OGH 10ObS110/91

OGH10ObS110/9123.4.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Anton Haschka (Arbeitgeber) und Johann Sallmutter (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hubert G*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Gerhard Delpin, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ARBEITER (Landesstelle Graz), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Oktober 1990, GZ 7 Rs 90/90-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 17. Mai 1990, GZ 23 Cgs 33/90-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 26. Oktober 1928 geborene Kläger, der seit 1. April 1984 die Invaliditätspension von zuletzt S 12.616,30 monatlich bezieht, erlitt am 31. März 1987 bei einem Sturz durch eine Glastür eine Schnittverletzung des linken Oberarmes mit kompletter Durchtrennung des Gefäßnervenstranges. Daraus resultiert eine Lähmung im Bereich der linken Hand; es liegt eine Krallenhand vor. Der Kläger, der Linkshänder war, jedoch mit der rechten Hand schreibt, ist seither praktisch als einarmig anzusehen. Mit der behinderten linken Hand können lediglich grobe Hilfsarbeiten wie z.B. das Anklemmen von Gegenständen zur Hilfeleistung vollbracht werden. Bei Behinderungen, die einer Einarmigkeit gleichzuhalten sind, kommt es zu einer gewissen Gewöhnungs- und Anlernphase, die bei einem Menschen im Alter des Klägers rund ein Jahr beträgt. Der Kläger bewohnt mit seiner Gattin ein Einfamilienhaus, das mit einer Zentralheizung für feste Brennstoffe ausgestattet ist. Die nächste Einkaufmöglichkeit ist drei bis vier Gehminuten entfernt. Hiezu ist das Überqueren einer stark befahrenen Straße ohne Schutzweg und Ampelregelung für Fußgänger erforderlich.

Mit Bescheid vom 28. Dezember 1989 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter den Antrag des Klägers vom 25. Oktober 1989 auf Gewährung des Hilflosenzuschusses ab.

Der dagegen erhobenen Klage gab das Erstgericht dahin statt, daß es die beklagte Partei verurteilte, dem Kläger ab 1. November 1989 den Hilflosenzuschuß in der gesetzlichen Höhe zu zahlen und eine vorläufige Zahlung von S 2.542,-- monatlich zu erbringen. Durch die Schwerhörigkeit und Sehbehinderung sei der Kläger im Straßenverkehr gefährdet. Dem Kläger sei es nur mehr mit fremder Hilfe möglich, sich vollständig an- und auszukleiden, da ein vollständiges An- und Auskleiden mit einer Hand nicht möglich sei. Der Kläger könne Speisen aufwärmen und auch Speisen selbst zubereiten, sofern dies mit einer Hand durchgeführt werden kann. Das Waschen der kleinen Leibwäsche sei ihm insoweit zumutbar, als dies mit einer Hand möglich ist. Nicht zumutbar sei das Aufräumen der Wohnung, das Beheizen des Ofens. das Herbeischaffen von Brennstoff und das Einkaufen, soweit dies mit einer Umhängetasche nicht möglich ist. Die ausschließliche Zusichnahme von Tiefkühlkost sei medizinisch kontraindiziert. Zumindest zwei- bis dreimal in der Woche müßte diese Kost durch frisch zubereitete Speisen ergänzt werden. Der monatliche Aufwand für Fremdhilfe sei mit insgesamt 34 Stunden festzusetzen und zwar für das Zubereiten frischer Speisen mit 12 Stunden, für das vollständige An- und Auskleiden mit 4 Stunden, für die gründliche und korrekte Körperhygiene ebenfalls mit 4 Stunden, für das Einkaufen mit 6 Stunden und für die Wäsche und Reinigungsarbeiten mit 8 Stunden. Bei einem angenommenen Stundensatz von S 80,-- für eine Hilfskraft werde die Höhe des begehrten Hilflosenzuschusses erreicht.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im klagsabweisenden Sinne ab. Es verneinte zunächst den in der Berufungsbeantwortung des Klägers erhobenen Einwand der mangelnden Parteistellung der Hauptanstalt der beklagten Partei und verwies darauf, daß der in erster Instanz eingeschrittenen Landesstelle Graz keine eigene Rechtspersönlichkeit zukomme; die Berufung sei nicht von der Hauptstelle, sondern vom Sozialversicherungsträger erhoben worden und daher sachlich zu behandeln. Im übrigen ging das Berufungsgericht davon aus, daß mit Rücksicht auf die Pensionshöhe der begehrte Hilflosenzuschuß im Höchstbetrag von S 2.784,-- ohne Sonderzahlungen gebühren würde. Der vom Erstgericht ermittelte monatliche Aufwand würde nur S 2.720,-- ohne Sonderzahlungen ausmachen, also den begehrten Hilflosenzuschuß gar nicht erreichen. Im übrigen sei der Hilfebedarf des Klägers vom Erstgericht zu hoch eingeschätzt worden. Der anscheinend beidhändig gewesene Kläger müsse nach einer Angewöhnungszeit von mehr als einem Jahr imstande sein, sich selbst mit der gesunden rechten Hand entsprechend an- und auszukleiden und die Körperreinigung vorzunehmen. Bereits aus diesen Gründen sei auszuschließen, daß die übrigen Fremdleistungen, die ein einarmiger Pensionist nicht selbst verrichten könne, einen Aufwand erforderten, der die Höhe des begehrten Hilflosenzuschusses auch nur annähernd erreichen könnte.

Die dagegen vom Kläger erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsgrund der Nichtigkeit nach § 503 Z 1 ZPO liegt nicht vor.

Zu Unrecht meint der Revisionswerber, die Berufung hätte deshalb zurückgewiesen werden müssen, weil sie nicht von der Landesstelle Graz erhoben worden sei. Dabei wird - wie schon in der Berufungsbeantwortung - verkannt, daß beklagte Partei dieses Verfahrens immer nur die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter als Trägerin der Pensionsversicherung der Arbeiter nach dem ASVG für das gesamte Bundesgebiet sein kann (§ 25 Abs. 1 Z 1 lit. a ASVG), und zwar als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Rechtspersönlichkeit (§ 32 Abs. 1 leg.cit.). Bei der Hauptstelle und den Landesstellen handelt es sich, wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (SSV-NF 1/71, 10 Ob S 346/90, zuletzt 10 Ob S 69/91), nur um Einrichtungen des Versicherungsträgers, die seine Verwaltung zu führen haben (§ 418 ASVG), aber keine Rechtspersönlichkeit besitzen. Der Generaldirektor Ferdinand E wurde von der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter bevollmächtigt und war somit befugt, die Berufung namens der beklagten Partei zu unterfertigen (vgl. § 40 Abs. 1 Z 3 ASGG). Für eine Zurückweisung der Berufung bestand daher ebensowenig Anlaß wie zur allfälligen Einleitung eines Verbesserungsverfahrens.

Auch die geltend gemachten Berufungsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor. Der Einwand, das Berufungsgericht sei ohne Beweiswiederholung von den erstgerichtlichen Feststellungen abgewichen, ist verfehlt; es hat lediglich bei Behandlung der Rechtsrüge die vom Erstgericht in Anwendung des § 273 ZPO ermittelte Stundenzahl der notwendigen Hilfeleistungen als überhöht betrachtet. Das Ergebnis der Festsetzung nach § 273 ZPO war uach nicht mit dem Berufungsgrund der unrichtigen Beweiswürdigung, sondern mit dem der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu bekämpfen (Fasching ZPR2 Rz 871; SSV-NF 3/72, 10 Ob S 74/91; weitere Judikaturnachweise bei Stohanzl, JN und ZPO 734 E 5 zu § 273 ZPO). Wenn das Berufungsgericht aus der Tatsache, daß der Kläger zwar festgestelltermaßen Linkshänder war, jedoch mit der rechten Hand schreibt, den Schluß zog, er sei beidhändig gewesen, so liegt hierin ebensowenig eine Aktenwidrigkeit wie in der rechtlichen Ausführung, der Kläger hätte nach einer Angewöhungszeit von mehr als einem Jahr imstande sein müssen, sich selbst entsprechend an- und auszukleiden und am Körper zu reinigen.

Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt ist die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, daß die vom Kläger für die notwendigen Dienstleistungen überlicherweise aufzuwendenden Kosten nicht annähernd so hoch sind wie der begehrte Hilflosenzuschuß (vgl. SSV-NF 1/46 uva), und daher ein Anspruch darauf nicht besteht, zutreffend. Insgesamt kommt auch der erkennende Senat innerhalb des ihm eingeräumten Ermessens (vgl. SSV-NF 3/72; 10 Ob S 254/90, 10 Ob S 69/91) zu diesem Ergebnis. Ergänzend sei den Revisionsausführungen folgendes entgegenzuhalten:

Der Oberste Gerichtshof hat in früheren Entscheidungen (SSV-NF 1/46 ua) auf den monatlichen Durchschnitt des Hilflosenzuschusses abgestellt; er hatte dabei jene Fälle im Auge, in denen Hilfskräfte in der Praxis üblicherweise keine Sonderzahlungen erhalten. Geht man aber, wie der Kläger dies fordert, von dem nach den Mindestlohntarifen zustehenden Entgelt aus, so müßte darauf bedacht genommen werden, daß die in Betracht kommenden Dienstnehmer Anspruch auf Sonderzahlungen haben, weshalb nur der Betrag des monatlichen Hilflosenzuschusses berücksichtigt werden könnte (SSV-NF 3/72). Wenn der Revisionswerber darauf verweist, daß ein Dienstnehmer auf die ihm aus einem Kollektivvertrag oder Mindestlohntarif gebührenden Rechte nicht wirksam verzichten könnte, so ist ihm entgegenzuhalten, daß nach dem für Hausgehilfen und Hausangestellte geltenden Mindestlohntarif des Bundeslandes Steiermark, wirksam ab 1. Jänner 1989, der Bruttostundenlohn einer Bedienerin, die nicht in die Hausgemeinschaft des Arbeitgebers aufgenommen ist, nur S 48,30 beträgt. Selbst wenn man von einem Hilfebedarf von 34 Stunden monatlich ausgeht,- was schon deshalb offenbar weit überhöht ist, weil nicht einsichtig ist, warum ein Einarmiger, der darüber hinaus nur im Hörvermögen eingeschränkt ist (die Sehleistung in der Ferne ist nicht behindert), nicht ohne fremde Hilfe einkaufen können soll -, errechnet sich bei einem solchen Stundenlohn ein Bruttobezug von S 1.642,20. Hilfspersonen mit einer als geringfügig anzusehenden Beschäftigung (Entgelt - 1989 - höchstens S 2.593,-- monatlich) sind gemäß § 5 Abs. 1 Z 2, Abs. 2 ASVG von der Vollversicherung ausgenommen; die allenfalls gemäß § 7 Z 3 lit. a ASVG bestehende Teilversicherung in der Unfallversicherung würde eine Erhöhung des monatlichen Aufwandes auf S 1.665,20 ergeben. Das Erstgericht hat auch den notwendigen Stundenaufwand reichlich und keinesfalls zu gering veranschlagt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Kläger im Unterschied zu Einarmigen, die häufig noch im Berufsleben stehen und alle damit verbundenen Tätigkeiten erledigen, noch die behinderte Hand als Hilfshand einsetzen kann (10 Ob S 59/90). Schließlich hat der ärztliche Sachverständige sämtliche von ihm angeführten Behinderungen ausschließlich auf die faktische Einarmigkeit des Klägers gestützt (vgl. Protokoll ON 6 S. 5).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.

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