zwei fachkundigen Laienrichtern zusammenzusetzen. Da es sich um eine Streitsache nach dem GSVG handelte, hätten gemäß § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG alle fachkundigen Laienrichter dem Kreis der Arbeitgeber angehören müssen. Dagegen verstieß das Berufungsgericht, weil dem erkennenden Senat ein fachkundiger Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitnehmer angehörte.
Das Berufungsgericht war somit nicht vorschriftsmäßig besetzt, was seine Entscheidung gemäß § 2 Abs 1 ASGG iVm § 477 Abs 1 Z 2 ZPO nichtig macht. Der dem Berufungsgericht unterlaufene Verstoß gegen § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG kann auch geltend gemacht werden, weil er nicht zu den im § 37 Abs 2 ASGG angeführten Gesetzesverstößen gehört, bei denen dies nicht möglich ist. Der Verstoß wurde schließlich auch nicht geheilt. Wohl ist gemäß § 37 Abs 1 ASGG § 260 Abs 4 ZPO sinngemäß anzuwenden, weil die Parteien zur Zeit des Verstoßes durch qualifizierte Personen iS des § 40 Abs 1 ASGG vertreten waren. § 260 Abs 4 ZPO hindert die Berücksichtigung eines Mangels in der Besetzung des Gerichtes jedoch nur dann, wenn die Parteien Gelegenheit hatten, ihn geltend zu machen. Dies setzt im Berufungsverfahren voraus, daß eine mündliche Berufungsverhandlung anberaumt wurde. Da das Berufungsgericht hier jedoch keine mündliche Berufungsverhandlung angeordnet hatte, steht die angeführte Bestimmung der Berücksichtigung des Nichtigkeitsgrundes, auf den die beklagte Partei ihre Revision auch stützt, nicht entgegen.
Einen weiteren Nichtigkeitsgrund, und zwar den des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO, macht die beklagte Partei in ihren zum Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens erstatteten Ausführungen geltend, in denen sie darzutun versucht, daß das Berufungsgericht keinen Verzicht auf die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung hätte annehmen dürfen. Das Berufungsgericht beurteilte diese Frage zutreffend auf Grund des § 492 ZPO, den es gemäß § 2 Abs 1 ASGG anzuwenden hatte. Nach dieser Bestimmung war aber (unwiderleglich; vgl. Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 1799) anzunehmen, daß die Parteien auf die Anordnung einer Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung verzichtet haben, weil sie sie nicht ausdrücklich beantragten. Daran ändert nichts, daß die Fristen zur Erstattung der Rechtsmittelschriften schon vor dem Inkrafttreten des ASGG abgelaufen waren, zumal die Parteien auch nach dem damals maßgebenden § 402 Abs 5 ASVG die Möglichkeit hatten, den Antrag zu stellen, daß vom Oberlandesgericht Wien eine Berufungsverhandlung angeordnet wird.
Das Urteil des Berufungsgerichtes ist jedoch wegen des Nichtigkeitsgrundes des § 477 Abs 1 Z 2 ZPO aufzuheben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO (vgl. Fasching, Kommentar II Anm. 2 zu § 51).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)