OGH 10ObS183/91 (10ObS184/91)

OGH10ObS183/91 (10ObS184/91)22.10.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dkfm. Reinhard Keibl (Arbeitgeber) und Erika Hantschel (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Angelika G*****, Lehrerin, ***** vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei ALLGEMEINE UNFALLVERSICHERUNGSANSTALT (Landesstelle Salzburg), 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram und Dr. Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision und Rekurses der klagenden Partei gegen das Urteil und den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. März 1991, GZ 5 Rs 41/91-50, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 5. November 1990, GZ 46 Cgs 84/88-43, teils bestätigt, teils aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1. den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird in diesem Umfang zur Entscheidung über die Berufung an das Berufungsgericht zurückverwiesen;

2. zu Recht erkannt:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekurs- und Revisionsverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 2.8.1957 geborene Klägerin, von Beruf Lehrerin, erlitt am 1.12.1982 einen Arbeitsunfall. Sie zog sich an diesem Tag in Ausübung ihrer unfallversicherten Erwerbstätigkeit beim Turnunterricht einen Einriß des vorderen Kreuzbandes und eine Zerrung des medialen Seitenbandes im rechten Knie zu. Mit Bescheid der beklagten Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vom 7.6.1983 wurde ihr ab 14.2.1983 eine vorläufige Versehrtenrente im Umfang von 20 v.H. der Vollrente gewährt. Mit weiterem Bescheid vom 13.11.1984 wurde diese vorläufige Versehrtenrente mit 1.1.1985 entzogen, wobei gleichzeitig ausgesprochen wurde, daß ein Anspruch auf eine Dauerrente nicht bestehe. Mit der am 13.2.1985 dagegen erhobenen Klage begehrte die Klägerin die Gewährung einer 20 %-igen Versehrtenrente auch für die Zeit ab 1.1.1985. Mit Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Tirol vom 21.10.1986 wurde ihr für die Zeit vom 1.1.1985 bis 30.6.1986 eine Versehrtenrente von 20 v.H. der Vollrente zugesprochen; das Mehrbegehren auf Gewährung einer solchen Rente auch ab dem 1.7.1986 wurde abgewiesen. Dieses Urteil erwuchs nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (SSV-NF 1/6) in Rechtskraft.

Am 5.2.1986 langte bei der beklagten Partei ein Schreiben der Klägerin ein, mit dem sie einen Verschlimmerungsantrag stellte und diesen darauf stützte, daß sie am 3.7.1985 am rechten Knie operiert worden sei. Die beklagte Partei wies mit Schreiben vom 27.3.1986 darauf hin, daß die Erledigung dieses Antrages im Hinblick auf das damals beim Schiedsgericht der Sozialversicherung anhängige Verfahren nicht behandelt werden könne. Mit Schreiben vom 16.2.1987 ersuchte die Klägerin, endlich die 100 %-ige Aufzahlung auf die Vollrente für die Zeit des Krankenhausaufenthaltes vom 2.7. bis 13.7.1985 und die nachfolgende ambulante Behandlung vom 16.7. bis 13.8.1985 vorzunehmen. Mit Schreiben vom 23.4.1987 ersuchte die Klägerin abermals, ihr Schreiben vom 16.2.1987 positiv zu erledigen. Gleichzeitig wies sie auf eine dreiwöchige Behandlung in der Schweiz im Dezember 1986 hin. Schließlich verlangte sie mit Schreiben vom 24.3.1988 eine bescheidmäßige Absprache hinsichtlich der Leistungen "anläßlich der Wiedererkrankung ab 2.7.1985 und 2.12.1986".

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 18.4.1988 lehnte die beklagte Partei die Erhöhung der bis 30.6.1986 gewährten 20 %-igen Rente auf die Vollrente plus Zusatzrente für die Zeit vom 1.7. bis 11.8.1985 bzw. Gewährung der Vollrente plus Zusatzrente für die Zeit vom 2.12.1986 bis 4.1.1987 ab. In der Begründung dieses Bescheides wurde ausgeführt, daß nach dem Ergebnis der ärztlichen Beurteilung im Zustand der Unfallfolgen keine wesentliche Änderung iS des § 183 ASVG eingetreten sei.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin zunächst für die Zeit vom 1.7. bis 11.8.1985 anstelle der bisher gewährten 20 %-igen Versehrtenrente eine Vollrente einschließlich der Zusatzrente und für die Zeit vom 2.12.1986 bis 4.1.1987 ebenfalls eine Vollrente einschließlich der Zusatzrente. Sie brachte dazu im wesentlichen vor, daß die in diesen Zeiträumen stattgefundenen Heilbehandlungen unfallkausal gewesen seien und daß während dieser Zeit volle Erwerbsunfähigkeit vorgelegen habe.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Die in diesen Zeiträumen erfolgten Behandlungen seien nicht durch das seinerzeitige Unfallereignis ausgelöst worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es traf folgende ergänzende Feststellungen:

Die Klägerin befand sich vom 2.7. bis 11.8.1985 im Krankenstand, da sie sich zur Abklärung der Unfallfolgen einer Arthroskopie unterzog. In deren Verlauf fand letztlich eine Meniskusteilresektion statt. Da die Klägerin in Österreich keine Möglichkeit mehr sah, die Unfallfolgen einer entsprechenden Behandlung und Ausheilung zuzuführen, entschloß sie sich, beim Chefarzt des Kantonsspitals Bruderholz in der Schweiz neuerlich eine Kniearthroskopie durchführen zu lassen, die Ende 1986 vorgenommen wurde. Dies zog einen Krankenstand vom 2.12.1986 bis 4.1.1987 nach sich. Es ist nicht feststellbar, daß die am 3.7.1985 festgestellte und operativ behandelte Meniskusläsion mit dem Unfallgeschehen vom 1.12.1982 im Zusammenhang steht. Der Untersuchung und der operativen Behandlung in der Schweiz unterzog sich die Klägerin ohne vorangegangene Rückfrage bei der beklagten Partei über eine allfällige Kostenübernahme.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß nach ständiger Übung der beklagten Partei Versehrten bei Arbeitsunfähigkeit auf Grund stationärer oder ambulanter Behandlung wegen eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit die Vollrente unter Beachtung der Ruhensbestimmungen und abzüglich gewährter Teilrenten gewährt würde. Die operative Behandlung der Klägerin vom 3.7.1985 könne nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit mit dem Unfallereignis in Zusammenhang gebracht werden, stehe vielmehr mit höherer Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit einem schicksalhaften, degenerativen Prozeß. Eine Leistungspflicht der beklagten Partei sei daher zu verneinen. Für die Behandlungen von Versehrten im Ausland sei die beklagte Partei nicht leistungspflichtig, wenn vor der Behandlung nicht die Zustimmung der beklagten Partei dazu eingeholt werde. Sohin fehle auch für den Zeitraum ab 2.12.1986 eine Leistungspflicht.

Gegen dieses Urteil erhob die Klägerin Berufung wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

Das Berufungsgericht hob aus Anlaß der Berufung in Ansehung des Rentenbegehrens für die Zeit vom 1.7. bis 11.8.1985 das erstgerichtliche Urteil und das diesen Teil der Entscheidung betreffende Verfahren erster Instanz als nichtig auf; insoweit wies es die Klage zurück. Im übrigen, also hinsichtlich des Rentenbegehrens für den Zeitraum 2.12.1986 bis 4.1.1987 gab es der Berufung nicht Folge. Aus dem oben angeführten Verfahrensablauf ergebe sich, daß über die Frage, ob und in welchem Ausmaß der Klägerin im Juli und August 1985 auf Grund des Arbeitsunfalles eine Versehrtenrente zustehe, bereits mit rechtskräftigem Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Tirol vom 21.10.1986 rechtskräftig abgesprochen worden sei. Obwohl die Klägerin bereits während dieses Gerichtsverfahrens einen Verschlimmerungsantrag gestellt habe, sei über den genannten Zeitraum im seinerzeitigen Verfahren abzusprechen gewesen, da die beklagte Partei während dieses Gerichtsverfahrens keinen neuen Bescheid erlassen habe. Dazu komme, daß in dem seinerzeitigen Verfahren die Operation im Juli 1985 nicht nur bekannt, sondern auch Gegenstand des umfangreichen Verfahrens gewesen sei. Diese rechtskräftige Entscheidung hindere eine neuerliche Absprache über denselben Zeitraum, ohne daß das seinerzeitige Verfahren wieder aufgenommen wurde. Der trotz rechtskräftiger Erledigung der Rechtssache von der beklagten Partei erlassene und nunmehr durch die vorliegende Klage bekämpfte Bescheid eröffne der Klägerin keinen neuen Rechtsgang, da die sukzessive Kompetenz immer dazu führe, daß der geltend gemachte Anspruch neu zur Gänze vom Gericht zu überprüfen sei. Die Nichtigkeit des erstinstanzlichen Urteils und Verfahrensabschnittes sei von Amts wegen aufzugreifen und die Klage in diesem Umfang zurückzuweisen.

Im übrigen sei die Berufung nicht berechtigt. Die Klägerin stütze ihren Anspruch auf Versehrtenrente für die Zeit vom 2.12.1986 bis 4.1.1987 darauf, daß sie zunächst im Rahmen der Spitalsbehandlung und anschließend für einen Ausheilungszeitraum gänzlich erwerbsunfähig gewesen sei. Für diesen Zeitraum gebühre ihr also auch die Versehrtenrente im Ausmaß der Vollrente inklusive der Zusatzrente für Schwerversehrte. Gemäß § 183 Abs.1 ASVG gelte als wesentlich eine Änderung der Verhältnisse nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als drei Monate um mindestens 10 v.H. geändert werde, durch die Änderung ein Rentenanspruch entstehe oder wegfalle oder die Schwerversehrtheit entstehe oder wegfalle. Diese gesetzliche Bestimmung in der Fassung des Sozialrechtsänderungsgesetzes 1988 sei auch auf Sachverhalte anzuwenden, die vor dieser authentischen Interpretation vorgefallen seien. Daraus ergebe sich, daß nicht jede vorübergehende Änderung der Verhältnisse zu einer Neufestsetzung der Rente führe, sondern die Rente erst dann neu festzusetzen sei, wenn die Änderung der Verhältnisse zumindest drei Monate lang angehalten habe. Daß dies im vorliegenden Fall zuträfe, sei von der Klägerin nicht einmal behauptet worden, weshalb das Erstgericht das Klagebegehren zu Recht abgewiesen habe.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs und die Revision der Klägerin. Sie beantragt die Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses, aber auch des bekämpften Urteils und die Zurückverweisung der Sozialrechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung.

Die beklagte Partei beantragte, weder dem Rekurs, noch der Revision Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs.1 Z 1 ZPO zulässig, aber auch berechtigt.

Nach der herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie liegt derselbe Streitgegenstand nur dann vor, wenn sowohl der Entscheidungsantrag (Sachantrag), als auch die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen (Sachverhalt) identisch sind (Fasching ZPR2 Rz 1155 ff; SZ 48/113; SZ 59/14; 9 Ob A 366/89 ua). Werden verschiedene Bescheide eines Versicherungsträgers mit Klagen bekämpft, haben diese Klagen, wie der erkennende Senat bereits in seiner Entscheidung SSV-NF 4/116 ausgesprochen hat, nicht (genau) denselben Anspruch zum Gegenstand, so daß mangels Identität des Anspruchs weder das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit, noch das der entschiedenen Sache vorliegt. Erläßt der Versicherungsträger etwa während eines anhängigen Verfahrens vor dem Arbeits- und Sozialgericht einen neuen Bescheid, so ist die dagegen erhobene zweite Klage auch dann nicht wegen Streitanhängigkeit zurückzuweisen, wenn der zweite Bescheid denselben Anspruch betrifft (SSV-NF 4/152). In der zuletzt genannten Entscheidung ging der erkennende Senat von § 71 Abs.5 ASGG aus, wonach dann, wenn durch die Klage ein Bescheid, mit dem der Versicherungsträger wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse die Leistung neu festgestellt hat, außer Kraft tritt, in dem über die Klage eingeleiteten Verfahren die Rechtskraft einer denselben Anspruch betreffenden früher gefällten gerichtlichen Entscheidung nicht zu berücksichtigen ist. Der Versicherungsträger ist nämlich berechtigt, eine Leistung, über die im Leistungsstreitverfahren bereits rechtskräftig entschieden worden ist, wegen Änderung der Verhältnisse durch Bescheid neu festzustellen. In solchen Fällen ist die Rechtskraft einer den gleichen Anspruch betreffenden, früher gefällten Entscheidung des Gerichtes nicht zu berücksichtigen (so die Materialien zu der im wesentlichen gleichartigen früheren Bestimmung des § 385 Abs.3 ASVG; vgl. Feitzinger-Tades ASGG 97 Anm.7 zu § 71). Ob die Änderung der Verhältnisse wesentlich ist, ist für die Nichtbeachtung der Rechtskraftwirkung nicht entscheidend; es kommt vielmehr darauf an, daß der Versicherungsträger die Leistung in einem neuen Bescheid auf Grund der Annahme einer solchen Änderung der Sachlage neu festgestellt hat. Das Gericht hat dann über den Anspruch ebenfalls neu zu entscheiden (Kuderna ASGG 387 Anm.9 zu § 71). Daß über einen Anspruch verschiedene Bescheide erlassen wurden, führt daher dazu, daß von einer (völligen) Identität des Anspruchs, welche die nach § 240 Abs.3 und § 411 Abs.2 ZPO jederzeit von Amts wegen zu berücksichtigenden Prozeßhindernisse der Streitanhängigkeit bzw. der rechtskräftig entschiedenen Sache begründen würde und nach § 233 Abs.1 ZPO zur Zurückweisung der späteren Klage führen müßte, nicht gesprochen werden kann (SSV-NF 4/152).

Was das Rentenbegehren der Klägerin für den Zeitraum vom 1.7. bis 11.8.1985 betrifft, so hat die beklagte Partei ungeachtet des bereits vorliegenden rechtskräftigen Urteiles mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid unter ausdrücklicher Anwendung des § 183 Abs.1 ASVG über diesen Anspruch neu entschieden. Nach dem Ergebnis der ärztlichen Beurteilung gelangte sie zur Auffassung, daß im Zustand der Unfallfolgen keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Ob dieser Bescheid zu Recht oder zu Unrecht ergangen ist, soll hier nicht beurteilt werden, doch eröffnete die Erlassung dieses Bescheides der Klägerin jedenfalls die Klagemöglichkeit nach § 67 ASGG. Daß über den maßgeblichen Anspruch bereits durch ein rechtskräftiges früheres Urteil abgesprochen worden ist, begründete nicht das Prozeßhindernis der entschiedenen Sache. Die vom Berufungsgericht von Amts wegen aufgegriffene Nichtigkeit ist daher nicht gegeben. In Stattgebung des Rekurses war der diesbezügliche Beschluß aufzuheben. Das Berufungsgericht wird nunmehr in diesem Umfang über die Berufung zu entscheiden haben.

2. Die Revision ist gemäß § 46 Abs.3 ASGG zulässig, aber nicht berechtigt.

Auch die Revisionswerberin geht zunächst davon aus, daß die Neufassung des § 183 Abs.1 ASVG durch das Sozialrechts-Änderungsgesetz 1988, BGBl. 1987/609 eine authentische Interpretation des Begriffes der wesentlichen Änderung der Verhältnisse darstellt und der nunmehrige Wortlaut der Bestimmung Anhaltspunkt der Auslegung auch der früheren Fassung sein muß (so bereits SSV-NF 2/9 und JBl. 1988, 397 mit Anmerkung von R. Müller). Demnach gilt als wesentlich eine Änderung der Verhältnisse nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als drei Monate um mindestens 10 v.H. geändert wird, durch die Änderung ein Rentenanspruch entsteht oder wegfällt (§§ 203, 210 Abs.1 ASVG) oder die Schwerversehrtheit entsteht oder wegfällt (§ 205 Abs.4 ASVG). Nach Ansicht der Revisionswerberin zeige die grammatikalische Interpretation dieser Gesetzesstelle, daß die Bedingung einer dreimonatigen Dauer der Änderung der Verhältnisse nur auf den ersten Fall bezogen sei. auch die logische Interpretation bekräftige dieses Ergebnis: Die Unterscheidung zwischen dem ersten und den zwei weiteren Fällen liege offenkundig darin, daß es sich im ersten Fall um eine geringere Änderung in der Befindlichkeit, dafür aber während einer längeren Dauer handeln müsse, während der Gesetzgeber typischerweise in den beiden anderen Fällen erhebliche Änderungen in der Befindlichkeit unterstelle (wenngleich sie in Grenzfällen nicht unbedingt vorkommen müßten). Da im Fall der Klägerin für die Dauer des Spitalsaufenthaltes und der Nachbehandlung (also für die Dauer von ungefähr fünf Wochen) völlige Erwerbsunfähigkeit bestanden habe, sei Schwerversehrtheit angefallen und auch wieder weggefallen. Das Berufungsgericht habe daher zu Unrecht eine dreimonatige Dauer der Änderung verlangt.

Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen. Zunächst sind die aus der grammatikalischen Interpretation der Gesetzesstelle gezogenen Schlüsse nicht zwingend. Zwar findet sich die Einschränkung "durch mehr als drei Monate" nur bei dem dort genannten ersten Fall einer als wesentlich geltenden Änderung der Verhältnisse und nicht bei dem - hier maßgeblichen - zweiten Fall (Entstehung eines Rentenanspruches), doch werden die weiteren Voraussetzungen durch das in Klammern beigesetzte Zitat (§§ 203, 210 Abs.1 ASVG) verdeutlicht: Nach § 203 Abs.1 ASVG entsteht eben ein Anspruch auf Versehrtenrente nur dann, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versehrten über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus um mindestens 20 v.H. vermindert ist. Das Zitat des § 203 ASVG im § 183 Abs.1 ASVG stellt klar, daß die Voraussetzungen für das Entstehen eines Rentenanspruches nach beiden Gesetzesstellen insoweit gleich sind, als eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch mehr als drei Monate gefordert wird. Deshalb kommt auch der Umkehrung in der Aufzählung der Fälle des § 183 Abs.1 zweiter Satz ASVG bei Tomandl (SV-System 4.ErgLfg 341: "Als wesentlich gilt eine Änderung dann, wenn sie zur Entstehung oder zum Wegfall eines Rentenanspruches bzw. von Schwerversehrtheit führt oder durch sie die Erwerbsfähigkeit um mindestens 10 % durch mehr als drei Monate verändert wird"), keine Bedeutung zu. Es trifft aber übrigens auch nicht zu, daß in den Fällen des Entstehens oder Wegfalles eines Rentenanspruches "erheblichere" Änderungen des Zustandes unterstellt werden, wie die Revisionswerberin meint. Im Gegensatz dazu hat der erkennende Senat wiederholt ausgesprochen, daß dann, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit 20 v.H. betrug, jeder Besserung des Zustandes, die Auswirkungen auf den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit hat, i.S. des § 183 Abs.1 zweiter Satz ASVG Relevanz zukommt; auch wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit dadurch um weniger als 10 v.H. gebessert wurde, sind die Voraussetzungen für die Entziehung gegeben, weil das Gesetz für diesen Fall keine Mindestgrenze für die Änderung vorsieht (SSV-NF 4/109 mwN).

Nicht nur die am Bedeutungszusammenhang und an der Gesetzessystematik, sondern auch die am Normzweck orientierte Auslegung muß zu dem Ergebnis führen, daß in den Fällen, in denen durch die Änderung der Verhältnisse ein Rentenanspruch erst entsteht, der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als drei Monate geändert werden muß. Offenkundiger Zweck der in beiden genannten Bestimmungen enthaltenen Dreimonatsfrist ist ein verfahrensökonomischer: Eine nur kurzfristig eintretende Minderung der Erwerbsfähigkeit soll einerseits keinen Rentenanspruch auslösen, eine nur kurzfristig eintretende Änderung der Verhältnisse, die für die Feststellung der Rente maßgebend waren, soll nicht zu einer Neufeststellung der Rente führen müssen. Der Gesetzgeber hat in Ausübung seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes keineswegs unangemessen einen Zeitraum von drei Monaten festgesetzt, der sowohl für die Zuerkennung der Rente als auch die Berücksichtigung wesentlicher Änderungen maßgeblich sein soll. Gerade im Hinblick auf die zu beobachtende lange Dauer des Verfahrens betreffend die Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit oder ihrer Änderungen hat der Gesetzgeber zur Eindämmung nur geringfügige Fälle betreffender Verfahren die genannte Frist festgelegt. Da in den Fällen des § 203 ASVG ein Rentenanspruch nur entsteht, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit über drei Monate andauert, würde sich auch ein unüberbrückbarer Widerspruch zu der von der Revisionswerberin gewünschten Auslegung des § 183 Abs.1 ASVG ergeben, weil danach im Falle einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse für das Entstehen oder Wegfallen eines Rentenanspruches (aber auch der Schwerversehrtheit) eine Änderung während der Dauer von nur wenigen Tagen ausreichen würde. Eine solche Auslegung wäre demgemäß systemwidrig und auch dem erkennbaren Normenzweck zuwiderlaufend. Daraus folgt, daß nicht jede vorübergehende Änderung der Verhältnisse zu einer Neufeststelluung der Rente in den Fällen des § 183 Abs.1 ASVG führt, sondern daß die Rente erst dann neu festzusetzen ist, wenn die Änderung der Verhältnisse mehr als drei Monate lang anhält. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, wurde derartiges von der Klägerin nicht behauptet und auch in ihrer Revision nicht geltend gemacht.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

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