OGH 10ObS127/23h

OGH10ObS127/23h21.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dora Camba und David Hobel, LL.M., (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 17. Oktober 2023, GZ 6 Rs 44/23 x‑49, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00127.23H.1121.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist selbstständig erwerbstätig und betreibt in Graz ein Reinigungsunternehmen. Nach Besichtigung einer von seinem Unternehmen betreuten Baustelle in Graz fuhr er am 29. Juli 2021 mit einem Monowheel – einem elektrisch betriebenem Einrad ohne Griffe und Lenkstange, das eine Geschwindigkeit von 25 km/h erreichen kann und nur durch Verlagerungen des Gewichts gelenkt, beschleunigt und gebremst wird – direkt zurück in sein Büro, wobei er aus ungeklärter Ursache stürzte und sich einen Bruch des linken Schienbeinkopfs zuzog.

[2] Der Kläger besitzt zwar einen Pkw und einen Führerschein; die rund fünf Kilometerlange Strecke zwischen der Baustelle und seinem Büro hätte er überdies auchmit dem Bus in rund 30 Minuten zurücklegen können. Er entschied sich aus Umweltschutzgründen aber für das Monowheel. Da der Kläger schon seit mehr als zehn Jahren an einem Karpaltunnelsyndrom leidet, war das aus neurologischer Sicht sinnvoll, weil das Fahrenmit einem Fahrrad oder E‑Bike im Vergleich zur Verwendung des Monowheels Gefühlsstörungen im Bereich seiner Hände verursacht. Die Verwendung des Monowheels war wegen der Einschränkungen des Klägers als medizinisch positiv indiziert anzusehen, wobei ihm alternativ das Verwenden eines Pkw zumutbar gewesen wäre.

[3] Mit Bescheid vom 19. Jänner 2022 sprach die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen aus, dass das Ereignis vom 29. Juli 2021 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde.

[4] Die Vorinstanzen wiesen die dagegen erhobene Klage ab. Zwar sei das Verwenden des Monowheels aufgrund der gesundheitlichen Prädisposition des Klägers sinnvoll bzw medizinisch positiv indiziert gewesen. Es wäre ihm jedoch zumutbar gewesen, den Weg mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Dem stehe der Grundsatz der freien Wahl des Verkehrsmittels nicht entgegen, weil das Fahren mit einem bis zu 25 km/h schnellen und nur schwer handhabbaren Monowheel nach der Rechtsprechung den am Arbeitsweg gegebenen Zusammenhang mit dem geschützten Lebensbereich aufhebe.

Rechtliche Beurteilung

[5] In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[6] 1. Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits zu 10 ObS 150/20m (DRdA 2021/45 [Pfalz]; EvBl 2021/67 [Labner]; DRdA‑infas 2021, 223 [Marcian]) mit einem Wegunfall mit einem Monowheel ausführlich befasst. Die Kernaussagen dieser Entscheidung lassen sich dahin zusammenfassen, dass dem Versicherten zwar die Wahl des Verkehrsmittels bzw die Art der Fortbewegung auf Arbeitswegen grundsätzlich frei steht. Allerdings ist eine Grenze zwischen allgemein üblichen Verkehrsmitteln und Spiel- und Sportgeräten wie Monowheels, die vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmt sind und nicht vorrangig einem Verkehrsbedürfnis dienen, sondern einen Spiel- und Freizeitzweck verfolgen, zu ziehen. Entscheidend ist dabei, dass ein sicheres Fahren mit einem Monowheel wegen seiner technischen Eigenschaften nicht gewährleistet ist. Wenn sich die daraus resultierende besondere Gefahr verwirklicht, stellt das keine typische Gefahr eines Arbeitswegs dar, die vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst sein soll. Das auf persönliche Gründe zurückgehende Verwenden eines Spiel‑ bzw Sportgeräts ist vielmehr dem privaten Lebensbereich zuzuordnen. Für den mit einem Monowheel zurückgelegten Arbeitsweg besteht demnach kein Versicherungsschutz, es sei denn, die Unfallfolgen sind nicht auf die Verwendung des Sportgeräts, sondern auf allgemeine Weggefahren zurückzuführen.

[7] 2. Diese Rechtsprechung, auf die sich auch die Vorinstanzen gestützt haben, stellt der Kläger nicht in Frage. Seiner Ansicht nach bezieht sie sich aber nur auf Versicherte, die freiwillig ein Spiel‑ und Sportgerät für ihren Arbeitsweg verwenden, obwohl sie auch jedes andere Verkehrsmittel benutzen könnten, weil nur dann von einer Betätigung im (rein) privaten Interesse auszugehen sei. Bei ihm sei die Verwendung des Monowheels dagegen medizinisch indiziert gewesen. Zur Frage, ob das medizinisch indizierte Verwenden eines Spiel‑ und Sportgeräts den Versicherungsschutz ebenfalls ausschließe, habe der Oberste Gerichtshof bislang noch nicht Stellung genommen.

[8] 3. Mit dieser Argumentation vermag der Kläger die Zulässigkeit der Revision nicht zu begründen.

[9] 3.1. Die Zuordnung zum privaten Lebensbereich beruht darauf, dass das Verwenden des Sportgeräts aus persönlichen Gründen erfolgte (10 ObS 150/20m [Rz 34]; Müller in Mosler/Müller/Pfeil, SV‑Komm § 175 ASVG Rz 170). Es mag sein, dass diese Voraussetzung unter Umständen nicht erfüllt ist, wenn das Sportgerät für den Versicherten das einzig mögliche Fortbewegungsmittel darstellt. Ein solcher Fall ist hier aber nicht zu beurteilen.

[10] Nach den Feststellungen war das Verwenden des Monowheels zwar sinnvoll und medizinisch positiv indiziert. Der Kläger übergeht aber, dass das nur im Vergleich zur Fahrt mit einem Fahrrad oder E‑Bike (und wohl auch allen anderen einspurigen Fahrzeugen) der Fall war. Tatsächlich war somit nicht das Fahren mit dem Monowheel medizinisch indiziert, sondern nur das Fahren mit einem Fahrrad (E‑Bike, Motorrad etc) kontraindiziert. Das Verwenden eines Autos war ihm hingegen sehr wohl möglich. Der Kläger bestreitet auch die Ansicht des Berufungsgerichts nicht, dass ihm überdies noch öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung gestanden wären. Die Kritik, die Vorinstanzen hätten den Umstand, dass er das Monowheel aufgrund medizinischer Indikation fährt, nicht berücksichtigt, geht daher nicht vom festgestellten Sachverhalt aus (vgl RIS‑Justiz RS0043312; RS0043603). Nach diesem stellt sich die von ihm formulierte Zulassungsfrage im Anlassfall nicht, weil das Fahren mit dem Monowheel keineswegs alternativlos war. Wenn er sich daher für das Sportgerät und gegen andere ihm zur Verfügung stehende allgemein übliche Verkehrsmittel entscheidet, erfolgt das im Sinn der Rechtsprechung ebenfalls aus persönlichen Gründen bzw freiwillig.

[11] 3.2. Soweit sich der Kläger in diesem Kontext dagegen wendet, dass ihn das Berufungsgericht auf ein öffentliches Verkehrsmittel verweist, ist zwar richtig, dass dem Versicherten die Wahl des Verkehrsmittels bzw die Art der Fortbewegung auf Arbeitswegen grundsätzlich frei steht (RS0084159; RS0084814). Die Frage, ob dieser Grundsatz auch ein Monowheel erfasst, hat der Oberste Gerichtshof aber bereits zu 10 ObS 150/20m (Rz 26) verneint. Die nicht näher begründeten Ausführungen des Klägers geben keinen Anlass, davon abzugehen.

[12] Ebenso wenig legt der Kläger dar, warum seine subjektive Ansicht, das Verwenden eines privaten Autos sei (zwar grundsätzlich möglich aber) keine sinnvolle Alternative mehr, dazu führen soll, das Fahren mit einem Sportgerät unter Versicherungsschutz zu stellen.

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