OGH 10Ob76/19b

OGH10Ob76/19b19.11.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der G*, geboren am *, vertreten durch Dr. Alfred Boran Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der betroffenen Person gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. September 2019, GZ 44 R 384/19z, 44 R 406/19k‑38, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127179

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 271 ABGB in der ab 1. 7. 2018 anzuwendenden (§ 1503 Abs 9 Z 1 ABGB) Fassung des 2. Erwachsenenschutzgesetzes (2. ErwSchG), BGBl I 2017/59, ist ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter für eine volljährige Person zu bestellen, wenn diese 1. bestimmte Angelegenheiten aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfähigkeit nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen kann, 2. sie dafür keinen Vertreter hat, 3. sie einen solchen nicht wählen kann oder will und 4. eine gesetzliche Erwachsenenvertretung nicht in Betracht kommt.

2. Die betroffene Person bekämpft in ihrem Revisionsrekurs die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters notwendig sei. Ihrer Ansicht nach ist sie nach Verletzungen und einem Krankenhausaufenthalt zwar in ihrer Mobilität eingeschränkt, benötigt aber mangels geistiger Beeinträchtigung und aufgrund der Vertretung durch ihren im Jahr 2014 mit Spezialvollmacht (§ 1008 ABGB) ausgestatteten Sohn keinen gerichtlichen Erwachsenenvertreter. In eventu sei ihr Sohn als solcher zu bestellen.

Mit ihren Ausführungen zeigt sie keine erhebliche Rechtsfrage auf.

3. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen leidet die 1930 geborene Betroffene an einem cerebralen Abbauprozess von Krankheitswert mit pathologischer Fremdbeeinflussbarkeit. Nach einem verletzungsbedingten Krankenhausaufenthalt wurde sie von ihrem Sohn im September 2017 in einem Pflegeheim untergebracht. Die monatlichen Kosten der Unterbringung (zunächst 2.000 EUR, ab März 2018 1.500 EUR) wurden von Anfang an nicht beglichen, sodass bei Einleitung des Verfahrens im März 2018 bereits ein Rückstand von über 12.000 EUR bestand. Eine Liegenschaft der Betroffenen wurde um 500.000 EUR verkauft, das Geld soll durch eine Fehlinvestition verloren gegangen sein. Der Sohn verwendete die Pension der Betroffenen zur Unterstützung seiner in Thailand lebenden Familie. Einen Antrag auf Pflegegeld stellte er nicht. Er versuchte auch nicht, eine teilweise Übernahme der Kosten des Pflegeheims durch einen Sozialfonds zu erreichen. Die Betroffene ist emotional von ihrem Sohn abhängig (Clearingbericht ON 4).

5. Der Zustand der Betroffenen lässt sich entgegen ihrer Ansicht nicht auf eine rein körperliche Beeinträchtigung reduzieren. Sonstige Argumente gegen die Qualifikation als psychische Krankheit bzw einer solchen vergleichbaren Beeinträchtigung iSd § 271 ABGB idF des 2. ErwSchG bringt sie im Revisionsrekurs nicht vor. Angesichts der bisherigen Vermögensdispositionen und der Notwendigkeit, die finanzielle Lage zu verbessern, haben die Vorinstanzen eine mit der festgestellten Beeinträchtigung verbundene konkrete Gefahr eines Nachteils für die Betroffene selbst im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung – auch zum Sachwalterschaftsrecht (vgl 7 Ob 192/18p) – bejaht.

6. Einen Verstoß gegen das in § 271 Z 2 bis 4 ABGB idF des 2. ErwSchG zum Ausdruck gebrachte, zuvor in § 268 Abs 2 ABGB idF des SWRÄG 2006 geregelte (RIS‑Justiz RS0049088 [T7]) und nun verstärkte Subsidiaritätsprinzip zeigt die Betroffene nicht auf, wenn sie auf die bestehende oder mögliche Vertretung durch nahe Angehörige verweist.

7. Der Oberste Gerichtshof stellt bei der Beurteilung der Frage, ob eine (Vorsorge‑)Vollmacht die Bestellung eines Sachwalters ausschließt, darauf ab, dass das Handeln des Bevollmächtigten keine Nachteile für die betroffene Person nach sich ziehen und ihr Wohl nicht gefährden darf (RS0124579; RS0123430 [T2]). Die Bestellung eines Sachwalters ist dann unzulässig, wenn sich die betroffene Person der Hilfe anderer in rechtlich einwandfreier Weise bedienen kann (RS0048997 [T1]).

8. Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass der im Jahr 2014 („schlicht“ iSd § 284g Satz 2 ABGB aF) bevollmächtigte Sohn der Betroffenen deren Interessen eindeutig zuwiderhandelte und als Vertreter nicht geeignet war, wird im Revisionsrekurs nicht mit konkreten Gegenargumenten in Zweifel gezogen. Der bloße Hinweis auf eine mögliche Vertretung durch nahe Angehörige (als Vorsorgebevollmächtigte, gewählte oder gesetzliche Erwachsenenvertreter) schließt im konkreten Einzelfall die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters nicht zwingend aus (vgl RS0048997 [T7]). Die als einzige namentlich erwähnte Tochter des Bevollmächtigten hat nach der Aktenlage wenig Kontakt zu der Betroffenen (ON 4). Kontaktdaten hat ihr Vater nicht bekanntgegeben. Eine Bereitschaft, eine Erwachsenenvertretung zu übernehmen, hat die Enkelin nie kommuniziert. Für die Notwendigkeit einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung spricht (neben dem emotionalen Abhängigkeitsverhältnis der Betroffenen zu ihrem Sohn, das eine Vertretung durch die Enkelin nicht beseitigen würde) auch der Umstand, dass das Erstgericht monatelang versuchte, Lösungen für eine alternative Unterbringung, Betreuung und Vertretung zu finden, was letztlich an nicht eingehaltenen Versprechungen des Sohnes und seiner geschiedenen Ehegattin scheiterte.

9. Ein ausdrücklich in das Gesetz aufgenommenes Kriterium für die Auswahl des gerichtlichen Erwachsenenvertreters ist nach § 273 Abs 1 ABGB nF dessen Eignung. Die Betroffene setzt sich im Revisionsrekurs inhaltlich mit den – nach der Aktenlage berechtigten – Zweifeln des Rekursgerichts an der Eignung des Sohnes nicht auseinander. Sie legt damit nicht dar, dass die Vorinstanzen den Ermessensspielraum, den ihnen auch die neue Rechtslage ungeachtet der Verstärkung des Wunsches der volljährigen Person bei der Auswahl des Erwachsenenvertreters einräumt (2 Ob 185/18x; Weitzenböck in Schwimann/Kodek ABGB5 § 273 Rz 1 f; Barth/Ganner, Handbuch des Erwachsenenschutzrechts³ 769) überschritten haben, wenn sie die gewünschte Bestellung des Sohnes als dem Wohl seiner Mutter widersprechend ablehnten.

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