OGH 10ObS147/20w

OGH10ObS147/20w15.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Josef Putz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. Dr. K*, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Haymo Modelhart, Dr. Elisabeth Humer‑Rieger M.B.L. und Mag. Katrin Riesenhuber, Rechtsanwälte in Linz, wegen Rehabilitationsgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 24. August 2020, GZ 11 Rs 42/20 f‑18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Teilurteil des Landesgerichts Linz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 19. Mai 2020, GZ 36 Cgs 111/19s‑9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130437

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen Teils als Teilurteil zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei im Zeitraum von 1. Mai 2019 bis 30. September 2019 ein Rehabilitationsgeld in Höhe von 57,75 EUR brutto täglich binnen 14 Tagen zu bezahlen, dies unter Einrechnung der bereits aus dem Titel des Rehabilitationsgelds für diesen Zeitraum bezahlten Beträge.

2. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin war von 1. 10. 2004 bis 30. 9. 2018 als Dienstnehmerin bei der J* (in der Folge: J*) beschäftigt und nach dem B‑KUVG pflichtversichert.

[2] Daneben war die Klägerin von 29. 4. 2015 bis 31. 8. 2018 als freie Dienstnehmerin beim B* (in der Folge: B*) beschäftigt und nach dem ASVG pflichtversichert.

[3] Seit 1. 9. 2018 ist die Klägerin arbeitsunfähig infolge Krankheit.

[4] Aufgrund ihres Dienstverhältnisses zur J* bezog die Klägerin von der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter von 1. 10. 2018 bis 5. 10. 2018 Krankengeld in Höhe von 27,29 EUR täglich, und von 6. 10. 2018 bis 7. 7. 2019 in Höhe von 32,74 EUR täglich.

[5] Aufgrund ihres freien Dienstverhältnisses zum B* bezog die Klägerin von der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse von 4. 9. 2018 bis 5. 10. 2018 Krankengeld in Höhe von 20,77 EUR täglich und ab 6. 10. 2018 in Höhe von 24,92 EUR täglich.

[6] Die Pensionsversicherungsanstalt erkannte der Klägerin mit Bescheid vom 27. 6. 2019 Rehabilitationsgeld ab 1. 5. 2019 für die weitere Dauer der vorübergehenden Berufsunfähigkeit zu.

[7] Seit 1. 10. 2019 ist die Klägerin wiederum teilzeitbeschäftigt und bezieht seither Teilrehabilitationsgeld.

[8] Mit dem angefochtenen Bescheid vom 3. 10. 2019 stellte die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse fest, dass der Klägerin das ab 1. 5. 2019 zuerkannte Rehabilitationsgeld in Höhe von 32,83 EUR brutto täglich gebührt. Grundlage für die Bemessung sei der von der Klägerin bei der J* erzielte Arbeitsverdienst.

[9] Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage auf Grundlage beider von ihr erzielten Arbeitsverdienste die Zuerkennung von Rehabilitationsgeld für den Zeitraum von 1. 5. 2019 bis 30. 9. 2019 in Höhe von (für diesen Zeitraum: unstrittig) 57,75 EUR brutto täglich und für den Zeitraum ab 1. 10. 2019 in Höhe von 31,31 EUR täglich. Bei Beginn des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld habe die Klägerin jeweils einen aufrechten Anspruch auf Krankengeld gehabt, sodass eine Mehrfachversicherung vorliege. Es könne nicht sein, dass die Klägerin zwar zweimal Anspruch auf Krankengeld, aber nur einmal Anspruch auf Rehabilitationsgeld habe. Der letzte Satz in § 143 Abs 2 ASVG sei nur deshalb eingeführt worden, um zu verhindern, dass Rehabilitationsgeld aufgrund einer geringfügigen Beschäftigung gewährt werde.

[10] Die Beklagte stellte die Höhe des für den Zeitraum von 1. 5. 2019 bis 30. 9. 2019 begehrten Rehabilitationsgeldes außer Streit. Für die Berechnung der Höhe des Rehabilitationsgeldes komme es jedoch auf das letzte, eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung begründende Dienstverhältnis gemäß § 143a Abs 2 ASVG an. Dies sei jenes zur J* gewesen. Nur im Fall einer gleichzeitigen Beendigung zweier Dienstverhältnisse müsste doppeltes Rehabilitationsgeld gewährt werden. Ein solcher Fall liege hier nicht vor.

[11] Das Erstgericht erkannte der Klägerin mit Teilurteil für den Zeitraum von 1. 5. 2019 bis 30. 9. 2019 Rehabilitationsgeld in Höhe von 32,83 EUR brutto täglich zu. Das Mehrbegehren gerichtet auf Zuerkennung eines Rehabilitationsgeldes in Höhe von 57,75 EUR brutto täglich, wies es hingegen ab. Für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes sei gemäß § 143a Abs 2 ASVG das aus der letzten Erwerbstätigkeit der Klägerin bei der J* erzielte Arbeitseinkommen heranzuziehen.

[12] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin gegen die Abweisung ihres Mehrbegehrens nicht Folge. Die Beklagte sei für die Bemessung des gesamten Rehabilitationsgeldes zuständig. Zutreffend sei gemäß § 143a Abs 2 ASVG für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes auf das Arbeitseinkommen abzustellen, das die Klägerin aus der letzten, eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung begründenden Erwerbstätigkeit erzielt habe. Eine Mehrfachversicherung der Klägerin in der Krankenversicherung im Sinn der § 128 ASVG, § 57 B‑KUVG sei zum Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld am 1. 5. 2019 nicht mehr vorgelegen. Die Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zur Bemessung von Rehabilitationsgeld in einer vergleichbaren Konstellation noch nicht Stellung genommen habe.

[13] Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin, mit der diese die gänzliche Stattgebung ihres Begehrens anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[14] Die Revision ist zulässig und berechtigt.

[15] Die Revisionswerberin führt aus, dass nach der gebotenen teleologischen Auslegung des § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG der Klägerin Rehabilitationsgeld – genau so wie das vergleichbare Krankengeld – aus beiden Dienstverhältnissen gebühre. Diese Auslegung sei auch verfassungsrechtlich geboten.

[16] Dem hält die Beklagte auch in der Revisionsbeantwortung im Wesentlichen den Wortlaut des § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG und den Umstand entgegen, dass im Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld am 1. 5. 2019 (§ 143a Abs 1 ASVG idF BGBl I 2018/59) keine Mehrfachversicherung der Klägerin in der Krankenversicherung vorgelegen sei, weil eine solche durch den Bezug von Krankengeld aus den beiden beendeten Beschäftigungsverhältnissen nicht begründet werde. Beide Beschäftigungsverhältnisse könnten zur Berechnung des Rehabilitationsgeldes nur dann herangezogen werden, wenn sie zum gleichen Zeitpunkt geendet hätten.

[17] Der Oberste Gerichtshof hat die auch hier zu beurteilende Rechtsfrage der Bemessung von Rehabilitationsgeld aus zwei nebeneinander bestehenden Dienstverhältnissen erst jüngst mit Beschluss vom 24. 11. 2020, 10 ObS 136/20b, entschieden. Die Begründung dieser Entscheidung lässt sich wie folgt zusammenfassen:

[18] 1.1 Gemäß § 143a Abs 2 Satz 1 erster Halbsatz ASVG idF BGBl I 2018/59 gebührt das Rehabilitationsgeld im Ausmaß des Krankengeldes nach § 141 Abs 1 ASVG und ab dem 43. Tag im Ausmaß des erhöhten Krankengeldes nach § 141 Abs 2 ASVG, das aus der letzten eine Versicherung nach dem ASVG oder nach dem B‑KUVG begründende(n) Erwerbstätigkeit gebührt hätte.

[19] 1.2 Der Zweck des Rehabilitationsgeldes liegt darin, einen Ersatz für die weggefallene befristete Invaliditätspension zu schaffen. Funktional ist das Rehabilitationsgeld eine Fortsetzung des Krankengeldbezugs bzw ist es dem Krankengeldanspruch nachgebildet. Wie auch nach der Systematik des Krankengeldes liegt der Fokus aufder Einkommensersatzfunktion. Der durch die Arbeitsunfähigkeit erlittene Entgeltverlust soll zumindest teilweise ersetzt werden und eine finanzielle Absicherung des Versicherten während der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit gewährleistet sein (10 ObS 98/16h DRdA 2017/50, 485 [Zwinger] = SSV‑NF 30/81; ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP  18, 20; Födermayer in SV‑Komm [249. Lfg] § 143a ASVG Rz 14).

[20] 1.3 Krankengeld gebührt bei mehrfacher Krankenversicherung als Barleistung aus jeder der in Betracht kommenden Versicherungen (§ 128 Satz 2 ASVG; § 57 Satz 2 B‑KUVG). Da das Krankengeld Einkommensersatzfunktion hat und zu einem bestimmten Prozentsatz das ausfallende Einkommen des Versicherten ersetzen soll, soll ein Versicherter, der mehrere Beschäftigungen nebeneinander ausübt (und in beiden Beschäftigungsverhältnissen arbeitsunfähig ist), nach dem Willen des Gesetzgebers Krankengeld aus allen diesen Beschäftigungen erhalten (Windisch‑Graetz in SV‑Komm [164. Lfg] § 128 ASVG Rz 4). Wäre ein Versicherter hingegen nur in einem seiner beiden Beschäftigungsverhältnisse als arbeitsunfähig anzusehen, hätte er nur aus diesem Anspruch auf Krankengeld (Schober in Sonntag, ASVG11 § 143 Rz 6a).

[21] 2. Obwohl § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG seinem Wortlaut nach für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes auf „die letzte eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung begründende Erwerbstätigkeit“ abstellt, also von der Ausübung nur einer einzigen Erwerbstätigkeit ausgeht, führt der dargelegte Zweck des Rehabilitationsgeldes sowie seine systematische Anknüpfung an das Krankengeld bei Vorliegen zweier paralleler Beschäftigungsverhältnisse und Eintreten der Arbeitsunfähigkeit in beiden Beschäftigungsverhältnissen dazu, dass beide Beschäftigungsverhältnisse für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes zu berücksichtigen sind, sofern diese Beschäftigungsverhältnisse eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem ASVG oder B‑KUVG begründet haben. Wollte man lediglich eines von mehreren Beschäftigungsverhältnissen heranziehen, aus denen die versicherte Person bisher ein Einkommen bezogen hat, wäre die Absicht des Gesetzgebers, eine finanzielle Absicherung während der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten, nicht erfüllt.

[22] 3.1 Es kommt entgegen dem Standpunkt der Beklagten in der Revisionsbeantwortung nicht darauf an, dass im Zeitpunkt der Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes in jedem der beiden Beschäftigungsverhältnisse eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem ASVG oder B‑KUVG bestehen müsste, damit sich die Höhe des Rehabilitationsgeldes unter Berücksichtigung beider bestehender Beschäftigungsverhältnisse bemesse.

[23] 3.2 Seinem Wortlaut nach stellt § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG nicht auf das aktuelle Bestehen oder Nichtbestehen einer aufrechten Pflichtversicherung in der Krankenversicherung ab, sondern knüpft die Bemessung des Rehabilitationsgeldes an das Ausmaß des Krankengeldes, das aus der letzten eine Pflichtversicherung nach dem ASVG oder B‑KUVG begründenden Erwerbstätigkeit „gebührt hätte“. Es soll immer jene letzte Erwerbstätigkeit zur Berechnung des Rehabilitationsgeldes herangezogen werden, die nach dem ASVG oder B‑KUVG eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung begründet hat (ErlRV 900 BlgNR 25. GP  20). Bestanden zuletzt zwei derartige Erwerbstätigkeiten, stellen beide Erwerbstätigkeiten in gleicher Weise „die letzte Erwerbstätigkeit“ im Sinn des § 143a Abs 2 Satz 1 erster Halbsatz ASVG dar. Dem Ende der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung infolge Bezugs von Krankengeld im Zeitpunkt der Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes in einem der beiden Versicherungsverhältnisse kommt für dessen Bemessung keine Bedeutung zu.

[24] 3.3 Auch aus der historischen Entwicklung des § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG ergibt sich nichts anderes. Daraus ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber sukzessive den Kreis der für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes relevanten Erwerbstätigkeiten verkleinert und zuletzt – zugunsten der Versicherten – bestimmte Erwerbstätigkeiten ausgeschlossen hat. Hingegen fehlen Anhaltspunkte dafür, dass – zum Nachteil der Versicherten – parallel nebeneinander ausgeübte Erwerbstätigkeiten bzw Beschäftigungsverhältnisse für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes allein deshalb ausgeschlossen werden sollten, weil zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes keine aufrechte Pflichtversicherung in der Krankenversicherung bestehen sollte (hier infolge Krankengeldbezugs nach Ende der Beschäftigungsverhältnisse). Dass die (gegenteilige) Argumentation der Beklagten zu unsachlichen und zufälligen Ergebnissen führen würde, wird in jenem Fall besonders deutlich, in dem der Entgeltfortzahlungsanspruch aus zwei parallel laufenden Beschäftigungsverhältnissen zum selben Zeitpunkt endet und danach aus beiden Versicherungsverhältnissen Krankengeld bezogen wird: Für diesen Fall gesteht die beklagte Partei selbst zu, dass sich das Rehabilitationsgeld nach dem Einkommen aus beiden Beschäftigungsverhältnissen bemessen würde. Eine – nach dem Verständnis der Beklagten – „letzte“ Erwerbstätigkeit mit Pflichtversicherung aus der Krankenversicherung ließe sich in einer solchen Situation nicht finden.

[25] 4. Für den vorliegenden Fall ergibt sich: Die Klägerin war seit 29. 4. 2015 parallel in zwei Beschäftigungsverhältnissen erwerbstätig. Beide Beschäftigungsverhältnisse sind – am 31. 8. 2018 und am 30. 9. 2018 – zu Ende gegangen. Unabhängig davon, dass die Pflichtversicherung in der Krankenversicherung in einem der beiden Beschäftigungsverhältnisse früher endete als in dem anderen, sind für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes beide Beschäftigungsverhältnisse zusammen als „letzte Erwerbstätigkeit“ im Sinn des § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG anzusehen. Die Klägerin hat daher Anspruch auf Rehabilitationsgeld im Ausmaß des Krankengeldes aus beiden Beschäftigungsverhältnissen. Dieser beträgt für den hier zu beurteilenden Zeitraum (1. 5. 2019 bis 30. 9. 2019) unstrittig 57,75 EUR brutto täglich.

[26] Der Revision ist daher Folge zu geben. Da das Erstgericht mit Teilurteil bisher nur über den Zeitraum 1. 5. 2019 bis 30. 9. 2019 entschieden hat, ist der Klägerin das von ihr begehrte Rehabilitationsgeld in Höhe von 57,75 EUR brutto täglich für diesen Zeitraum mit Teilurteil zuzuerkennen.

[27] Der Kostenvorbehalt beruht auf den §§ 52 Abs 1 und infolge des Kostenvorbehalts des Erstgerichts hier auch auf § 52 Abs 3 ZPO.

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