OGH 10ObS139/15m

OGH10ObS139/15m15.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter (Senat nach § 11a ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Mag. Johannes Sykora, Rechtsanwalt in Tulln, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, 1021 Wien, wegen Wiederaufnahme, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 19. Oktober 2015, GZ 7 Rs 113/15m‑12, mit dem der Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 2. Juni 2015, GZ 8 Cgs 104/15p‑3, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00139.15M.1215.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs der klagenden Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Ausgehend von einem durchschnittlichen monatlichen Pflegebedarf von 42,5 Stunden wies das Erstgericht im Vorverfahren mit rechtskräftigem Urteil vom 15. Dezember 2012, GZ 8 Cgs 29/11b‑27, das Klagebegehren auf Zuerkennung von Pflegegeld zumindest der Stufe 1 ab 1. November 2010 ab. Die damals getroffenen Feststellungen stützte das Erstgericht vor allem auf das Gutachten eines bestimmten medizinischen Sachverständigen.

Die am 11. Mai 2015 eingebrachte Wiederaufnahmeklage begründete die Klägerin im Wesentlichen damit, dass der seinerzeit beigezogene Sachverständige nicht zur Erstellung von Gutachten aus den Fachgebieten Lungenheilkunde, Dermatologie und Orthopädie berechtigt gewesen sei; außerdem seien bestimmte im Vorverfahren bereits vorhanden gewesene Beschwerden nicht berücksichtigt worden.

Die Vorinstanzen wiesen die Wiederaufnahmeklage im Vorprüfungsverfahren (a limine) zurück. Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin.

Rechtliche Beurteilung

Obgleich ein bestätigender Beschluss des Rekursgerichts angefochten wird, ist der Revisionsrekurs nicht absolut unzulässig, weil die Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen wurde (10 Ob 15/09t mwN). Der außerordentliche Revisionsrekurs ist jedoch mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO unzulässig.

In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs stellt die Klägerin in den Vordergrund, dass die nachträglich beweisbare fehlende Eignung des Sachverständigen (der unberechtigterweise in die Sachverständigenliste eingetragen worden sei) in Kombination mit neuen Beweisen zu der vom Sachverständigen angenommenen Befundgrundlage einen Wiederaufnahmegrund iSd § 530 Abs 1 Z 7 ZPO darstelle. Da die vierwöchige Frist nach § 534 Abs 1 ZPO erst mit der am 5. Mai 2015 erlangten Kenntnis von der fehlenden Eignung des Sachverständigen zu laufen begonnen habe, sei die Wiederaufnahmeklage nicht ‑ wie vom Rekursgericht teilweise angenommen ‑ verfristet.

Dazu ist auszuführen:

1. Nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO berechtigen nur solche neue Tatsachen und Beweismittel zur Wiederaufnahmeklage, deren Vorbringen und Benutzung in früheren Verfahren eine der Partei günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Die neuen Beweise müssen abstrakt geeignet sein, eine andere Entscheidung herbeizuführen. Lässt sich jedoch der geltend gemachte Wiederaufnahmegrund überhaupt unter keinen der im Gesetz angeführten Wiederaufnahmegründe einordnen oder steht er in keinem rechtlich beachtlichen Zusammenhang mit der angefochtenen Entscheidung, könnte der Wiederaufnahmewerber also auch bei Zutreffen der behaupteten Wiederaufnahmegründe eine Aufhebung oder Abänderung der Entscheidung nicht erreichen, so ist die Wiederaufnahmeklage bereits im Vorprüfungsverfahren zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0117780). Bei dieser Prüfung der Wiederaufnahmeklage, bei der von der im früheren Urteil zugrunde gelegten Rechtsansicht auszugehen ist, handelt es sich letztlich um eine Schlüssigkeitsprüfung (RIS‑Justiz RS0044631).

2. Ob im Einzelfall ein Vorbringen zur Darstellung eines Wiederaufnahmegrundes ausreicht oder nicht, stellt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO dar, soweit nicht eine vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit zu korrigierende krasse Fehlbeurteilung vorliegt (8 Ob 85/12a mwN). Eine derartige Fehlbeurteilung zeigt die Revisionsrekurswerberin nicht auf.

3. Wie bereits die Vorinstanzen ausführten, ist die sich aus späteren Tatumständen ergebende (mögliche) Unrichtigkeit eines Gutachtens für sich allein kein tauglicher Wiederaufnahmegrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO (RIS‑Justiz RS0044555). Dazu bedürfte es weiterer Umstände, etwa des Nachweises, dass eine behauptete Zwischenerhebung vom Sachverständigen in Wahrheit nicht durchgeführt wurde oder neue wissenschaftliche Methoden entdeckt wurden, deren Anwendung im Hauptverfahren zu anderen Erkenntnissen hätten führen können (RIS‑Justiz RS0044555 [T4]). Die von der Wiederaufnahmeklägerin in der Klage aufgestellte Behauptung, der Sachverständige hätte nicht in die Sachverständigenliste eingetragen werden dürfen und wäre dem Verfahren nicht als Sachverständiger beizuziehen gewesen, kann eine Wiederaufnahme schon allein deshalb nicht rechtfertigen, weil die Sachverständigenauswahl nicht auf die Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen beschränkt ist (§ 351 Abs 1 ZPO).

4. Dass das vom Erstgericht im Vorverfahren eingeholte Gutachten auf unzulänglichen Sachverhaltsgrundlagen beruhen solle, wurde in der Wiederaufnahmeklage nicht näher konkretisiert; vielmehr wird letztlich (nur) auf die Unrichtigkeit des Gutachtens verwiesen, die in einem Zusammenhang damit stehe, dass der Sachverständige zur Erstellung des Gutachtens gar nicht geeignet gewesen wäre.

5. Wenn aber die fehlende Eignung keinen Wiederaufnahmegrund darstellt, kann es für den Beginn des Laufs der vierwöchigen Frist nach § 534 Abs 1 ZPO nicht auf den Zeitpunkt der Erlangung der Kenntnis von dieser fehlenden Eignung ankommen.

6. Der außerordentliche Revisionsrekurs ist daher mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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