OGH 10ObS135/95

OGH10ObS135/9520.7.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Pipin Henzl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Martin Pohnitzer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Barbara P*****, Pensionistin, ***** wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr.Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschusses und Pflegegeldes infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.März 1995, GZ 8 Rs 27/95-27, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 6.September 1994, GZ 17 Cgs 1149/93v-21, bestätigt wurde in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil und der damit bestätigte Teil des Urteils des Erstgerichtes (Zuerkennung eines Hilflosenzuschusses für die Zeit vom 3.3. bis 30.6.1993 sowie eines Pflegegeldes in Höhe der Stufe 2 ab 1.7.1993) werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird in diesem Umfang an das Prozeßgericht erster Instanz zur Verhandlung und Urteilsfällung zurückverwiesen.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 28.5.1993 lehnte die Beklagte den am 3.3.1993 gestellten Antrag der Klägerin auf Hilflosenzuschuß mit der Begründung ab, daß sie nicht ständig der Wartung und Hilfe bedürfe, Solche benötige sie nämlich nur für die gründliche Wohnungsreinigung, für die Herbeischaffung der Nahrungsmittel udgl und zum Waschen der großen Wäsche.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte, der Klägerin vom 3.3. bis 30.6.1993 den Hilflosenzuschuß und ab 1.7.1993 das Pflegegeld der Stufe 2, jeweils im gesetzlichen Ausmaß, zu leisten.

Nach den wesentlichen Tatsachenfeststellungen bedarf die Klägerin seit der Antragstellung beim Ein- und Aussteigen in bzw aus der Badewanne, bei der Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten, zur Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, zur Pflege der Leib- und Bettwäsche, für die Beheizung des Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung von Heizmaterial und zur Mobilitätshilfe im weiteren Sinn Hilfe. Der zur Erledigung dieser Tätigkeiten erforderliche Zeitaufwand einer Hilfsperson beträgt 54 Stunden monatlich. Die damit verbundenen Kosten übersteigen bei einem Stundenlohn von 90 S den begehrten Hilflosenzuschuß.

Deshalb gebühre der Klägerin vom 3.3. bis 30.6.1993 ein Hilflosenzuschuß nach § 105a ASVG und ab 1.7.1993 nach dem Übergangsrecht des Bundespflegegeldgesetzes ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten die sich nur gegen den Zuspruch eines Hilflosenzuschusses für die Zeit vom 3.3. bis 30.6.1993 und eines Pflegegeldes in der Höhe der Stufe 2 ab 1.7.1993 richtete, nicht Folge. Es teilte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes. Obwohl die Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz (BGBl 1993/314) erst mit 1.7.1993 in Kraft getreten sei, könne den (in ihrem § 2 Abs 3 für die einzelenen Hilfsverrichtungen) genannten fixen Sätzen (Zeitwerten) nicht die Angemessenheit abgesprochen werden. Selbst bei Zugrundelegung eines Zeitaufwandes von nur 35 Stunden monatlich und eines Stundelohnes von 90 S überstiegen die Kosten einer Hilfskraft den begehrten Hilflosenzuschuß, so daß dessen Zuspruch für die Zeit vom 3.3. bis 30.6.1993 jedenfalls gerechtfertigt sei. Nach den Übergangsbestimmungen des BPGG sei der Klägerin daher mit Wirkung vom 1.7.1993 ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 zu gewähren.

In der unbeantwortet gebliebenen Revision macht die Beklagte unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend; sie beantragt, das angefochtene Urteil durch Abweisung des auf einen Hilflosenzuschuß für die Zeit vom 3.3. bis 30.6.1993 und auf ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 gerichteten Mehrbegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 Z 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige Revision ist iS des Aufhebungsantrages berechtigt.

Ob der Klägerin für die Zeit vom 3.3. bis 30.6.1993 die Erhöhung ihrer Pension infolge Zuerkennung eines Hilflosenschusses gebührt, ist gemäß § 43 Abs 2 BPGG nach § 105a ASVG und (noch) nicht nach § 4 Abs 1 und 2 BPGG und der Einstufungsverordnung zum BPGG zu beurteilen. Wenn der Klägerin zum 30.6.1993 ein Hilflosenzuschuß zusteht, dann ist ihr allerdings wegen der im § 43 Abs 2 zweiter Halbsatz BPGG verfügten sinngemäßen Geltung des § 38 Abs 1 erster Satz leg cit von Amts wegen mit Wirkung vom 1.7.1993 nach den Vorschriften dieses Bundesgesetzes ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 zuzusprechen. Wenn ihr zum 30.6.1993 kein Hilflosenzuschuß zusteht, hat sie seit 1.7.1993 nur Anspruch auf ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 1 (zB SSV-NF 8/58).

Nach § 105a ASVG gebührte Beziehern einer Pension, die derart hilflos waren, daß sie ständig der Wartung und Hilfe bedurften, zu der Pension ein Hilflosenzuschuß (Abs 1 Satz 1) im halben Ausmaß der Pension, jedoch (im Jahre 1993) mindestens 3002 S und höchstens 3028 S (Abs 2).

Nach der seit SSV-NF 1/46 stRsp des erkennenden Senates gebührte der Hilflosenzuschuß dann, wenn ein Pensionist oder eine Pensionistin aus gesundheitlichen Gründen notwendige Verrichtungen nicht mehr allein ausführen konnte und die deshalb aufzuwendenden Kosten fremder Hilfe üblicherweise unter Berücksichtigung zur Verfügung stehender oder Personen ähnlicher Einkommen im selben Lebenskreis üblicherweise zur Verfügung stehender Hilfsmittel mindestens so hoch waren wie der begehrte Hilflosenzuschuß.

Dies kann auf Grund der vorliegenden Feststellungen noch nicht verläßlich beurteilt werden: Das Erstgericht hat - diesbezüglich dem Gutachten der Sachverständigen für Innere Medizin folgend - hinsichtlich der Hilfsverrichtungen festgestellt, daß die Klägerin zur Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten, für die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, für die Pflege der Leib- und Bettwäsche, für die Beheizung des Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung von Heizmaterial und für die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn seit der Antragstellung fremder Hilfe bedarf. Diese Feststellungen reichen zwar für die Beurteilung aus, welchen Hilfsbedarf die Klägerin seit 1.7.1993 hat. Bei den im erwähnten Gutachten und in den erstgerichtlichen Feststellungen erwähnten Hilfsverrichtungen handelt es sich nämlich um die im § 2 Abs 2 der Einstufungsverordnung zum BPGG abschließend aufgezählten Hilfsverrichtungen, für die nach Abs 3 dieser Verordnungsstelle je ein - auf einen Monat bezogener - fixer Zeitwert von zehn Stunden anzunehmen ist.

Für die Zeit vor dem Inkrafttreten des BPGG und der erwähnten EinstufungsV am 1.7.1993 galten jedoch keine Pauschalwerte. Deshalb sind genaue Feststellungen darüber erforderlich, welche notwendigen Verrichtungen ein Pensionist oder eine Pensionistin nicht allein ausführen konnte. Da dies für die Dauer der Inanspruchnahme einer Hilfskraft von Bedeutung ist, muß hinsichtlich der Reinigung der Wohnung zB zwischen der einfachen und der gründlichen Reinigung, bei der Wäschereinigung zwischen der Reinigung der Leib- und der Bettwäsche, bei der Beheizung zwischen den eigentlichen Heizvorgängen und dem Herbeischaffen des Heizmaterials unterschieden werden. Mobilitätshilfe im weiteren Sinn wird erst durch § 2 Abs 2 EinstufungsV zum BPGG zu den notwendigen Hilfsverrichtungen gezählt (ähnlich Gruber/Pallinger, BPGG § 4 Rz 21; Pfeil, Neuregelung der Pflegevorsorge in Österreich 190f mit Judikaturangaben in FN 3 und 191 FN 1).

Hinsichtlich der Körperpflege ist genau festzustellen, welche notwendigen Verrichtungen die Klägerin in der Zeit vom 3.3. bis 30.6.1993 selbst vornehmen konnte, insbesondere ob eine Ganzkörperwaschung möglich und ausreichend war, allenfalls in welchen Zeitabschnitten ein Wannenvollbad medizinisch angezeigt war. Die Feststellung, daß die Klägerin "Mahlzeiten zubereiten kann", ist ebenfalls nicht ausreichend bestimmt. Nach ihr kann nicht beurteilt werden, ob es der Klägerin im genannten Zeitraum möglich war, sich ua einmal täglich eine warme Mahlzeiten zu kochen und allfällige Diätvorschriften zu beachten. (Der Sachverständige für Chirurgie führte in seinem schriftlichen Gutachten aus, daß die Klägerin "einfache Speisen" zubereiten könne. Die Sachverständige für Innere Medizin erwähnte in ihrem schriftlichen Gutachten, daß die Klägerin "Mahlzeiten" zubereiten könne; hinsichtlich der Zuckerkrankheit sei das Diätverhalten nicht zufriedenstellend; Gallensteinanfällen können durch Einhalten einer Diät entgegengewirkt werden.)

Die bisherigen Feststellungen über die Fähigkeit der Klägerin zur Ausübung notwendiger Verrichtungen im erwähnten Zeitraum sind aber auch aus einem anderen Grund ergänzungsbedürftig: Sie berücksichtigen nämlich offensichtlich nur das Leistungskalkül der Sachverständigen für Innere Medizin, das sich auf die Auswirkungen der in dieses medizinische Fachgebiet fallenden Leidenszustände beschränkt. Da auch vom Sachverständigen für Chirurgie diagnostizierte, in sein Fachgebiet fallende Leidenszustände festgestellt wurden, sind auch deren Auswirkungen zu berücksichtigen. Dazu ist ein zusammenfassendes ärztliches Gutachten erforderlich.

Zur Behebung dieser wesentlichen Feststellungsmängel ist die Sache an das Prozeßgericht erster Instanz zur Verhandlung und Urteilsfällung zurückzuverwiesen (§ 496 Abs 1 Z 3, § 499 Abs 1, § 503 Z 4, §§ 510 und 513 ZPO).

Sollte der Klägerin auch im zweiten Rechtsgang bis 30.6.1993 ein Hilflosenzuschuß und ab 1.7.1993 ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 zuerkannt werden, dann werden diese Leistungen mangels der Voraussetzungen des § 89 Abs 2 ASGG in bestimmter Höhe zuzusprechen sein.

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