OGH 10Ob88/19t

OGH10Ob88/19t21.1.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Frysak & Frysak Rechtsanwalts‑Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei C*****, vertreten durch Maraszto Milisits Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 18.800 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Oktober 2019, GZ 11 R 145/19b‑16, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 28. Mai 2019, GZ 27 Cg 6/19d‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0100OB00088.19T.0121.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.568,52 EUR (darin enthalten 261,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

Am Vormittag des 14. 8. 2017 suchte die Beklagte in Begleitung ihres Hundes (eines sieben Jahre alten und rund sechs Kilo schweren „Jack Russell Terrier“) einen Supermarkt auf. Das Tier war an Menschen gewöhnt und hatte davor noch nie ein auffälliges Verhalten gezeigt. Da es neben der Eingangstüre des Supermarkts keinen Ring gab, an dem man eine Hundeleine befestigen hätte können, band die Beklagte den Hund an einem der mehreren Poller vor dem Supermarkt an. Dahinter liegen durch Bodenmarkierungen gekennzeichnete Parkplätze. Die Leine, an der der Hund festgebunden war, war ca ein Meter lang. Der Hund trug einen Maulkorb.

Während die Beklagte noch ihre Einkäufe erledigte, verließ die Klägerin den Supermarkt und ging in Richtung ihres davor geparkten Autos. Sie nahm den Hund der Beklagten nicht wahr. Als sie sich unmittelbar vor dem Hund befand, bellte er und sprang an ihrem Bein hoch, ohne sie dabei umzustoßen. Die Klägerin erschrak, ging einen Schritt zurück, stolperte und kam zu Sturz.

Das Erstgericht wies das Schadenersatzbegehren der Klägerin sowie das Begehren auf Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftige Schäden aus dem Vorfall ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR aber nicht 30.000 EUR übersteige, und erklärte die Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO für zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage existiere, ob und – bejahendenfalls – unter welchen Voraussetzungen ein Hundehalter seine in § 1320 ABGB verankerten Pflichten verletzt, wenn er seinen Hund wie im vorliegenden Fall anleint und dann unbeaufsichtigt lässt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

Weder in der Begründung des zweitinstanzlichen Zulassungsausspruchs noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

1. Gemäß § 1320 Satz 2 ABGB ist derjenige, der ein Tier hält, für den durch das Tier verursachten Schaden verantwortlich, wenn er nicht beweist, dass er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hat.

2. Mit dieser Bestimmung hat der Gesetzgeber keine (volle) Gefährdungshaftung normiert, die besondere Tiergefahr aber dadurch berücksichtigt, dass nicht auf das subjektive Verschulden des Halters, sondern auf die objektiv gebotene Sorgfalt abgestellt wird (RS0030291 [T13]).

3. Der Tierhalter hat zu beweisen, dass er sich nicht sorgfaltswidrig verhalten hat. Misslingt ihm dieser Beweis, haftet er für sein objektiv sorgfaltswidriges, wenn auch schuldloses Verhalten (RS0105089).

4. Welche Verwahrung und Beaufsichtigung durch den Tierhalter erforderlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0030058). Die Vorkehrungen müssen dem Tierhalter zumutbar sein (RS0030157 [T3]). Die Anforderungen an die Verwahrungs‑ und Beaufsichtigungspflichten dürfen nicht überspannt werden (RS0029999, RS0030365).

5. Nach § 5 Abs 1 des Wiener Tierhaltegesetzes (LGBl 1987/39 in der geltenden Fassung) müssen Hunde an öffentlichen Orten wie Straßen und Plätzen entweder mit einem geschlossenen Maulkorb versehen sein oder so an der Leine geführt werden, dass eine jederzeitige Beherrschung des Tieres gewährleistet ist.

6.1 Die Vorinstanzen gingen davon aus, dass die Beklagte ihren Verwahrungspflichten entsprochen habe. Sie habe keine Möglichkeit gehabt, ihren Hund an einer anderen Stelle anzuleinen. Zusätzlich habe sie dem Tier auch noch einen Maulkorb angelegt. Sie habe daher keine erhöhte Gefahrenlage geschaffen.

6.2 Diese Auffassung des Berufungsgerichts weicht von den eingangs wiedergegebenen Grundsätzen der Rechtsprechung nicht derart ab, dass im Interesse der Rechtssicherheit eine Korrektur durch den Obersten Gerichtshof geboten wäre:

Berücksichtigt man, dass sich die Klägerin selbst in die Gefahrenlage brachte, weil sie den vor ihrem Fahrzeug an den Poller angeleinten Hund übersah und bis auf einen Meter (die festgestellte Leinenlänge) an ihn herantrat, ohne ihn zu bemerken, sodass dieser hochsprang und bellte, ist es jedenfalls nicht unvertretbar, davon auszugehen, der Beklagten sei der Beweis gelungen, dass sie für die von den gegebenen Umständen erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Hundes ausreichend Sorge getragen hat. Eine besondere Gefährlichkeit des Hundes war bis zum Vorfall nicht erkennbar. Damit, dass sich jemand dem Hund bis auf einen Meter annähert, weil er ihn übersieht, und dann vor dem Hund – obwohl er angeleint war und einen Beißkorb trug – wegen dessen Bellens und Hochspringens so erschrickt, dass er zu Sturz kommt, musste die Beklagte nicht rechnen. Dass der Hund auf Grund besonderer (örtlicher oder anderer) Umstände für die Klägerin nicht früher bemerkbar gewesen wäre oder sie daran gehindert gewesen wäre, ihm rechtzeitig auszuweichen, steht nicht fest.

Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision hingewiesen.

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