OGH 10ObS112/20y

OGH10ObS112/20y13.10.2020

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann als weitere Richter (Senat nach § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Uwe Foidl, Rechtsanwalt in Fügen, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, 1021 Wien, wegen Ausgleichszulage, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 1. Juli 2020, GZ 210 Rs 4/20i‑21, mit dem die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 28. Februar 2020, GZ 48 Cgs 182/19d‑14, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00112.20Y.1013.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

[1] Die 1959 geborene Klägerin, eine deutsche Staatsangehörige, lebte bis zum 8. 9. 2016 ständig in Deutschland. Seit 8. 9. 2016 hält sie sich ständig in Tirol auf. Von Dezember 2016 bis März 2017 und von Mai bis Juni 2017 verdiente sie als Rezeptionistin/Zimmermädchen monatlich ca 1.000 EUR netto. Von 1. 1. 2018 bis 31. 3. 2019 war sie geringfügig beschäftigt und verdiente monatlich 178 Euro netto. Seither war sie nicht mehr erwerbstätig. Seit 1. 5. 2019 bezieht sie in Österreich eine Pension von monatlich 15,79 EUR. Die Wohnkosten in Österreich betragen inklusive Strom ca 775 EUR monatlich. Dazu kommen jährliche Kosten von 1.070 EUR für Kfz‑, Haushalt‑ und Unfallversicherung. Seit Mai 2019 erhält die Klägerin eine Mietzinsbeihilfe und einen Mietzuschuss von insgesamt 511 EUR monatlich. Seit 19. 8. 2019 bezieht sie die bedarfsorientierte Mindestsicherung von 649,13 EUR.

[2] Mit Bescheid vom 21. 10. 2019 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag vom 6. 11. 2018 auf Gewährung einer Ausgleichszulage ab. Da die Klägerin nicht über die erforderlichen Existenzmittel verfüge, liege kein rechtmäßiger Aufenthalt im Inland vor.

[3] Die Klägerin begehrte in ihrer Klage die Gewährung einer Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 5. 2019.

[4] Die Beklagte bestritt weiterhin den rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich.

[5] Das Erstgericht folgte dem Standpunkt der Beklagten und wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG) nicht. Sie halte sich noch nicht fünf Jahre ständig in Österreich auf und habe daher kein Daueraufenthaltsrecht nach § 53a Abs 1 NAG. Die Dreijahresfrist des § 53a Abs 3 Z 1 NAG komme nicht in Betracht, weil die Klägerin zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter noch nicht erreicht hätte. Da sie seit Mai bzw August 2019 Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehme, stehe der Aufenthaltstitel nach § 51 Abs 1 Z 2 NAG nicht zu. Das Abkommen zwischen Österreich und Deutschland über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege sei im Zusammenhang mit der Ausgleichszulage nicht anzuwenden. Dieses Abkommen erfasse solche Hilfeleistungen aus öffentlichen Mitteln zur Deckung und Sicherung des Lebensbedarfs für Personen, die keine anderen Voraussetzungen als die der Hilfsbedürftigkeit zu erfüllen haben. Das sei in Bezug auf die Ausgleichszulage nicht der Fall, weil diese – bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen – lediglich Pensionsbeziehern zustehe. Das ASVG (die Rechtsgrundlage für die Ausgleichszulage) sei im Anhang 1 des vorgenannten Abkommens nicht angeführt, obwohl zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens die §§ 292 ff ASVG bereits in Geltung gestanden seien.

[6] Die anwaltlich vertretene Klägerin bekämpfte in ihrer Berufung dieses Urteil ausschließlich wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Die Argumente in der Rechtsrüge lauteten:

„Hinsichtlich der Klägerin liegt ein rechtmäßiger Aufenthalt in Österreich vor. Es besteht auch der Hauptwohnsitz in Österreich. Tatsächlich ist das Abkommen zwischen Österreich und Deutschland über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege im Zusammenhang mit der Ausgleichszulage anzuwenden. Auch ist das ASVG als Rechtsgrundlage für die Ausgleichszulage anzusehen. Insbesondere auch aus diesen Gründen steht der Klägerin ein Anspruch auf Leistung aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung zu.“

[7] Das Berufungsgericht wies die Berufung als nicht gesetzmäßig ausgeführt zurück. Seiner Ansicht nach setzt sich die Rechtsrüge inhaltlich nicht mit der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts auseinander.

[8] Der – nicht beantwortete – Rekurs der Klägerin ist nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[9] 1. In einer ordnungsgemäß ausgeführten Rechtsrüge muss nach der Rechtsprechung dargelegt werden, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung unrichtig sein soll, weil sonst eine Überprüfung der im angefochtenen Urteil vertretenen Rechtsansicht ausgeschlossen ist (RIS‑Justiz RS0043654 [T15]; RS0043312; RS0043605).

[10] 2. Diese Anforderungen erfüllt die in der Berufung enthaltene Rechtsrüge nicht, weil sie sich inhaltlich mit den Argumenten des Erstgerichts überhaupt nicht auseinandersetzt. Dieses hat – bezugnehmend auf konkrete Bestimmungen des NAG – dargelegt, warum die Klägerin keinen rechtmäßigen Aufenthalt als Voraussetzung für die Gewährung einer Ausgleichszulage (§ 292 Abs 1 ASVG) für sich beanspruchen kann. Klargestellt wurde auch, aus welchen Gründen das Abkommen zwischen Deutschland und Österreich über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege nicht anzuwenden und aus diesem Abkommen kein Anspruch auf Gewährung einer Ausgleichszulage abzuleiten ist. Die Rechtsrüge erschöpft sich in der Behauptung, dass die Beurteilung des Erstgerichts unrichtig ist, enthält aber keine konkrete Begründung für diesen Rechtsstandpunkt.

[11] 3. Der Beurteilung des Rekursgerichts, die nach diesen Kriterien nicht gesetzmäßig ausgeführte Berufung sei ohne Verbesserungsverfahren zurückzuweisen, entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RS0036173; 1 Ob 26/18g mwN). Der Rekurs lässt auch jegliche Ausführungen vermissen, welches zielführende Vorbringen eine verbesserte Rechtsrüge enthalten hätte.

[12] 4. Kosten wurden nicht verzeichnet, weshalb eine Kostenentscheidung entfallen kann.

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