Spruch:
1. Dem Revisionsrekurs wird in Ansehung der Bestätigung des Beschlusses des Erstgerichts vom 2. März 2009 Folge gegeben. Insoweit werden die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abgeändert, dass der Minderjährigen vom 1. 6. 2008 bis 31. 5. 2011 gemäß §§ 3, 4
Z 1 Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) ein monatlicher Unterhaltsvorschuss von 70 EUR, jedoch höchstens in der Höhe des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen gemäß §§ 293 Abs 1 Buchstabe c bb erster Fall, 108 f des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) gewährt wird.
2. In Ansehung der Bestätigung des Beschlusses des Erstgerichts vom 1. April 2009 wird der Revisionsrekurs zurückgewiesen.
Text
Begründung
Die Minderjährige und ihre in Wien, nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Eltern sind österreichische Staatsbürger. Der Vater ist zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 160 EUR verpflichtet. Seit Dezember 2007 hält sich die Minderjährige nicht mehr bei ihrer Mutter in Wien, sondern bei ihrem Onkel in Polen auf, der auch mit ihrer Obsorge betraut ist.
Ab April 2008 bezog der Vater Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung oder war er als Arbeiter pflichtversichert. Mit Beschluss vom 24. 5. 2007 gewährte das Erstgericht der Minderjährigen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG Unterhaltsvorschüsse nach dem Vater in Höhe von monatlich 160 EUR weiter bis 30. 6. 2010. Mit Beschluss des Erstgerichts vom 28. 5. 2008, wurde die Mutter, die Notstandshilfe bezieht und geringfügig beschäftigt ist, zu einer monatlichen Unterhaltszahlung von 70 EUR ab 3. 12. 2007 verpflichtet. Am 10. 6. 2008 beantragte das Kind die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG nach ihrer Mutter in Höhe von 70 EUR monatlich.
Mit Beschluss vom 2. 3. 2009 hat das Erstgericht im zweiten Rechtsgang dem Kind gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG einen monatlichen Unterhaltsvorschuss von 60 EUR nach der Mutter vom 1. 6. 2008 bis 31. 5. 2011 gewährt und das Mehrbegehren abgewiesen. Die Minderjährige müsse sich nach den Koordinierungsregeln der Art 75 und 76 der VO 1408/71 das polnische Familiengeld von umgerechnet 10 EUR monatlich anrechnen lassen, das sie beantragen könnte.
Mit Beschluss vom 1. 4. 2009 hat das Erstgericht im Hinblick auf den Aufenthalt des Kindes in Polen den nach dem Vater gewährten monatlichen Unterhaltsvorschuss für den Zeitraum 1. 1. 2008 bis 31. 3. 2009 auf monatlich 70 EUR und ab 1. 4. 2009 auf monatlich 80 EUR herabgesetzt.
Das Rekursgericht gab mit dem angefochtenen Beschluss den Rekursen des Kindes gegen diese Beschlüsse des Erstgerichts nicht Folge. Es führte aus:
1. Zum Rekurs gegen den Beschluss vom 2. 3. 2009:
Das Erstgericht habe aufgrund seiner Erhebungen festgestellt, dass der mit der Obsorge betraute Onkel der Minderjährigen für diese eine polnische Unterhaltsleistung nicht beziehe. Das polnische Recht sehe Unterhaltsvorschüsse für Kinder vor, denen das Gericht Unterhalt von einem Elternteil zuerkannt habe, wenn eine Exekution zur Einbringung der Unterhaltszahlungen unwirksam sei. Halte sich der Unterhaltsschuldner außerhalb Polens auf, sei nach den Regeln der Koordinierung der Sozialversicherungssysteme der Länder zu prüfen, welches Land als erstes verpflichtet sei, Unterhaltsvorschüsse auszuzahlen. Nach den Erhebungen des Erstgerichts sei davon auszugehen, dass nach polnischer Gesetzgebung Unterhaltsvorschüsse auf Antrag gewährt werden und im Anlassfall ein Antrag vom gesetzlichen Vertreter der Minderjährigen nicht gestellt worden sei. Da in Polen ein Antrag auf „Familiengeld" hätte gestellt werden können, diese Familienleistung mit dem österreichischen Unterhaltsvorschuss vergleichbar sei und im Fall des Zusammentreffens von Ansprüchen aus mehreren Mitgliedstaaten der Anspruch im Wohnsitzstaat des Kindes vorgehe, habe das Erstgericht zu Recht den monatlichen Unterhaltsvorschuss abzüglich der mit 10 EUR bewerteten nach polnischem Recht zu gewährenden Familienleistung zuerkannt. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob bzw inwieweit die der Minderjährigen von ihrem Wohnsitzstaat - Polen - gewährten oder über Antragstellung zu gewährenden Familienleistungen dem Anspruch auf österreichische Unterhaltsvorschüsse vorgingen.
2. Zum Rekurs gegen den Beschluss vom 1. 4. 2009:
Dem gegen den Vater bestehenden Unterhaltstitel liege zugrunde, dass dieser unter Anwendung des Anspannungsgrundsatzes ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von 1.000 EUR erzielen könnte. Gestützt auf § 7 UVG vertrete das Erstgericht die Auffassung, dass der Unterhalt, halte sich das Kind im Ausland auf, entsprechend der Kaufkraft dieses Landes anzupassen sei. Derzeit betrage die Kaufkraft in Polen im Verhältnis zu Österreich 39,63 %. Ausgehend von der Prozentkomponente als Orientierungshilfe der Bemessungsgrundlage wäre lediglich ein Unterhaltsvorschuss in der mit der bekämpften Entscheidung festgesetzten Höhe zuzuerkennen. Der Unterhaltsanspruch des Kindes sei nach österreichischem Sachrecht zu beurteilen (Art 29 Abs 2 des Vertrags zwischen der Republik Österreich und der Volksrepublik Polen über die wechselseitigen Beziehungen in bürgerlichen Rechtssachen und über das Urkundenwesen [BGBl 1974/79]). Ein Mischunterhalt sei dann auszumessen, wenn sich der Aufenthalt des unterhaltsberechtigten Kindes außerhalb Österreichs einigermaßen gefestigt habe. Demnach sei im Anlassfall jener Unterhaltsbetrag zu ermitteln, der den Bedarf des unterhaltsberechtigten Kindes im Ausland decke, es aber auch an den - besseren - Lebensverhältnissen des jeweils Unterhaltspflichtigen teilhaben lasse und zugleich dessen Leistungsfähigkeit entsprechend berücksichtige. Nach den Feststellungen des Erstgerichts beliefen sich die Lebenshaltungskosten in Polen auf rund 40 % des österreichischen Niveaus. Das Kind habe bisher kein Vorbringen erstattet, das eine andere Einschätzung der wirtschaftlichen Situation in Polen nahelegen würde. Der Rekurs erhebe keine konkreten Einwendungen, die geeignet wären, die maßgeblichen erstgerichtlichen Sachverhaltsfeststellungen in Zweifel zu ziehen. Es sei gerichtsbekannt, dass der Lebensstandard in Polen niedriger als in Österreich sei. Die angefochtene Unterhaltsfestsetzung halte sich im Rahmen des nach der Rechtslage eröffneten Ermessensbereichs.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil das Erstgericht zwar den Anspruch der Minderjährigen auf polnisches Familiengeld hier nicht mehr berücksichtigt habe, für den Fall einer abweichenden Beurteilung des der Entscheidung zugrunde gelegten Mischunterhalts zugunsten des Kindes aber auch die Antikumulierungsregel der Wanderarbeitnehmerverordnung im Hinblick auf die polnischen Familienleistungen zu beachten wäre.
Rechtliche Beurteilung
Der unbeantwortet gebliebene Revisionsrekurs des Kindes ist in Ansehung der Unterhaltsvorschüsse nach der Mutter zulässig und auch berechtigt, in Ansehung der Unterhaltsvorschüsse nach dem Vater aber unzulässig.
1. Zum Revisionsrekurs gegen die Bestätigung der Abweisung des mehrbegehrten Unterhaltsvorschusses nach der Mutter:
1.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits im Beschluss vom 24. 2. 2008, 10 Ob 111/08h, ausgeführt, dass der Anlassfall nach der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts der Minderjährigen nach Polen in den Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rats zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (kurz: VO 1408/71 ) liegt und im Sinn der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Humer (Rs C-255/99 , Slg 2002, I-1205) die „Exportverpflichtung" zu bejahen ist.
1.2. Für den Fall, dass für ein und dasselbe Kind in mehreren Mitgliedstaaten Anspruch auf Familienleistungen besteht, sieht die VO 1408/71 die Prioritätsregeln des Art 76 dieser Verordnung sowie des Art 10 der Durchführungs-VO 574/72 vor. In Art 76 Abs 1 der VO 1408/71 ist der allgemeine Grundsatz festgelegt, dass im Fall einer Kumulierung von Familienleistungen aufgrund einer beruflichen Tätigkeit aus dem Wohnsitzstaat der Familienangehörigen und von Familienleistungen aus dem Beschäftigungsstaat, in dem die Berufstätigkeit ausgeübt wird, die Familienleistungen des Beschäftigungsstaats bis zur Höhe der Familienleistungen des Wohnsitzstaats ausgesetzt werden. Art 76 Abs 1 der VO 1408/71 ist jedoch in Bezug auf den österreichischen Unterhaltsvorschuss nicht einschlägig, weil nach österreichischem Recht der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss unabhängig von einer Erwerbstätigkeit gebührt (10 Ob 31/09w mwN).
1.3. Die Prioritätsregel für die Kumulierung von Familienleistungen, die nicht von einer Berufstätigkeit abhängen, ist in Art 10 der Durchführungs-VO 574/72 festgelegt. Trifft in diesem Fall ein Anspruch nach nationalem Recht mit einem Anspruch aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats oder nach Art 73, 74 der VO 1408/71 zusammen, ist gemäß Art 10 Abs 1 lit a der Durchführungs-VO 574/72 für Familienleistungen grundsätzlich vorrangig jener Mitgliedstaat zuständig, dessen Rechtsvorschriften der erwerbstätige Elternteil unterliegt (Beschäftigungsstaat). Im Wohnortstaat, als nachrangig zuständigem Staat, ruhen die Familienleistungen in Höhe der Leistungen des vorrangig zuständigen Staats. Der Wohnortstaat hat daher Ausgleichszahlungen zu erbringen, sofern dessen Leistungen höher sind (Art 10 Abs 1 lit a der Durchführungs-VO 574/72 ). Sind hingegen beide Eltern in verschiedenen Mitgliedstaaten erwerbstätig, zahlt gemäß Art 10 Abs 1 lit b sublit i der Durchführungs-VO 574/72 vorrangig der Mitgliedstaat, in dem ein Elternteil erwerbstätig ist und das Kind lebt. Im anderen, nachrangig zuständigen Staat gebühren Ausgleichszahlungen, wenn die Familienleistungen des vorrangig zuständigen Staats niedriger sind (10 Ob 31/09w mwN).
1.4. Da im Anlassfall beide Elternteile tätige oder arbeitslose Arbeitnehmer in Österreich sind, hätte ein Anspruch der Minderjährigen auf eine dem österreichischen Unterhaltsvorschuss vergleichbare polnische Familienleistungen gemäß der in diesem Fall anzuwendenden Bestimmung des Art 10 Abs 1 lit a der Durchführungs-VO 574/72 keinen Einfluss auf den nach Polen zu exportierenden österreichischen Unterhaltsvorschuss (vgl 10 Ob 31/09w). Dies macht die Revisionsrekurswerberin zutreffend geltend.
1.5. Dem Revisionsrekurs war insoweit Erfolg zu bescheiden.
2. Zum Revisionsrekurs in Ansehung der Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse nach dem Vater:
2.1. Der Oberste Gerichtshof ist an den Zulässigkeitsausspruch des Rekursgerichts nicht gebunden (§ 71 Abs 1 AußStrG). Die vom Rekursgericht bezeichnete Rechtsfrage ist nicht entscheidungserheblich. Die Revisionsrekurswerberin zeigt in ihrem Rechtsmittel keine im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG erhebliche Rechtsfragen auf:
2.2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass die im Ausland lebenden Unterhaltsberechtigten einerseits am Lebensstandard des in Österreich lebenden unterhaltspflichtigen Elternteils teilhaben sollen, aber der Unterhalt andererseits in einem angemessenen Verhältnis zu den durchschnittlichen Lebensverhältnissen und zur Kaufkraft in dem jeweiligen Heimatland stehen müssen (RIS-Justiz RS0111899). Bei der Bemessung dieses sogenannten „Mischunterhalts" sind dabei - wie auch sonst - die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten konkret und individuell mit den Lebensverhältnissen der Eltern in Relation zu setzen (1 Ob 112/04h; RIS-Justiz RS0047388). Es ist jener Unterhaltsbetrag zu ermitteln, der den Bedarf des Unterhaltsberechtigten im Ausland deckt, ihn aber auch an den (besseren) Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen teilhaben lässt und zugleich dessen Leistungsfähigkeit entsprechend berücksichtigt. Die Frage, ob der zugesprochene Unterhalt in Relation zum Lebensstandard im Heimatland des Unterhaltsberechtigten angemessen ist, ist stets eine solche des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0111899 [T9]).
Die Revisionsrekurswerberin macht erstmals im Revisionsrekurs geltend, dass der dem Vater auferlegte monatliche Unterhaltsbetrag von 160 EUR lediglich 48 % des Regelbedarfs in Österreich betrage. Die Beschlüsse der Vorinstanzen übertrügen diese Unterdurchschnittlichkeit durch die Herabsetzung auf Polen, obwohl die Leistungsfähigkeit des Vaters doppelt so hoch sei und dem Kind für polnische Verhältnisse eine durchschnittliche Alimentierung erlauben würde. Die Heranziehung des Systems des „Mischunterhalts" sei in solchen Fällen nicht geboten.
Die Behauptung, dass eine Unterhaltsleistung von monatlich 160 EUR der Minderjährigen für polnische Verhältnisse eine durchschnittliche Alimentierung erlauben würde, ist eine unbeachtliche Neuerung (§ 66 Abs 4 AußStrG). Dass die Unterhaltsverpflichtung des Vaters nur rund die Hälfte des Regelbedarfs in Österreich deckt, ändert nichts daran, dass die Angemessenheit des Unterhalts an den aktuellen Bedürfnissen der Minderjährigen zu messen ist und insoweit eine grobe Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen weder konkret behauptet wurde noch sonst zu erkennen ist. Insbesondere übersieht die Revisionswerberin, dass im Fall der Drittpflege des Kindes die Unterhaltsbemessung nicht isoliert für nur einen Elternteil erfolgen könnte (10 Ob 53/03x; 6 Ob 120/03w).
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