OGH 10ObS134/97x

OGH10ObS134/97x7.5.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr.Andreas Linhart (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Willy W*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr.Hermann Rieder, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18.Dezember 1996, GZ 23 Rs 13/96z-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 3.Juli 1996, GZ 55 Cgs 71/95v-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 14.7.1919 geborene Kläger leidet an einer medial- und lateralseitigen Gonarthrose (degenerative Gelenkserkrankung) mit deutlich lateralseitigen Osteophyten (Knochenneubildungen) am Tibiaplateau und Retropatellararthrose am linken Kniegelenk, einer mäßiggradigen Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule, einer leichtgradigen Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule sowie an einem Zustand nach einem Herpes zoster (Gürtelrose) rechts ohne manifeste neurologische Ausfallssymptomatik. Er bedarf Hilfe bei der Herbeischaffung von Lebensmitteln und Medikamenten, der Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände sowie bei der Pflege der Leib- und Bettwäsche. Die Zubereitung von Mahlzeiten (im Stehen) ist dem Kläger nur möglich, wenn sie nicht mehr als 20 bis 30 Minuten dauert; danach müßte er zumindest eine Viertelstunde sitzen können.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 1 im gesetzlichen Ausmaß ab 1.10.1994 zu zahlen. Es gelangte in rechtlicher Beurteilung des Sachverhaltes zu dem Ergebnis, daß der Pflegebedarf des Klägers durchschnittlich mehr als 50 Stunden monatlich betrage. Insbesondere benötige er Betreuung bei der Zubereitung von Mahlzeiten im Umfang von einer Stunde täglich. Der Auffassung der Beklagten, daß der Kläger auch im Sitzen kochen könne, sei entgegenzuhalten, daß ihm dies unzumutbar wäre, weil er immer wieder aufstehen müßte, um Töpfe oder Zutaten aus den höherliegenden Regalen des Küchenschranks zu holen. Davon abgesehen widerspreche es der allgemeinen Lebenserfahrung, daß eine ordentliche und ausgewogene Mahlzeit in einem Zeitraum von 20 bis 30 Minuten zubereitet werden könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Die Sachverhaltsrüge, wonach der Kläger alle für die Zubereitung einer Mahlzeit erforderlichen Tätigkeiten nicht notwendigerweise im Stehen verrichten müsse, weil es durchaus möglich und zumutbar sei, im Sitzen zu kochen, sei grundsätzlich berechtigt, doch nicht ausschlaggebend. Der Kläger besitze nämlich trotz der vorhandenen Einschränkungen jedenfalls in ausreichendem Maß die Gewandtheit, sich nicht bloß unter Verwendung etwa handelsüblicher Tiefkühlkost und Fertiggerichten, sondern grundsätzlich auch aus Frischprodukten komplette aus einem Gang bestehende Mahlzeiten (Hausmannskost) zuzubereiten. Es sei nicht erforderlich, daß ein Pflegegeldwerber sich mehrgängige Menüs kochen könne. Der Kläger sei jedenfalls noch in der Lage, eine aus einem Gang bestehende Mahlzeit etwa mit Fleisch, Salat und Zuspeise selbst zuzubereiten. Dabei sei zu berücksichtigen, daß die Vorbereitungsarbeiten und das Abwarten der Garzeit unter Umständen auch in einer sitzenden Körperhaltung erfolgen könnten und einige Vorbereitungen des Kochens bereits vor dem eigentlichen Kochvorgang zu treffen seien. Die nach dem eigentlichen Kochen erforderlichen Arbeiten könnten auf eine spätere Zeit verschoben werden, so daß es insgesamt betrachtet durchaus möglich erscheine, eine ordentliche Mahlzeit für eine Person in einer halben Stunde zuzubereiten. Aus dem Umstand, daß gemäß § 1 Abs 4 EinstV für das Zubereiten der Mahlzeiten ein Betreuungsaufwand von täglich einer Stunde vorgesehen sei, lasse sich nicht ableiten, daß etwa die Hauptmahlzeit für sich allein in ihrer Zubereitung diese Stunde in Anspruch nehme, weil ja mit der genannten Betreuungszeit die Zubereitung sämtlicher Mahlzeiten berücksichtigt werde. Es sei daher davon auszugehen, daß der Kläger noch in der Lage sei, sich selbst eine ordentlich gekochte warme Mittagsmahlzeit zuzubereiten. Sollte er fallweise zum Zubereiten spezieller Gerichte eine Hilfe brauchen, rechtfertige dies noch nicht, ihm dafür eine Betreuungsaufwand zuzubilligen, weil nach § 1 Abs 1 EinstV unter Betreuung nur alle in relativ kurzer Folge notwendigen Verrichtungen anderer Personen zu verstehen seien. Davon könne jedoch dann nicht gesprochen werden, wenn jemand nur fallweise zum Zubereiten spezieller Gerichte aus Frischprodukten einer Hilfe bedürfe (SSV-NF 9/42). Der Pflegebedarf des Klägers übersteige daher nicht 50 Stunden monatlich (§ 4 Abs 2 BPGG).

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Er beantragt die Abänderung dahin, daß das Urteil der ersten Instanz wieder hergestellt werde.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

In seiner Mängelrüge macht der Kläger geltend, daß ihm nach der Stellungnahme eines gerichtsärztlichen Sachverständigen die Zubereitung von Mahlzeiten zunehmend Beschwerden bereite und eine Stunde Hilfestellung pro Tag ausreichend erscheine. Konkrete Feststellungen im Sinne der vom Berufungsgericht vorgenommenen Beurteilung fehlten, so daß eine erschöpfende Erörterung nicht möglich gewesen wäre. In seiner Rechtsrüge weist der Kläger darauf hin, daß er sich mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand und sein Alter mit einem eingängigen Menü nicht begnügen müsse und daß es nicht möglich sei, eine ordentliche Mahlzeit in einer halben Stunde zuzubereiten.

Diesen Ausführungen ist im Ergebnis nicht beizupflichten. Es ist richtig, daß der orthopädische Sachverständige zunächst ausführte, die Zubereitung von Mahlzeiten bereite dem Kläger zunehmend Beschwerden, da längeres Stehen Schmerzen im Knie bereite. Diese Aussage wurde im zusammenfassenden Gutachten des Internisten wiederholt. Die Feststellung des Erstgerichtes, daß der Kläger nach Arbeiten im Stehen von 20 bis 30 Minuten zumindest eine Viertelstunde sitzen müsse, ist im Lichte der Ausführungen des orthopädischen Ergänzungsgutachtens zu sehen: Danach gebe es keinen Grund, daß der Kläger nicht sitzen könne, weshalb er "theoretisch" auch im Sitzen kochen könne, es komme am ehesten auf die Gegebenheiten in der Küche an, ob der Kläger im Sitzen kochen könne. Gemäß § 3 Abs 1 der Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz, BGBl 1993/314 (EinstV) ist Pflegebedarf insoweit nicht anzunehmen, als die notwendigen Verrichtungen vom Anspruchswerber durch die Verwendung einfacher Hilfsmittel selbständig vorgenommen werden können oder könnten und ihm der Gebrauch dieser Hilfsmittel mit Rücksicht auf seinen physischen und psychischen Zustand zumutbar ist. "Einfache" Hilfsmittel sind solche, die ohne größeren Aufwand insbesondere auch in finanzieller Hinsicht angeschafft werden können; "zumutbar" ist der Gebrauch eines solchen Hilfsmittels, wenn es ohne besondere Einschulung verwendet werden kann und keine besonderen Fähigkeiten voraussetzt (10 ObS 2333/96b - teilweise veröffentlicht ARD 4810/31/97; 10 ObS 111/97i; Gruber/Pallinger, BPGG Rz 28 bis 33 zu § 4; Pfeil, Neuregelung der Pflegevorsorge 192 f; derselbe, BPGG 93 f jeweils mit Beispielen). So wurde etwa ein Betreuungsbedarf bei der Körperreinigung dann nicht angenommen, wenn der Betroffene zwar keine Badewanne benützen kann, aber in der Lage ist, auf einem Duschsessel zu sitzen und sich sitzend zu reinigen (SSV-NF 8/79 mwN). Auch ein geeigneter Küchenhocker, der das Arbeiten im Sitzen ermöglicht, muß im Sinne dieser Ausführungen als einfaches und zumutbares Hilfsmittel angesehen werden. Es ist offenkundig und bedarf keines Beweises, daß auch die Zubereitung warmer Mahlzeiten nicht ununterbrochenes Arbeiten im Stehen erfordert, sondern weitgehend im Sitzen verrichtet werden kann. Nach den Feststellungen kann der Kläger aber 20 bis 30 Minuten im Stehen arbeiten, bevor er eine viertelstündige Pause im Sitzen einlegen muß, wobei er aber auch in dieser Pause sitzende Tätigkeiten verrichten kann, weil sich diese Pause ganz offensichtlich nur auf das Stehen bezieht. Der Einwand des Erstgerichtes, er müsse immer wieder aufstehen, um Töpfe und Zutaten aus den höherliegenden Regalen des Küchenschranks zu holen, ist nicht stichhältig, weil gerade dieser Bewegungswechsel vom Sitzen zum Stehen nach den Feststellungen nicht ausgeschlossen ist. Schmerzen treten ja dann auf, wenn der Kläger 20 bis 30 Minuten ununterbrochen steht. Daß jemand bei der Zubereitung der Mahlzeiten fallweise sitzen muß, macht ihm - wie der Senat in SSV-NF 9/13 ausgesprochen hat - diese Verrichtung nicht iS des § 3 Abs 1 EinstV unzumutbar. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch darauf verwiesen, daß zumindest Vorbereitungsarbeiten und das Abwarten der Garzeit in einer sitzenden Körperhaltung erfolgen können. Auf die weiter erörterte Frage, ob eine Zeit von 20 bis 30 Minuten ausreicht, um eine komplette warme Mahlzeit zuzubereiten, kommt es daher im vorliegenden Fall gar nicht an.

Daraus ergibt sich, daß der Kläger keiner Betreuung im Zusammenhang mit der Zubereitung von Mahlzeiten von einer Stunde täglich bedarf. Unstrittig ist, daß unter diesen Voraussetzungen der erforderliche Pflegebedarf des Klägers 50 Stunden monatlich nicht übersteigt. Nach § 4 Abs 2 BPGG besteht in einem solchen Fall kein Anspruch auf Pflegegeld.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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