European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:010OBS00173.12G.0129.000
Spruch:
Dieses Verfahren wird nach § 74 Abs 1 ASGG unterbrochen, bis über die Vorfrage der Versicherungspflicht des Klägers in der Pensionsversicherung während der Monate von September 1971 bis einschließlich Juni 1972 und von September 1972 bis einschließlich April 1973, in denen der Kläger eine Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts gemäß § 20 Abs 2 lit c AMFG idF BGBl 1969/31 bezogen hat, als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen einschließlich eines allenfalls anhängig gewordenen Verwaltungs-gerichtshofsverfahrens rechtskräftig entschieden worden ist.
Beim beklagten Versicherungsträger wird die Einleitung dieses Verfahrens in Verwaltungssachen angeregt.
Nach rechtskräftiger Entscheidung über die Vorfrage ist das Revisionsverfahren von Amts wegen wieder aufzunehmen.
Text
Begründung
Mit Bescheid der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom 2. 5. 2011 wurde gemäß § 117a GSVG festgestellt, dass der Kläger bis 31. 3. 2000 (richtig: 2011) insgesamt 513 Versicherungsmonate, darunter unter anderem acht Monate Ersatzzeit aus Arbeitslosengeldbezug von September 1971 bis einschließlich April 1972 und zwei Monate Ersatzzeit aus Arbeitslosengeldbezug von September 1972 bis einschließlich Oktober 1972, in der österreichischen Pensionsversicherung erworben habe. Für die Monate Mai bis einschließlich Juli 1972 und November 1972 bis einschließlich April 1973 wurden keine Versicherungszeiten festgestellt.
Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig Klage zunächst mit dem Begehren, die Zeiten von Mai 1972 bis Juli 1972 und von November 1972 bis April 1973 als weitere Versicherungszeiten (Ersatzzeiten nach § 227 Abs 1 Z 5 ASVG) festzustellen. In der Folge modifizierte der Kläger sein Klagebegehren dahin, dass er die Feststellung der Zeiten von September 1971 bis Juni 1972 und von September 1972 bis April 1973 als weitere Beitragszeiten der Pflichtversicherung iSd § 20 Abs 2 lit c AMFG (Umschulung im Rahmen des AMFG‑Arbeiter) begehrte. Er brachte dazu im Wesentlichen vor, er habe im Zeitraum von September 1971 bis Juni 1972 und von September 1972 bis April 1973 eine Beihilfe gemäß § 20 Abs 2 lit c AMFG für den Besuch der Höheren Grafischen Bundes‑, Lehr‑ und Versuchsanstalt in Wien erhalten, wobei er den Lehrgang „Reproduktions‑ und Drucktechnik“ absolviert habe. Gemäß § 25 AMFG sei er weiterhin in der Arbeitslosen‑, Kranken‑, Unfall‑ und Pensionsversicherung pflichtversichert gewesen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein, dass für den klagsgegenständlichen Zeitraum keine Versicherungszeiten nach dem ASVG vorliegen würden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im Wesentlichen fest, dass der Kläger mit 2. 9. 1971 ein zuvor bestandenes Dienstverhältnis beendete. Von 3. 9. bis 5. 9. 1971 bezog er Krankengeld; von 9. 9. 1971 bis 5. 4. 1972 und von 6. 9. bis 15. 10. 1972 bezog er Arbeitslosengeld. Der Kläger besuchte im Zeitraum von September 1971 bis 30. 4. 1974 die Höhere Grafische Bundes‑, Lehr‑ und Versuchsanstalt Wien und schloss diese am 12. 6. 1974 mit der Reifeprüfung ab. Für den gesamten Zeitraum dieses Schulbesuchs bezog der Kläger (außer während der Sommerferien jeweils im Juli und August) eine Beihilfe nach § 20 Abs 2 lit c AMFG. Während des Schulbesuchs lag weder ein Urlaub ohne Entgeltzahlung vor, noch endete der Anspruch des Klägers auf Entgelt aus dem zuvor bestandenen Beschäftigungsverhältnis, weil er sich der Schulung unterzog.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass gemäß der bis zum 30. 4. 1973 in Kraft gestandenen Bestimmung des § 25 Abs 1 AMFG idF BGBl 1969/31 Personen, die von den in § 19 Abs 1 lit b AMFG genannten Maßnahmen erfasst sind und hiefür eine Beihilfe gemäß § 20 Abs 2 lit c AMFG beziehen, sofern entweder ihr Anspruch auf Entgelt aus einem Beschäftigungsverhältnis, weil sie sich einer solchen Maßnahme unterziehen, oder ihre Pflichtversicherung wegen Urlaubs ohne Entgeltzahlung erloschen ist, weiterhin in der Arbeitslosen‑, Kranken‑, Unfall‑ und Pensionsversicherung pflichtversichert sind, sofern diese Versicherungen nicht aufgrund anderer Voraussetzungen bestehen. Nach dem zitierten Wortlaut des § 25 Abs 1 AMFG idF BGBl 1969/31 bestehe daher die Pflichtversicherung bei Bezug von Beihilfen nach § 20 Abs 2 lit c AMFG nur dann weiter, wenn entweder die Pflichtversicherung wegen Urlaubs ohne Entgeltzahlung oder der Anspruch auf Entgelt aus einem Beschäftigungsverhältnis erloschen sind, weil der Bezieher der Beihilfe sich einer solchen Maßnahme unterziehe. Der Besuch der Ausbildungsmaßnahme müsse somit kausal dafür sein, dass der Entgeltanspruch nicht weiter bestehe (und nicht umgekehrt). Da der Kläger die Schulung aber erst nach Beendigung des zuvor bestandenen Dienstverhältnisses begonnen habe bzw zwischenzeitig lediglich Beschäftigungen während der Sommerferien nachgegangen sei, sei er im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht weiterhin pensionsversichert gewesen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge und bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, dass die vom Kläger erworbenen Versicherungszeiten in gleicher Weise wie im Bescheid der beklagten Partei festgestellt wurden und das weitere Begehren des Klägers auf Feststellung der Zeiten von September 1971 bis Juni 1972 und von September 1972 bis April 1973 als weitere Beitragszeiten der Pflichtversicherung iSd § 20 Abs 2 lit c AMFG (Umschulung im Rahmen des AMFG‑Arbeiter) abgewiesen wurde. Es schloss sich in seiner rechtlichen Beurteilung der Rechtsansicht des Erstgerichts an und verwies insbesondere darauf, dass auch der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 1. 6. 1999, 94/08/0232, zu dem Ergebnis gelangt sei, dass nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 25 AMFG idF BGBl 1969/31 und auch nach den Gesetzesmaterialien nur Personen, die in einem Dienstverhältnis stehen und sich Schulungsmaßnahmen gemäß § 19 Abs 1 lit b AMFG unterziehen und hiefür eine Beihilfe zur Deckung ihres Lebensunterhalts erhalten, den erforderlichen sozialversicherungsrechtlichen Schutz genießen, während Personen, die, ohne in einem Dienstverhältnis zu stehen, eine Beihilfe zur Deckung ihres Lebensunterhalts erhalten, nur unfall‑ und krankenversichert seien. Da das Beschäftigungsverhältnis des Klägers nach dessen eigenen Vorbringen bereits vor der verfahrensgegenständlichen Ausbildung beendet worden sei, komme ihm die Vollversicherung iSd § 25 Abs 1 AMFG idF BGBl 1969/31 nicht zu Gute.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Auslegung der Bestimmung des § 25 Abs 1 AMFG idF BGBl 1969/31 keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Über die zulässige Revision des Klägers kann noch nicht entschieden werden.
Der Kläger macht verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts geltend, wonach gemäß § 25 Abs 1 AMFG idF BGBl 1969/31 nur solche Personen in den Genuss der Vollversicherung gelangten, deren Dienstverhältnis bei Ergreifung einer Weiterbildungsmaßnahme iSd § 19 Abs 1 lit b AMFG ‑ wenngleich ein Entgeltanspruch hieraus wegen Teilnahme an einer solchen Maßnahme oder wegen einer Karenzierung erloschen sei ‑ noch aufrecht sei. Schon im Bereich des Faktischen ließen sich überhaupt keine Unterschiede, welche die von § 25 AMFG idF BGBl 1969/31 bewirkte rechtliche Differenzierung zu tragen vermögen, ausmachen. Mache man nämlich die volle Pflichtversicherung in der Arbeitslosen‑, Kranken‑, Unfall‑ und Pensionsversicherung alleine davon abhängig, dass der Versicherte im Weiterbildungszeitraum in einem (formal) aufrechten Dienstverhältnis ohne Entgeltanspruch stehe, so lasse sich kein wesentlicher und „vernünftiger“ Unterschied zu einem solchen Versicherten ausmachen, der in keinem formal aufrechten Dienstverhältnis stehe, weil beide Typen von Versicherten während des Zeitraums der Ausbildungsmaßnahme keine Dienstleistung erbringen und hiefür auch kein Entgelt erhalten. Für beide Typen werden keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Dennoch sei derjenige Versicherte, dessen Arbeitgeber aus eigenem Gutdünken und Wohlwollen das Dienstverhältnis aufrecht bestehen lasse, auch für den Zeitraum der Weiterbildungsmaßnahme vollversichert, derjenige Versicherte, dessen Arbeitgeber weniger kulant sei, hingegen nicht. Diese dem Versicherten entzogene Entscheidung über das Weiterbestehen des Dienstverhältnisses mit einem Verlust der Vollversicherung zu sanktionieren, stehe in keinem ausgewogenen Verhältnis zum Regelungszweck des § 25 AMFG. Deshalb habe auch der Gesetzgeber mit der Änderung des § 25 AMFG durch BGBl 1973/173 die verfassungsrechtlich gebotene Gleichstellung aller Arbeitnehmer, die sich einer Ausbildungsmaßnahme iSd § 19 Abs 1 lit b AMFG unterziehen und hiefür zur Deckung ihres Lebensunterhalts eine Beihilfeleistung beziehen, hergestellt. Es sei daher auch § 25 AMFG idF BGBl 1969/31 verfassungskonform dahin auszulegen, dass auch solche Arbeitnehmer, deren Beschäftigungsverhältnis im Zeitraum der Ergreifung einer Weiterbildungsmaßnahme iSd § 19 Abs 1 lit b AMFG beendet gewesen sei, dem Vollversicherungsschutz in der Arbeitslosen‑, Kranken‑, Unfall‑ und Pensionsversicherung unterliegen. Weiters regt der Kläger eine Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof dahingehend an, dass dieser aussprechen möge, dass § 25 AMFG idF BGBl 1969/31 verfassungswidrig gewesen sei.
Der Kläger begründet somit das von ihm erhobene Begehren ausschließlich damit, dass vom Bestehen einer Pflichtversicherung (auch in der Pensionsversicherung) gemäß § 25 Abs 1 iVm § 20 Abs 2 lit c AMFG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl 1969/31 während des fraglichen Zeitraums auszugehen sei.
Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:
1. Gemäß der nach § 194 GSVG auch für den Bereich dieses Bundesgesetzes anzuwendenden Bestimmung des § 355 Z 1 ASVG gehört die Feststellung der Versicherungspflicht, der Versicherungsberechtigung sowie des Beginns und Endes der Versicherung zu den Verwaltungssachen. Gemäß § 74 Abs 1 ASGG ist auch in einer Rechtsstreitigkeit über den Bestand von Versicherungszeiten der Pensionsversicherung nach § 65 Abs 1 Z 4 ASGG (eine solche liegt hier vor) dann, wenn die Versicherungspflicht, die Versicherungsberechtigung, der Beginn oder das Ende der Versicherung (§ 355 Z 1 ASVG), die maßgebende Beitragsgrundlage oder die Angehörigeneigenschaft (§ 410 Abs 1 Z 7 ASVG) als Vorfrage strittig ist, das Verfahren zu unterbrechen, bis über diese Vorfrage als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen rechtskräftig entschieden worden ist, dies einschließlich eines allenfalls anhängig gewordenen Verwaltungsgerichtshofsverfahrens (vgl RIS‑Justiz RS0085791). Ist im Zeitpunkt der Unterbrechung des Verfahrens noch kein Verfahren in Verwaltungssachen anhängig, so hat das Gericht die Einleitung des Verfahrens beim Versicherungsträger anzuregen. Eine solche Unterbrechung ist auch vom Rechtsmittelgericht anzuregen (RIS‑Justiz RS0085609).
1.1 Während somit die Frage, ob ein Versicherter Ersatzzeiten erworben hat, vom Gericht im Sozialrechtsverfahren selbstständig zu beurteilen ist (vgl 10 ObS 119/94, SSV‑NF 8/52), ist die Frage der Versicherungspflicht bzw Versicherungsberechtigung und des Beginns und Endes der Versicherung den Gerichten auch im Vorfragenbereich zur Gänze entzogen. Zu letzterem zählen beispielsweise die Frage des Bestehens einer Versicherungspflicht zu einem bestimmten Zeitpunkt, demnach Beginn und Ende der Versicherung, oder auch die Frage des Vorliegens von Beitragszeiten aufgrund einer Versicherungspflicht (vgl Neumayr in ZellKomm2 § 74 ASGG Rz 5 mwN).
2. Da der Kläger sein Begehren zuletzt nur auf die Behauptung stützt, dass die Voraussetzungen für die Pflichtversicherung im fraglichen Zeitraum gegeben gewesen seien und daher vom Bestehen von Pflichtversicherungszeiten auszugehen sei, ist im vorliegenden Verfahren die Frage der Versicherungspflicht des Klägers in der Pensionsversicherung als Vorfrage strittig. Es ist daher gemäß § 74 Abs 1 ASGG das Verfahren zwingend und auch noch in dritter Instanz zu unterbrechen, bis über diese Vorfrage als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen einschließlich eines allenfalls anhängig gewordenen Verwaltungsgerichtshofsverfahrens rechtskräftig entschieden worden ist.
3. Da im Zeitpunkt der Unterbrechung des Verfahrens nach der Aktenlage noch kein Verfahren in Verwaltungssachen anhängig ist, war bei der beklagten Partei, die nach dem gemäß § 194 GSVG auch hinsichtlich des Verfahrens zur Durchführung dieses Bundesgesetzes geltenden § 409 ASVG iVm § 15 Abs 1 GSVG als Träger der Kranken‑ und Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz für das ganze Bundesgebiet zur Behandlung dieser Verwaltungssache berufen ist, die Einleitung des Verfahrens anzuregen (§ 74 Abs 1 Satz 2 ASGG).
4. Hingegen kann der Oberste Gerichtshof ‑ entgegen der Anregung in der Revision ‑ hinsichtlich des § 25 AMFG idF BGBl 1969/31 beim Verfassungsgerichtshof keinen Antrag gemäß Art 89 Abs 3 B‑VG stellen, weil diese Gesetzesstelle nicht von ihm sondern von den Behörden anzuwenden ist, die über die im unterbrochenen Verfahren als Vorfrage strittige Frage der Versicherungspflicht des Klägers in der Pensionsversicherung als Hauptfrage in Verwaltungssachen zu entscheiden haben (vgl 10 ObS 316/92).
5. Nach rechtskräftiger Entscheidung der Vorfrage ist das unterbrochene Revisionsverfahren von Amts wegen aufzunehmen. Die dem Obersten Gerichtshof vorgelegten Akten werden daher vorerst zurückgestellt. Das Erstgericht wird ersucht, den Unterbrechungsbeschluss den Parteien zuzustellen und die Versicherungsakten dem beklagten Versicherungsträger weiterzuleiten. Um die unverzügliche Aufnahme des Revisionsverfahrens sicher zu stellen, werden die Parteien ersucht, das Erstgericht von der rechtskräftigen Entscheidung über die Vorfrage zu verständigen; der beklagte Versicherungsträger möge dabei seine Akten anschließen. Das Erstgericht wird die Akten sodann im Wege des Berufungsgerichts wieder dem Obersten Gerichtshof vorzulegen haben.
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