OGH 10Ob64/07w

OGH10Ob64/07w26.6.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Minderjährigen Sascha H*****, geboren am *****, über den Revisionsrekurs des Landes Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Melk, 3390 Melk, Abt-Karl-Straße 23, gegen den Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgericht vom 22. November 2006, GZ 23 R 313/06m-S-9, womit über Rekurs der Mutter Natascha H*****, der Beschluss des Bezirksgerichtes Melk vom 22. August 2006, GZ 1 P 129/03w-S-6, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Das Erstgericht entzog der allein obsorgeberechtigten Mutter Natascha H***** die Obsorge für ihren Sohn Sascha Michael und übertrug sie dem Land Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger.

Über Rekurs der Mutter änderte das Rekursgericht diese Entscheidung dahin ab, dass sie dem Jugendwohlfahrtsträger Land Niederösterreich die Obsorge über das Kind vorläufig übertrug (Spruchpunkt 2.) und die Obsorge des Jugendwohlfahrtsträgers dahin beschränkte, als eine Änderung des Aufenthaltsortes des Kindes nur mit Zustimmung des Gerichtes angeordnet werden dürfe und diese Einschränkung bis zur endgültigen Entscheidung über die Obsorge gelte (Spruchpunkt 3.). Zur Begründung des Spruchpunktes 3. seiner Entscheidung - nur dieser ist im Revisionsrekursverfahren von Interesse - führte es aus, der Jugendwohlfahrtsträger habe schon konkret angedeutet, den Minderjährigen von seinen Geschwistern zu trennen. Dies sei aber nur die ultima ratio und derzeit noch nicht angezeigt. Sofern der Jugendwohlfahrtsträger also beabsichtige, die Kinder anderwertig unterzubringen, werde er das Einvernehmen mit dem Gericht herzustellen haben. Dieses werde in der konkreten Situation zu entscheiden haben, ob das Wohl der Kinder durch eine solche Maßnahme tatsächlich gefördert würde. § 216 ABGB gelte zwar nicht für den Jugendwohlfahrtsträger. Diese Bestimmung sei aber nur insoweit eine besondere Regelung für Träger der Obsorge nach dem 4. Hauptstück, als sie Maßnahmen der Obsorge, die Eltern, Großeltern und Pflegeeltern ohne Mitwirkung des Gerichtes treffen können, der gerichtlichen Kontrolle unterstelle. Allein aufgrund der Systematik des Gesetzes gelte § 176 ABGB (und damit die dort normierten Befugnisse des Gerichts) unabhängig von § 216 ABGB auch für Obsorgeträger nach dem vierten Hauptstück und damit trotz des § 214 ABGB auch für den Jugendwohlfahrtsträger. Nach § 176 ABGB habe das Gericht alle zur Sicherung des Wohles des Kinds nötigen Verfügungen zu treffen. Wenn auch das Gesetz hier ausdrücklich nur von einem gefährdenden Verhalten der Eltern spreche, müsse dies im konkreten Fall allerdings auch für den derzeit nur vorläufig betrauten Jugendwohlfahrtsträger gelten, um der Intention dieser Gesetzesstelle auch im Einzelfall gerecht werden zu können. Es sei zu vermeiden, dass durch eine Verfügung des Jugendwohlfahrtsträgers, dessen Obsorge eben noch nicht endgültig geregelt sei, faktische Verhältnisse geschaffen würden, die das nachfolgende Verfahren gleichsam ad absurdum führten. Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, ob dem Jugendwohlfahrtsträger als Obsorgeträger auf der Grundlage des § 176 ABGB Auflagen erteilt werden können oder ob dem die Bestimmung des § 214 iVm § 216 ABGB entgegenstehe.

Der gegen diese Entscheidung vom Jugendwohlfahrtsträger erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt. Der Rechtsmittelwerber führt aus, das Gericht könne nach § 176 ABGB dem Jugendwohlfahrtsträger als Obsorgeträger keine Auflagen erteilen, weil dem die Bestimmung des § 214 ABGB iVm § 216 ABGB entgegenstehe. Da die Entscheidung des Rekursgerichtes vom Obersten Gerichtshof bestätigt wird und dieser die Begründung des Rekursgerichtes für zutreffend erachtet, reicht es aus, auf deren Richtigkeit hinzuweisen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Den Revisionsrekursausführungen ist kurz zu erwidern:

Das Gesetz kennt zwei Gruppen von Trägern der Obsorge:

Rechtliche Beurteilung

1. Eltern (§ 144 ABGB); Großeltern (§ 145 ABGB); Pflegeeltern (§ 186a ABGB)

2. „andere Personen" - einschließlich des Jugendwohlfahrtsträgers (§§ 187, 211 und 213 ABGB).

Für die Ausübung der Obsorge durch Personen der ersten Gruppe gelten ausschließlich die Bestimmungen des 3. Hauptstücks des ABGB, indem § 176 ABGB angesiedelt ist. Für die Ausübung der Obsorge durch „andere Personen" sind die im 4. Hauptstück des ABGB gelegenen - mit „Besondere Pflichten und Rechte ..." überschriebenen - Sonderbestimmungen (§§ 216 ff ABGB) und die Bestimmungen des 3. Hauptstücks des ABGB sinngemäß anzuwenden (Hopf/Weitzenböck, Schwerpunkte des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001, ÖJZ 2001, 530 [535]; Schwarzl in Ferrari/Hopf, Reform des Kindschaftsrechts 20; Stabentheiner in Rummel³, ABGB ErgBd § 216 Rz 1; Weitzenböck in Schwimann³, ABGB § 176 Rz 5; vgl EB RV 296 BlgNR 21. GP. 41, 70 und 74).

Gemäß § 216 ABGB hat eine mit der Obsorge betraute „andere Person" in wichtigen, die Person des Kindes betreffenden Angelegenheiten die Genehmigung des Gerichtes einzuholen. Für den Jugendwohlfahrtsträger gilt dies nicht (§ 214 Abs 1 ABGB). Gefährden die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes, so hat das Gericht die zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen (§ 176 Abs 1 ABGB). Diese Bestimmung gilt - wie ausgeführt - auch für mit der Obsorge betraute „andere Personen", daher auch für den Jugendwohlfahrtsträger. Die Ausübung der Obsorge durch diesen kann demnach gemäß § 176 Abs 1 ABGB bei Gefährdung des Wohls des Kindes durch ein Verhalten des Jugendwohlfahrtsträgers mit einem Auftrag - wie dem bekämpften - des Pflegschaftsgerichts an ihn beschränkt werden. Dass § 214 Abs 1 ABGB den Jugendwohlfahrtsträger von der Regelung des § 216 ABGB ausnimmt, kann gegen diese Auffassung nicht überzeugend ins Treffen geführt werden, weil - abgesehen von der Gesetzessystematik - § 176 Abs 1 ABGB eine akute Gefährdung des Kindeswohls durch ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen durch den Obsorgebetrauten voraussetzt, während es für die Genehmigungspflicht nach § 216 ABGB genügt, dass sich die Angelegenheit erheblich auf das Kindeswohl auswirkt (Stabentheiner in Rummel³, ABGB ErgBd § 216 Rz 2).

Dass die vom Rekursgericht verfügte Einschränkung der Obsorge mangels Gefährdung des Kindeswohls unzulässig wäre, macht der Revisionsrekurswerber nicht geltend.

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