OGH 10Ob90/15f

OGH10Ob90/15f15.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder 1. S*****, geboren am *****, und 2. B*****, geboren am *****, beide *****, beide vertreten durch den Kollisionskurator Land Niederösterreich als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Bezirkshauptmannschaft Mödling, Bahnstraße 2, 2340 Mödling), Mutter: M*****, vertreten durch Wess Kispert Rechtsanwalts GmbH in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters A*****, vertreten durch Dr. Ekkehard Erlacher, Dr. Renate Erlacher‑Philadelphy, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 26. August 2015, GZ 16 R 172/15f‑41, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom 12. Mai 2015, GZ 19 Pu 94/14i‑28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00090.15F.1215.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs des Vaters wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass der Beschlusspunkt 2) des erstgerichtlichen Beschlusses vom 12. Mai 2015 ersatzlos entfällt.

 

Begründung:

Die 2004 bzw 2010 geborenen Kinder sind die Söhne von M***** (Mutter) und A***** (Vater). Die eheliche Gemeinschaft der Eltern wurde im Frühjahr 2014 aufgehoben, ein Scheidungsverfahren ist anhängig.

Am 12. Mai 2014 stellte die „Kindesmutter M***** … für die mj S***** und B*****“ den Antrag, den Vater ab 1. Mai 2014 zu einem monatlichen Geldunterhalt von 800 EUR bzw 622,50 EUR für die beiden Söhne zu verpflichten. Weiters stellte sie den Antrag, den Vater zur Leistung von Unterhalt für die Vergangenheit, nämlich den Zeitraum von 1. Mai 2011 bis 30. April 2014, in Höhe von 17.135,97 EUR (für S*****) und von 8.153,47 EUR (für B*****) zu verpflichten; der Vater habe im genannten Zeitraum nur unzureichend Unterhalt für seine Söhne geleistet.

Der Vater bestritt dieses Vorbringen. Die Mutter mache in Wirklichkeit eigene Ansprüche gemäß § 1042 ABGB geltend. Er selbst habe zu keiner Zeit seine Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern verletzt. Da auch eine mögliche Verletzung der Unterhaltspflicht der Mutter gegenüber den Kindern im Raum stehe, befinde sich die Mutter in einem Interessenkonflikt, weshalb ein Kollisionskurator für die Kinder zu bestellen sei. Der Vater stellte seinerseits den Antrag, die Mutter zu einer Unterhaltsleistung für die beiden Söhne zu verpflichten.

Mit Beschluss vom 28. Juli 2014 (ON 16) bestellte das Erstgericht die „Bezirkshauptmannschaft Mödling“ (gemeint: das Land Niederösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger) gemäß § 271 ABGB zum Kollisionskurator für die beiden Kinder. Dem Kollisionskurator wurde aufgetragen, innerhalb von vier Wochen zu prüfen, ob bzw in welchem Ausmaß von welchem Elternteil eine Unterhaltsverletzung für den Zeitraum ab 1. Mai 2011 gegenüber den beiden Kindern vorlag bzw vorliegt, ob bzw gegenüber welchem Elternteil in welchem Ausmaß eine gerichtliche Unterhaltsfestsetzung gerechtfertigt ist und welche anhängigen Unterhaltsanträge noch bzw in welchem Ausmaß aufrecht erhalten werden; diese sollten entsprechend konkretisiert und präzisiert werden. Begründet wurde der Beschluss damit, dass beide Elternteile namens der Kinder Unterhaltsfestsetzungsanträge gestellt hätten und somit ein Interessenkonflikt betreffend die Geltendmachung der Unterhaltsansprüche der Kinder vorläge.

Dieser Beschluss blieb seitens der Eltern unangefochten.

Mit einem am 24. September 2014 bei Gericht eingelangten Schreiben (ON 17) teilte der Kollisionskurator mit, dass er sich ‑ mangels Mitwirkung des Vaters ‑ vollinhaltlich dem Unterhaltsfestsetzungsantrag der Mutter anschließe und den Antrag des Vaters auf Festsetzung einer Unterhaltspflicht der Mutter mangels Präzisierung nicht aufrecht halte.

Diese Äußerung wurde vom Erstgericht im Beschluss vom 3. Oktober 2014 (ON 18) zur Kenntnis genommen. Gleichzeitig wurde der Vater verpflichtet, den beiden Söhnen ab 1. Mai 2011 Geldunterhalt in unterschiedlicher Höhe zu leisten.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters gegen die Unterhaltsfestsetzung bis 31. Mai 2014 Folge und hob ‑ betreffend diesen Zeitraum ‑ den Beschluss des Erstgerichts zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zu den jeweils von den Eltern erbrachten Betreuungs‑ und Naturalunterhaltsleistungen auf.

Mit Beschluss vom 12. Mai 2015 (ON 28) stellte das Erstgericht in Punkt 1) fest, dass die Bestellung des Kollisionskurators mit Beschluss vom 3. Oktober 2014 in Rechtskraft erwachsen ist, und sprach in Punkt 2) aus, dass „mit Rechtskraft dieses Beschlusses … die Bezirkshauptmannschaft Mödling, Jugendabteilung, vom Amt des Kollisionskurators für die beiden obgenannten Minderjährigen enthoben“ wird. Begründet wurde der Beschluss mit der Zurückziehung des Unterhaltsantrags gegen die Mutter, wodurch die Kollision weggefallen sei.

Gegen die Enthebung des Kollisionskurators (Punkt 2) des erstgerichtlichen Beschlusses) erhob der Vater am 26. Mai 2015 Rekurs (ON 30). Weiters stellte er am 28. Mai 2015 den Antrag, im Hinblick auf die nach wie vor bei der Mutter bestehende Interessenkollision erneut einen Kollisionskurator zu bestellen (ON 33). Die Mutter ‑ namens der Kinder ‑ sprach sich im Hinblick darauf, dass der Unterhaltsantrag des Vaters nicht mehr aufrecht sei, gegen die Bestellung eines Kollisionskurators aus (ON 38). Der Vater hielt seinen Antrag im Hinblick auf das nicht rechtskräftig abgeschlossene Unterhaltsverfahren aufrecht (ON 40).

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge und ließ den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu. Der Kollisionskurator habe berechtigterweise über die Unterhaltsfestsetzungsanträge der Eltern disponiert und erklärt, den Antrag des Vaters nicht aufrechtzuerhalten. Dass eine Interessenwahrung durch das Gericht nicht ausreichend wäre, ergebe sich weder aus dem Rekurs noch aus dem sonstigen Akteninhalt. Im fortgesetzten Verfahren werde das Gericht zu klären haben, inwieweit der Unterhaltsbedarf der Kinder in der Vergangenheit (1. Mai 2011 bis 31. Mai 2014) im Rahmen der anteiligen Übernahmeverpflichtung von Vater und Mutter ungedeckt geblieben sei. Die objektive Beurteilung dieser Frage durch das Gericht bedürfe nicht (mehr) der Beiziehung eines Kurators für die beiden Kinder. Im Übrigen könne der Vater ungeachtet der Antragszurücknahme jederzeit wieder einen Unterhaltsfestsetzungsantrag stellen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters erkennbar aus dem Revisionsrekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem erkennbaren Antrag auf Abänderung dahin, dass Punkt 2) des Beschlusses des Erstgerichts vom 12. Mai 2015 ersatzlos behoben werde.

In der ihr freigestellten Revisionsrekurs-beantwortung beantragt die Mutter, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Der Kinder- und Jugendhilfeträger hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Auch wenn die Beurteilung der Frage, ob genügend und welche Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines Kollisionskurators vorliegen, immer eine solche des Einzelfalls ist und daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage bildet (RIS‑Justiz RS0127193), ist der Revisionsrekurs zulässig, weil die Vorinstanzen das Vorliegen der Voraussetzungen für die Bestellung eines Kollisionskurators unrichtig beurteilt haben; er ist auch berechtigt.

In seinem Revisionsrekurs bringt der Vater zusammengefasst vor, dass laut der Begründung des Beschlusses des Rekursgerichts im fortgesetzten Unterhaltsverfahren zu klären sei, inweit der Unterhaltsbedarf der Kinder in der Vergangenheit für die Zeit von 1. Mai 2011 bis 31. Mai 2014 im Rahmen der anteiligen Übernahmeverpflichtung von Vater und Mutter ungedeckt geblieben sei. In diesem Sinn sei auch das Ausmaß der Unterhaltsverpflichtung der Mutter zu beurteilen. Die Kollision ergebe sich daraus, dass beide Elternteile grundsätzlich vertretungsbefugt seien. Das Rekursgericht gestehe auch zu, dass der Vater jederzeit wieder einen Unterhaltsfestsetzungsantrag namens der Kinder stellen könne. Selbst unter der Annahme, dass der frühere Unterhaltsfestsetzungsantrag des Vaters vom Kollisionskurator zurückgezogen worden sei, ergebe sich die Kollision aus der zwingenden Notwendigkeit der Beurteilung der Unterhaltspflicht der Mutter.

Dazu wurde erwogen:

1. Die Frage der Notwendigkeit der Bestellung eines Kollisionskurators für die Antragsteller betrifft die Frage der Vertretung des Kindes im Rahmen der Obsorge. Da diese nicht vermögensrechtlicher Natur ist (5 Ob 122/09s mwN), bedurfte es keines Bewertungsausspruchs des Rekursgerichts nach § 59 Abs 2 AußStrG; dem Vater steht die Erhebung eines außerordentlichen Revisionsrekurses grundsätzlich offen (§ 62 Abs 4 AußStrG).

2. Das Erstgericht hat in seinem Beschluss vom 28. Juli 2014 (ON 16) die „Bezirkshauptmannschaft Mödling, Jugendwohlfahrt“ zum Kollisionskurator bestellt. Erkennbar sollte der Kinder- und Jugendhilfeträger bestellt werden, wie § 209 Satz 2 ABGB nahelegt. Kinder- und Jugendhilfeträger ist das jeweils zuständige Bundesland, nicht also etwa eine Bezirksverwaltungsbehörde oder ein Amt für Jugend und Familie. Die Regelung der Frage, wer organisatorisch die Aufgabe des Bundeslandes als Jugendwohlfahrtsträger zu besorgen hat, fällt ausschließlich in die Organisationshoheit des Landes (Hopf in KBB4 § 212 ABGB Rz 1). Der Bestellungsbeschluss ist daher so zu verstehen, dass nicht die unselbständige Organisationseinheit (Bezirksverwaltungs-behörde), sondern das Land Niederösterreich selbst (als Kinder‑ und Jugendhilfeträger) zum Kollisionskurator bestellt wurde.

3. Der Umfang der Vertretungsmacht eines Kollisionskurators richtet sich nach dem Bestellungsbeschluss (7 Ob 354/98d; Mondel, Die Kuratoren im österreichischen Recht2 Rz 2/10 ff). Da das Erstgericht dem Kinder‑ und Jugendhilfeträger im Bestellungsbeschluss unter anderem aufgetragen hat, sich über die Aufrechterhaltung der Anträge zu erklären, war sein Vorgehen durch den Bestellungsbeschluss gedeckt.

4. Voraussetzung für die Bestellung eines Kollisionskurators ist Kollision im formellen und im materiellen Sinn.

4.1. Kollision im formellen Sinn liegt vor, wenn ein zufolge Gesetz oder behördlicher Verfügung Vertretungsbefugter in bestimmten Angelegenheiten nicht nur zu vertreten, sondern auch im eigenen oder im Namen Dritter zu handeln hätte.

4.2. Kollision im materiellen Sinn liegt vor, wenn bei Kollision im formellen Sinn zusätzlich noch ein Interessenwiderspruch besteht. Dieser kann sich auch aus den Interessen anderer Personen als des Vertretungsbefugten ergeben, wenn letzterer geneigt sein könnte, diese Interessen denen des von ihm Vertretenen vorzuziehen (RIS‑Justiz RS0058177).

5. Richtet sich der Antrag des Kindes auf Unterhaltsfestsetzung gegen den als Vertreter berufenen Elternteil (RIS‑Justiz RS0079249) oder schreiten jeweils vertretungsberechtigte Elternteile gegeneinander auf Unterhaltsfestsetzung ein (RIS‑Justiz RS0087662), ist jedenfalls ein Kollisionskurator zu bestellen. Für diese Beurteilung kommt es nur auf die konkreten Anträge an, die im Unterhaltsverfahren gestellt wurden (8 Ob 99/12k; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 5 Rz 18).

6. Eine allein auf die Antragssituation abstellende Betrachtung würde zum Ergebnis führen, dass durch die Zurücknahme des Antrags des Vaters die Notwendigkeit eines Kollisionskurators entfallen ist.

6.1. Dem steht allerdings entgegen, dass ein Kurator schon dann zu bestellen ist, wenn aufgrund eines objektiv gegebenen Interessenwiderspruchs eine Gefährdung der Interessen des Kindes möglich ist (RIS‑Justiz RS0107600). Maßgeblich für das Erfordernis der Bestellung eines Kollisionskurators ist daher, dass aufgrund des objektiven Sachverhalts eine gesetzmäßige Vertretung des Minderjährigen wegen eines zu befürchtenden Widerstreits an Interessen nicht zu erwarten ist (1 Ob 2410/96k; 10 Ob 23/08t) oder die Interessen des Vertreters denen des Minderjährigen zuwiderlaufen könnten (RIS‑Justiz RS0049196; Mondel, Kuratoren2 Rz 6/43 ff).

6.2. Bei der in § 271 Abs 2 ABGB enthaltenen Wertung, wonach eine Interessengefährdung bei Durchsetzung eines Unterhaltsanspruchs des durch einen Elternteil vertretenen Kindes gegen den anderen „im Allgemeinen“ nicht anzunehmen ist, handelt es sich (nur) um eine Vermutung (Hopf in KBB4, §§ 271 ‑ 72 ABGB Rz 3), die im Einzelfall auch widerlegt werden kann (5 Ob 122/09s).

6.3. Ein solcher Fall muss hier angenommen werden. Das anhängige Unterhaltsverfahren bezieht sich allein auf Unterhalt in der Vergangenheit betreffend den Zeitraum bis zur Auflösung der ehelichen Gemeinschaft der Eltern. Schon das Rekursgericht hat darauf hingewiesen, dass es dem Vater freisteht, seinen vom Kinder‑ und Jugendhilfeträger zurückgezogenen Antrag jederzeit wieder einzubringen. Tatsächlich vertritt der Vater weiterhin und auch noch im Revisionsrekursverfahren die Ansicht, dass im Unterhaltsverfahren auch Unterhaltsansprüche der Kinder gegen die Mutter zu beurteilen sind.

6.4. Die Ansicht der Vorinstanzen kann zu einer Gefährdung der Interessen der Minderjährigen führen, als das Unterhaltsverfahren in dem zu erwartenden Fall neuer Anträge des Vaters durch Bestell‑ und Enthebungsvorgänge von Kollisionskuratoren unnötig verzögert würde.

6.5. Vor dem Hintergrund, dass eine Kollisionskuratorbestellung schon dann erforderlich ist, wenn eine gesetzmäßige Vertretung des Minderjährigen wegen eines zu befürchtenden Widerstreits der Interessen nicht zu erwarten oder möglich ist (vgl 10 Ob 23/08t, 8 Ob 99/12k) und die Mutter in den Unterhaltsstreit (zumindest mittelbar) selbst involviert ist, ist eine Vertretung durch einen Kollisionskurator geboten.

7. In diesem Sinn sind die Beschlüsse der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass die Enthebung des Kollisionskurators laut Beschlusspunkt 2) des erstgerichtlichen Beschlusses vom 12. Mai 2015 ersatzlos zu entfallen hat.

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